Faktencheck zu Video: Merkel hasst Deutschland

Autor: Kathrin Helmreich

Faktencheck zu Video: Merkel hasst Deutschland
Faktencheck zu Video: Merkel hasst Deutschland

Ein Video aus dem kanadischen Fernsehen von Angela Merkel soll beweisen, dass sie wahnsinnig ist und Deutschland hasst.

Das Video ist nicht neu, jedoch noch immer auf Social Media Plattformen wie beispielsweise Facebook im Umlauf. Es soll beweisen, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Deutschland in Wirklichkeit hasst und wahnsinnig ist.

Es geht um folgendes Material:

MIMIKAMA

Der Faktencheck

Gegenstand der Behauptung ist ein Video des rechtsextremen kanadischen YouTube-Kanals der Präsenz „Rebel Media“ von Ezra Levant vom 16.9.2015.

Wir hatten das Thema bereits im Februar 2018 auf dem Tisch, dem sich Kollegin Dagmar gewidmet hatte. Sehen wir uns die einzelnen Punkte nochmals alle genau an:

„Keine Obergrenze für Muslime aus dem mittleren Osten“

KORREKT, allerdings nicht auf die erwähnte Volksgruppe beschränkt.

Trotz massivem Druck bestand Merkel auch auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle auf offenen Grenzen; damit befolgte sie Europäisches Recht, welches das Grundgesetz überlagert. An dieser Stelle greift die so genannte Dublin-Verordnung.

Nach dieser sei jeder EU-Staat verpflichtet, einen Flüchtling, der an seiner Grenze Asyl begehre, zunächst hineinzulassen und dann zu prüfen, welches Land für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Eine „Zurückweisung von Asylsuchenden an der deutschen Grenze“ wäre also ein klarer Verstoß gegen geltendes Recht“.[1]

„Sie startete den Massenansturm, indem sie die Einwanderung von 800.000 Migranten forderte.“

FALSCH. die Zahl stammt aus einer Schätzung aus dem deutschen Innenministerium im August 2015.

Man hatte zu diesem Zeitpunkt von der Zahl der Menschen, von denen man wusste, dass sie sich bereits auf dem Weg in Richtung Europa aufgemacht hatten, auf die Ankömmlinge geschlossen; damit ist der Vorwurf, Merkel habe sie sozusagen „in Gang gesetzt“ oder gar „ihre Einwanderung gefordert“ als unsinnig zu bewerten.[2]

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In dieselbe Kategorie fällt die nächste Behauptung:

„Keine Bewerbung notwendig,..

KORREKT, ABER …

Ezra outet sich spätestens hier als ignorant oder bösartig – wahrscheinlich eher letzteres. Jedes Schulkind weiß inzwischen, dass Flüchtlinge keine „Bewerbungen“ schreiben, sondern Asylanträge stellen müssen, die ihren Flüchtlingsstatus nachweisen:

„Für alle in Deutschland ankommenden Asylsuchenden gilt: Sie müssen sich unmittelbar bei oder nach ihrer Ankunft bei einer staatlichen Stelle melden. Dies kann schon an der Grenze oder später im Inland geschehen.

Wer sich bereits bei der Einreise als asylsuchend meldet, wendet sich an die Grenzbehörde. Sie leitet Asylsuchende dann an die nächstgelegene Erstaufnahmeeinrichtung weiter.“[3]

„..keine Prüfung der Gefahr für die Bürger notwendig..“

Die „Prüfung der Gefahr“, die Ezra hier fordert, ist sinnigerweise nicht näher erklärt.

Es ist aber davon auszugehen, dass sich bereits lange vor der Einreisewelle so genannte Gefährder in Deutschland aufhielten. Ein stichhaltiges Argument, das die These Ezras Lügen straft, ist die Widerlegung der IS-Propaganda gerade durch humanitäre Hilfe. [4]

„Und jeder, der es nach Deutschland schafft, bekommt sofort tausende Euros in Sonderbezügen“…

FALSCH.

