Nein, die Spanische Grippe war kein „Impfdesaster“

Autor: Ralf Nowotny

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Falsch
Falsch

Angeblich sei an den Toten der Spanischen Grippe gar kein Virus schuld, sondern ein Bakterium, welches verimpft wurde. Eine gestapelte Falschbehauptung!

Es kursierten bereits mehrere Behauptungen über die Spanische Grippe: Die Menschen sollen an der Impfung gestorben sein (wir berichteten) und nur Ungeimpfte sollen überlebt haben (wir berichteten). Nun ist eine Behauptung aufgetaucht, die gleiche mehrere Falschbehauptungen kombiniert, um eine Verschwörungserzählung aufzubauen.

Für die Eiligen:
Die Menschen starben zwar tatsächlich vorwiegend an einer Lungenentzündung, welche jedoch durch das Virus erst begünstigt wurde. Es wurden auch keine Millionen US-Soldaten mit einem experimentellen Impfstoff geimpft, sondern an 62 Soldaten wurde experimentiert, wie sich die Krankheit verbreitet. Es starben auch nicht „nur Geimpfte“, da es gar keine Impfung gegen die Spanische Grippe gab.

Die Behauptung

Auf einem Blog wurde die Verschwörungserzählung kompakt verbreitet (archiviert HIER), welcher auch als Video verbreitet wird, eine Studie zur Spanischen Grippe soll die Behauptung untermauern.

Die Spanische Grippe soll gar nicht von einem Grippevirus ausgelöst worden sein, sondern von einem Bakterium, welches eine schwere und in den meisten Fällen tödliche Lungenentzündung verursachte. Millionen US-Soldaten sollen einen bakteriellen Meningitis-Impfstoff bekommen haben, durch das sich die Spanische Grippe über die Welt verbreitete.

Zudem soll der Name „Spanische Grippe“ eine bewusste Täuschung sein, um den wahren Ursprung der Erkrankung zu verbergen: Die USA.

Im Folgenden werden wir die einzelnen Behauptungen, welche die gesamte Verschwörungserzählung bilden, analysieren.

Ist der Name „Spanische Grippe“ eine bewusste Täuschung?

Tatsächlich ist der Name „Spanische Grippe“ irreführend, da der Ursprung der Erkrankung nicht in Spanien liegt, dort aber zuerst von der Erkrankung berichtet wurde, weswegen sie aus geopolitischen Gründen den Namen bekam.

Als die Pandemie während des Ersten Weltkriegs ausbrach, wollte keine der beiden Seiten, dass die andere Seite erfuhr, dass sie krank war – und sie wollten auch nicht, dass ihre eigenen Truppen die Moral verloren oder die Öffentlichkeit in Panik geriet. In Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA wurden die Nachrichten über den Ausbruch der Seuche unterdrückt oder stark verharmlost. Spanien hingegen war wie die Schweiz im Krieg neutral, und die spanischen Medien hatten keine Skrupel, über den ansteckenden Ausbruch zu berichten, der seine Bevölkerung schwächte und den falschen Eindruck erweckte, es handele sich um eine spanische Krankheit.

Der tatsächliche Ursprung der Pandemie ist allerdings unklar. Theorien deuten auf Frankreich, China, Großbritannien oder die USA, wo der erste bekannte Fall am 11. März 1918 in Camp Funston in Fort Riley, Kansas, gemeldet wurde. Von dort aus zogen im Frühjahr 1918 über 200.000 US-Soldaten nach Europa.

Der Name „Spanische Grippe“ war also tatsächlich eine bewusste, geopolitische Täuschung – aber nicht, um die wahre Herkunft zu vertuschen, sondern um die Kriegsgegner in die Irre zu führen und sie glauben zu lassen, dass die Krankheit nur im (neutralen) Spanien wüten würde, die eigenen Soldaten aber nicht betroffen seien.

Die Behauptung ist somit halbwahr. Mehrere Länder gelten als möglicher Ursprung der Spanischen Grippe, die erste Erkrankung in den USA ist nur am besten belegt.

War es kein Virus, sondern ein Bakterium?

