Söder und das Kreuz

Autor: Andre Wolf

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Kein Fake. Keine Satire und auch keine Polemisierung: Setzen wir uns mit dem Kreuz, der Identität und der kulturellen Prägung auseinander. „Sind wir Kreuz”?

Deutschland im Jahr 2018. Seit fast siebzig Jahren gibt es das Grundgesetz, das von Religionsfreiheit spricht. Diese gibt es sowohl als positive als auch als negative Religionsfreiheit: Die positive Religionsfreiheit ermöglicht allen in Deutschland lebenden Menschen, ihre Religion frei auszuüben, während die negative Religionsfreiheit dem Staat verbietet, seinen Bürgern eine Religion vorzugeben.

Ebenso Deutschland im Jahr 2018: „Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes im Freistaat ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns deutlich wahrnehmbar ein Kreuz als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland anzubringen.“

Den Kommunen, Landkreisen und Bezirken in Bayern wird empfohlen, ab dem 1. Juni 2018 das Kreuz als deutlich wahrnehmbares Symbol der kulturellen Identität christlich-abendländischer Prägung im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes anzubringen.

Das hat am 24. April 2018 das bayerische Kabinett beschlossen, kurz danach hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) medienwirksam im Eingangsbereich der eigenen Staatskanzlei ein Kreuz aufgehängt. Symbolträchtiger kann ein Beschluss kaum vermittelt werden.

Damit kehren religiöse Symbole zurück in den Staat. Und bei dem Kreuz handelt es sich, im Gegensatz zu Osterhase oder Tannenbaum, um ein sehr deutlich christliches Symbol, welches auf den Leidensweg Jesu zurückzuführen ist.

Quo vadis, Laizismus in Bayern?

In den letzten fast siebzig Jahren haben sich die Mentalität und das Selbstverständnis in diesem Land gewandelt. Nach 1945 mussten Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, an einem anderen Ort ein neues Leben anfangen, hatten aber durch ihren christlichen Hintergrund einen ersten Anknüpfungspunkt. In den fünfziger bis siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts kamen Menschen als sogenannte Gastarbeiter, die unter anderem ihren muslimischen Glauben mitbrachten; und nach der Wiedervereinigung 1990 stellte sich als neue Herausforderung die weitestgehende Konfessionsfreiheit in den neuen Bundesländern heraus.

Das Grundgesetz garantiert seit fast siebzig Jahren die Trennung von Staat und Kirche. Eine Entscheidung, die anfangs für viele schmerzhaft war, aber nach dem Versagen der größten Teile der evangelischen wie auch der römisch-katholischen Kirche während der NS-Zeit (fehlender Widerstand gegen die Euthanasie sowie die systematische Verfolgung und Ermordung jüdischer Menschen) die richtige Entscheidung war.

Wie ist es daher um dem Laizismus in Deutschland (und auch Österreich) bestellt? Kurz erklärt: Beim Laizismus handelt es sich um die Trennung von Staat und Kirche/Religion. Der Staat tritt Religion gegenüber neutral auf, weder abweisend, noch besonders zugeneigt. Neutral eben. Dementsprechend präsentiert der Staat im Laizismus auch keine religiösen Symbole. In Deutschland und Österreich hat sich der Laizismus zwar nie so komplett durchgesetzt, dennoch will der Staat den Bürgern nicht in die Religionsausübung hereinreden, sondern gewährt, (grund)gesetzlich verankert, eine freie Ausübung religiöser und weltanschaulicher Bekenntnisse. Das bedeutet entsprechend ebenso, dass eine nichtreligiöse Weltanschauung gegenüber dem Staat dieselbe Wertigkeit besitzt.

Natürlich, gemäß Grundgesetz gibt es in Deutschland keine Staatsreligion genau wie es in Österreich garantierte Religionsfreiheit gibt, jedoch ist das Christentum und somit jeder Christ in Deutschland und Österreich, in einer bevorzugten Situation. Braucht man nicht diskutieren. Es gibt schlichtweg keinen absoluten Laizismus in Deutschland oder Österreich, es ist auch fraglich, ob das so einfach möglich ist, da speziell in Deutschland die Regierungspartei den Begriff „christlich” im Namen trägt.

Ebenso allen Wandlungen in der Mentalität zum Trotz: Normen wie den zehn Geboten können fast alle Menschen zustimmen – sofern diese Normen ohne Verweis auf ihre christliche Herkunft daherkommen. Es sind nun mal viele christliche-abendländische Werte, die unsere Gesellschaft beinflusst haben und auch heute noch beeinflussen.

Kein religiöses Symbol (?!)

Und nun kehrt das Kreuz in Bayern in die Behörden zurück. Das ist natürlich schwierig. Das sogenannte „Kruzifix-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 sagt recht deutlich aus, dass die Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, gegen Art. 4 Abs. 1 GG. verstößt (siehe Bundesverfassungsgericht.de)

„Aus der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG folgt im Gegenteil der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen. Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt.”

Interessant: Nach Aussage Söders solle das Kreuz kein religiöses Symbol des Christentums sein, sondern ein Bekenntnis zur Identität und zur kulturellen Prägung Bayerns. Ausgerechnet das Kreuz, wie anfangs im Text bereits erwähnt, das definitiv auf die Passion Jesu Christi zurückzuführen ist, soll nicht als religiöses Symbol gedeutet werden. Ebenso interessant: Gleichzeitig werden Kopftücher in Bayern jedoch als religiöse Symbole eingestuft (siehe Artikel 59 Lehrkräfte), sofern diese „Symbole oder Kleidungsstücke bei den Schülerinnen und Schülern oder den Eltern auch als Ausdruck einer Haltung verstanden werden können, die mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen der Verfassung einschließlich den christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten nicht vereinbar ist.”