In der Erstaufnahmeeinrichtung erhält ein erwachsener alleinstehender Flüchtling 135 Euro monatlich, das sogenannte Taschengeld. Zusammenlebende Partner erhalten je 122 Euro. Für ein Kind von bis zu sechs Jahren gibt es im Monat 79 Euro. Im Alter von 6 bis 13 Jahren sind es 83 Euro. [5]

Von „Tausenden Euros“ kann also keine Rede sein.

„..und Zugang zu Deutschlands bestehenden Sozialleistungen“.

TEILWEISE KORREKT.

Diese Aussage ist unzweifelhaft richtig. Allerdings kann man auch hier nicht gerade von einem Vermögen sprechen; die tatsächlichen Bezüge für Asylbewerber liegen knapp unter denen eines Hartz-IV-Empfängers, werden aber hauptsächlich in Sachleistungen und Gutscheinen ausgegeben. [6]

„..über 100.000 Migranten, hauptsächlich junge muslimische Männer, kamen allein im letzten Monat, um Merkels Angebot anzunehmen..“

FALSCH.

Die Zahl ist vollkommen unrealistisch.

„Mehr als zwei Drittel (69,2 %) der Asylerstanträge des Jahres 2015 wurden von männlichen Asylbewerbern gestellt; ..“

„Der Blick auf die Altersstruktur der Asylantragsteller im Jahr 2015 zeigt, dass fast drei Viertel aller Antragsteller (71,1 %) jünger als dreißig Jahre alt waren. Fast ein Drittel aller Antragsteller (31,1 %) war minderjährig“[8]

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Im „vergangenen“ Monat (September 2015; der Höhepunkt der Flüchtlingswelle), wurden ca. 160.000 Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen. [8] Bricht man die oben angegebenen Prozentangaben für 2015 auf einen Monat runter, bleibt ein Anteil „junger Männer“, wobei hier „wehrfähig“ gemeint sein dürfte, von gerade einmal um die 50.000, wovon, ausgehend von den Top-Ten-Herkunftsländern, in der Tat die meisten muslimischen Glaubens sein dürften, was für sich genommen bedeutungslos ist, hier aber tendenziös interpretiert wird.

„An einem einzigen Tag kamen allein in der Stadt München 10.000 Männer an.“

FALSCH.

Direkt nach der Grenzöffnung strömten die bislang in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge nach Deutschland.

10.000 Menschen waren es am 12.9.2015 etwa insgesamt, allerdings muss man auch hier wieder rechnen; geht man davon aus, dass zwei Drittel männlichen Geschlechts waren, kann man, da hier Altersangaben nach oben fehlen, unter Einberechnung von 30 % Minderjährigen, von etwa 4.000 männlichen Asylsuchenden ausgehen – Ältere Männer und Greise mitgerechnet.

Somit haben sich die Eingangs abgefeuerten Thesen fast durch die Bank als Platzpatronen erwiesen.

Als nächstes wird der Mitschnitt einer Pressekonferenz gezeigt. Eine Journalistin fragt Merkel nach geplanten „Schutzmaßnahmen gegen die Islamisierung“ Deutschlands vor dem Hintergrund verstärkter Einwanderung streng gläubiger und praktizierender Muslime.

Der Begriff der „Islamisierung“ meint die angeblich drohende „Überfremdung“ und „Umvolkung“ausgehend vom Islam als Religion und Kulturgut. Der „Schutz der Kultur“ in Europa wird von der Fragestellerin thematisiert und eingefordert.

Merkel wirbt in ihrer Antwort für ein Miteinander der Kulturen, für einen angstfreien Umgang miteinander, für eine Stärkung der christlichen statt der Angst vor der muslimischen Religion. Im Hinblick auf die deutsche und europäische Geschichte, die bekanntermaßen alles andere als frei von Gewalt und Usurpation war, mahnt sie zu Mäßigung, was Überheblichkeit und die Verurteilung anderer Völker angehe.