In der Verschwörungserzählung wird gesagt, dass eine Studie des National Institute of Health aus dem Jahre 2008 aufzeigt, eine bakterielle Lungenentzündung sei die hauptsächliche Todesursache gewesen. In dem Video wird dazu auch noch ein Screenshot der Studie gezeigt.

Die Studie

Die benannte Studie aus dem Jahr 2008 findet sich auf der Seite des „National Institutes of Health“ (siehe HIER) und trägt den Namen „Bakterielle Lungenentzündung verursachte die meisten Todesfälle bei der Influenza-Pandemie 1918“.

Geht man nun rein von der Überschrift aus, scheint die Behauptung zu stimmen, doch man muss nur die ersten Sätze der Studie zu lesen, um die Behauptung zu widerlegen:

„Die meisten Todesfälle während der Grippepandemie von 1918-1919 wurden nicht allein durch das Influenzavirus verursacht […]. Stattdessen erlagen die meisten Opfer einer bakteriellen Lungenentzündung, die auf eine Infektion mit dem Influenzavirus folgte.

Die Lungenentzündung wurde verursacht, als Bakterien, die normalerweise in Nase und Rachen leben, in die Lunge eindrangen, und zwar über einen Weg, der entstand, als das Virus die Zellen zerstörte, die die Bronchien und die Lunge auskleiden.“

Tatsächlich starben also viele Menschen an einer Lungenentzündung – aber nur, weil das Virus die perfekten Voraussetzungen dafür schuf.

Mit derselben Logik könnte man auch behaupten, dass niemand an AIDS stirbt, da das HI-Virus einen ja nicht tötet. Stimmt, denn die Schwächung des Immunsystems durch das Virus sorgt dafür, dass auch normalerweise leichte Erkrankungen tödlich enden.
Würde also irgendjemand behaupten, dass AIDS ja gar nicht so schlimm ist? Sicher nicht!

Die Behauptung ist somit irreführend. Die Lungenentzündungen konnten nur ausbrechen, da das Virus die Voraussetzungen dafür schuf.

Entstand die Spanische Grippe durch einen experimentellen Impfstoff?

In der Verschwörungserzählung wird behauptet, dass Millionen von amerikanischen Soldaten einen experimentellen bakteriellen Meningitis-Impfstoff bekamen. Zwei Millionen Soldaten zogen nach Übersee und verbreiteten das Bakterium aus dem Impfstoff.

Weder in dem Blog-Artikel, noch unter dem Video ist ein Beweis dafür verlinkt, jedoch auf einer anderen Seite (siehe HIER, archiviert), auf der ebenfalls jene Behauptung aufgestellt wird. Obwohl dort von „Studien“ geschrieben wird (Mehrzahl), findet sich dort nur eine einzelnes Dokument (Einzahl). Diese wollen wir uns mal betrachten.

Das Titelblatt des Dokuments
Das Titelblatt des Dokuments (Quelle)

Es geht darin um Experimente an Freiwilligen, um die Ursache und Art der Verbreitung der Grippe zu ermitteln. Diese fanden im November und Dezember 1918 sowie im Februar und März 2019 statt.

Schlüsseln wir mal die Zeitlinie auf:

  • März 1918: Erster verzeichneter Fall in den USA, erste Welle der harmloseren Variante
  • März 1918: 84.000 US-Soldaten werden in Übersee stationiert
  • April 1918: Weitere 118.000 US-Soldaten werden in Übersee stationiert
  • September 1918: Ausbruch der zweiten, tödlicheren Welle der Spanischen Grippe
  • November 1918: Beginn der Experimente an Freiwilligen in den USA

Als die Experimente zur Verbreitung der Spanischen Grippe durchgeführt wurden (kein experimenteller Meningitis-Impfstoff, eine solche Impfung gibt es erst seit 1975), wütete die Spanische Grippe bereits weltweit. Die Stationierung der Soldaten erfolgte zudem während der ersten, harmloseren Welle.

Es bekamen auch keine „Millionen Soldaten“ einen experimentellen Impfstoff, sondern ganze 62 Personen ließen sich freiwillig über verschiedene Wege mit der Influenza infizieren.