Merken wir uns: Ein Kopftuch ist in Bayern ein religiöses Symbol, das Kreuz jedoch nicht.

Weltanschauungen

Wie gehen nun Menschen mit dem Kreuz um, speziell wenn dieses in behördlichen Einrichtungen zu hängen hat? Ich will hier gar nicht auf den Islam eingehen, denn mit ca. 5% der Bevölkerung sind Muslime in dieser Diskussion eher irrelevant (vergleiche: Religionszugehörigkeiten in Deutschland 2016 fowid). Nein, es geht um die größte Gruppe innerhalb der Religionszugehörigkeiten, es geht um die Konfessionsfreien.

Die größte weltanschauliche Gruppe in Deutschland, die Gruppe der Konfessionsfreien, wuchs 2016 um weitere 380.000 Personen und stellt nun 36,2 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Quelle: Religionszugehörigkeiten in Deutschland 2016

Über ein Drittel aller Menschen in Deutschland leben konfessionsfrei. Ob diese Menschen am Ende auch wirklich so konfessionsfrei leben, wie es auf dem Papier steht oder sich aus finanziellen Gründen von einer der christlichen Kirchen verabschiedet haben, sei nun dahin gestellt. Dennoch handelt es sich hierbei um die mit Abstand größte Gruppe. Zugegeben, in Bayern sehen die Zahlen anders aus, das ist jetzt kein Geheimnis. Die „jüngsten” belastbaren Zahlen stammen hierbei zwar bereits aus dem Jahre 2011 und sind damit auch nicht mehr taufrisch, jedoch zeigen sie, dass Bayern, mit 55% Katholiken und 21% Protestanten im Zensus 2011, einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Christen in der Bevölkerung aufwies. Lediglich das Saarland hatte einen höheren Anteil aufzuweisen.

Dennoch ist auch in Bayern die Gruppe der Konfessionsfreien nicht irrelevant und stellte im Jahre 2011 mit 20% eine nicht unerhebliche Größe dar. Jüngere Zahlen zu Bayern, wie sie beispielsweise auf der Webseite Kirchenaustritt.de unter Angabe der Quellen Kirchenamt der EKD, Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und der Deutschen Bischofskonferenz genannt werden, zeigen auch hier einen deutlichen Rückgang der Zahlen in Bayern.

Bayern besonders christlich geprägt?

Mit dem Wissen im Kopf, dass die Zahlen des Zensus nun mehrere Jahre alt sind, darf man sich dennoch die Frage stellen, inwiefern Bayern hier eine besondere Stellung einnimmt und mit dem Darstellen von Kreuzen in Behörden dann doch zumindest die Landesbevölkerung vertritt. Prognosen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) sagen zudem voraus, dass in Bayern die katholische Kirche ihren Mehrheitsanteil ebenso verlieren wird.

Mit Ausnahme des kleinen Saarlandes, hat die katholische Kirche ihre ursprüngliche Mehrheitsposition von deutlich über 50 Prozentanteil in NRW und Rheinland-Pfalz verloren, was in Bayern auch zeitnah der Fall sein wird.

Quelle fowid

Dieser Rückgang der Zahlen liegt weder an einer Migration, noch an anderen Konfessionen, die übermäßig stark größer geworden sind, sondern laut fowid  schlichtweg an der Verringerung der Mitgliederzahl der katholische Kirche. In den Jahren von 2011 bis 2015 verringerte sich die Mitgliederzahl der katholischen Kirche um knapp 280.000 Menschen.

Das Kreuz als Politsymbol?

Söders Pläne sind ein falsches Signal. Es wirkt, als werde mit dem Kreuz der Versuch gestartet, Wählerstimmen in einem bestimmten (verlorengegangenen?) Spektrum abzugreifen – nicht mehr und nicht weniger könnte sich angesichts der anstehenden bayerischen Landtagswahlen dahinter verbergen. Es wirkt so, als wird hier die Religionsfreiheit ein wenig in Frage gestellt. Wenn ein Nichtchrist (zum Beispiel ein Konfessionsfreier, von denen es wie angeführt auch in Bayern welche gibt) ein Büro im Einwohnermeldeamt betritt und dort ein Kreuz an der Wand sieht, dann ist seine Frage berechtigt, ob er in dieser Stadt seine Religionsfreiheit behalten darf oder zum christlichen Glauben beeinflusst werden soll.

Deutschland im Jahr 2018. Ein Land in Bewegung, mit neuen Herausforderungen und Fragen. Dieser Staat sollte mir als Privatperson immer die freie Ausübung meiner Religion und Weltanschauung gewährleisten, jedoch sollte er diese (nicht-)Ausübung nicht beeinflussen. Den Herausforderungen und Fragen der heutigen Zeit mit der Rückbesinnung auf „christliche Werte“ in Form von Symbolen zu begegnen, ist der falsche Weg. Den eigenen Standpunkt zu kennen, mit ihm ins Gespräch mit anderen zu gehen und dann einen Kompromiss auszuhandeln, der allen einen guten Lebensweg ermöglicht, bringt mehr als die Flucht in eine vermeintlich sichere Heimattümelei.

Autoren: Andre Wolf & Matthäus Monz

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