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Immer wieder schaltet sich Levant mit Unterstellungen ein, so etwa „die Fragestellerin habe „Angst vor Terrorismus“ vorgebracht, Sorge wegen Terrorismus und Gewalt, die Furcht, dass die Gesetze der Scharia demnächst in Deutschland gelten würden. Sie sage, sie habe „Angst vor massenhafter, ungeprüfter Immigration von jungen muslimischen Männern.“

Das ist schlicht falsch; er entstellt Tatsachen und interpretiert Inhalte frei hinein. Die Frage der Journalistin bezog sich einzig auf die vage Forderung nach „Schutz der Kultur“ in Europa, wobei die Annahme, islamistische Gesetze könnten demnächst für deutsche Staatsbürger gelten, an sich schon jeder realen Grundlage entbehrt.

Merkels Thesen zu der Gestaltung eines Miteianders der Kulturen in Europa stellt er durch seine Zwischenrufe der – frei erfundenen- Frage nach einer Begegnung der Terrorgefahr gegenüber, mit der Absicht, die Regierungschefin abgehoben und realitätsfern wirken zu lassen.

Die Gefahr und die „berechtigten Ängste“ ihrer Schutzbefohlenen ziehe sie ins Lächerliche, und nicht nur das –

– womit er bei seinem Thema „Wahnsinn“ angekommen ist – die Kanzlerin lade die Gefahr geradezu ein, als eine Art

„..nationale Psychotherapie“, eine Katharsis, um Deutschland endgültig von der Erbschuld der NS-Zeit zu befreien. Es ginge ihr, kinderlos und „ohne persönliche Zukunft“, nicht um das Wohlergehen des Volkes, sondern, gleichsam einem inhärenten Todeswunsch folgend, um dessen Auslöschung als Buße für die Schuld, die sie in ihrem Wahn auf die heutige Generation übertrage.

Merkels Erwähnung der – seit Jahren bestehenden Terrorzellen in Deutschland – instrumentiert er, um ihr die Aussage unterzuschieben „dass Deutschland den Terror des IS verursacht….Sie macht Europa für den IS verantwortlich.“

An dieser Stelle sind durchaus Spuren von Wahnsinn erkennbar – allerdings nicht bei Merkel, deren Antworten in einen falschen Zusammenhang gebracht auf groteske Weise interpretiert werden. Die Deutungen am Ende des Clips stehen für sich alleine und stützen sich lediglich auf Merkels Mahnung vor dem „Hochmut Deutschlands“ und die Aufforderung „niemals zu vergessen“ – die heute aktueller denn je sein dürfte.

Fazit

Das Video ist als FAKE einzustufen; schon allein wegen der fast durchweg falschen Behauptungen zum Thema „Flüchtlinge“, die Eingangs aufgestellt werden.

Dass „News for Friends“ diesen Ausbund an Verlogenheit und schlechtem Geschmack begierig aufgreift, kann nicht wirklich erstaunen. Klar wird auch, dass die Inhalte nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, sondern einfach übernommen wurden.

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Die Webseite, die mit Themen wie Menschenfleisch in McDonald’s-Burgern? und Bürgerkrieg in Deutschland? für Aufsehen und Erschrecken sorgt, zielt einzig und allein auf vordergründige Effekte mit Clickbait-Titeln ab. Offensichtlich ist auch hier, dass „News for Friends“ nicht vor schäbigster Effekthascherei zurückschreckt, die hart an der Grenze des Erlaubten, mit Sicherheit aber jenseits jeglicher journalistischer Ethik ist.

Die Internetpräsenz „News for Friends“ erfüllt definitiv die Kriterien für die Einstufung als „Fake-News-Medium“:

  • Pseudoredaktionell erstellte Inhalte, die so gut wie keinen Wahrheitsgehalt haben
  • Darstellung in Form einer News / Nachrichtenwebseite, die jedoch letztendlich keine ist
  • Inhalte, die verbreitete Wunschvorstellungen oder Ängste ansprechen
  • Einen Verantwortlichen, dem der Inhalt letztlich völlig egal ist. Es geht lediglich um Werbung
  • Ein Impressum, das keinerlei Hinweis auf den oder die Verantwortlichen zulässt

Wir raten allen Leserinnen und Lesern, mit den Informationen dieser Webseite vorsichtig umzugehen.

Autorin: Dagmar K. – mimikama.org

Weitere Quellen: Statista, Tagesspiegel
Artikelbild: Shutterstock / Von 360b
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