Die freiwilligen Teilnehmer der Experimente
Die freiwilligen Teilnehmer der Experimente (Quelle)

Die Männer, die diesen Experimenten unterzogen wurden, waren allesamt Freiwillige aus der United States Naval Training Station, Deer Island, Boston. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die Männer auch in Übersee stationiert wurden, als der Erste Weltkrieg bereits beendet war.

Starben nur Geimpfte?

Auch dies wird in der Verschwörungserzählung behauptet und ist an sich schon widersprüchlich: Wenn doch nur angeblich US-Soldaten „geimpft“ wurden, wie kam es dann zu rund 50 Millionen Toten?

Es gab jedoch 1918 gar keine Impfung gegen die Grippe, auch nicht gegen die „spanische“ Variante!

Es wurde damals vermutet, dass die Spanische Grippe durch Bakterien ausgelöst wird, weswegen tatsächlich auch einige Ärzte daran machten, Impfstoffe auf Grundlage von Bakterien aus den Lungen von Infizierten zu entwickeln.

Der Medizinhistoriker und Spezialist für die Geschichte der Spanischen Grippe in Australien, Dr. Peter Hobbins, erklärte gegenüber AAP FactCheck, dass dies ein grundlegendes Problem war: Jene Impfstoffe wurden gegen die „falschen“ Organismen entwickelt und hatten somit keinen Schutzwert.

Diese Impfstoffe, die allerdings nicht weltweit und eher örtlich beschränkt eingesetzt wurden, bekämpften somit nicht das H1N1-Virus, hatten aber zumindest einen kleinen Nutzen: Bakterielle Folgeinfektionen wurden bekämpft, die Spanische Grippe verlief weniger schwer.

„Impfstoffe waren damals ziemlich grob und die Menschen haben sich nach Erhalt möglicherweise unwohl gefühlt, aber es ist völlig falsch anzunehmen, dass es aufgrund ihres Gebrauchs weltweit 50 Millionen Todesfälle gegeben hätte.“

so Dr. Hobbins.

Jene Impfung wurde beispielsweise am Naval Hospital in League Island, Pennsylvania am Krankenhaus-Personal und einer Patientengruppe getestet. Er bestand aus B. influenza und Stämmen von Pneumokokken, Streptokokken, Staphylokokken und Micrococcus catarrhalis (jetzt Moraxella catarrhalis).

Es wurde festgestellt, dass die behandelten kranken Patienten keine Lungenentzündung entwickelten, aber eine Infektion der Lungenschleimhaut. Die Erkrankung verlief anders, aber definitiv kürzer.

Die Anzahl der mit dem Impfstoff behandelten Patienten war jedoch zu gering, um Rückschlüsse ziehen zu können, weswegen die Anwendung eingestellt wurde; zumindest kam es aber bei keiner geimpften Person zu einer Verschlechterung des Zustandes.

Es gab also zwar örtlich beschränkte Experimente mit möglichen Impfungen, die sich aber gegen die Bakterien der Folgeinfektionen richteten und nur wenig gegen die Spanische Grippe ausrichteten, aber auch nicht schadeten.

Und deswegen ist auch ein Teil der Behauptung im Prinzip richtig:
Tatsächlich überlebten die Ungeimpften. Und es starben auch die Ungeimpften. Weil es noch gar keinen Impfstoff gab!

Fassen wir zusammen

Die Verschwörungserzählung ist von vorne bis hinten unschlüssig:
Die Menschen starben zwar tatsächlich vorwiegend an einer Lungenentzündung, welche jedoch durch das Virus erst begünstigt wurde. Es wurden auch keine Millionen US-Soldaten mit einem experimentellen Impfstoff geimpft, sondern an 62 Soldaten wurde experimentiert, wie sich die Krankheit verbreitet. Es starben auch nicht „nur Geimpfte“, da es gar keine Impfung gegen die Spanische Grippe gab.

Die verbreitete Verschwörungserzählung entspricht also in keinem Punkt den Tatsachen!

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