Unfähige Rettungskräfte? Der inszenierte dysfunktionale Katastrophenschutz

Autor: Andre Wolf

Artikelbild "Katastrophenschutz" von M. Volk / Shutterstock.com
Unfähige Rettungskräfte? Der inszenierte dysfunktionale Katastrophenschutz
Artikelbild "Katastrophenschutz" von M. Volk / Shutterstock.com

Systemversagen der Rettungskräfte vor Ort? Müssen sich Helfer privat organisieren und von weit anreisen, um im Katastrophengebiet auf eigene Faust Hilfe zu leisten? Genau dieses Bild vom Katastrophenschutz wird häufig auf Social Media vermittelt. Doch was steckt dahinter? Wir erkennen eine perfide Kommunikationsstrategie!

Aktuell bemerken wir, dass an vielen Ecken und Enden auf Social Media bewusst die Arbeit von Polizei, Rettungskräften und des THW schlecht geredet und auch klein geredet wird. Den KatS-Kräften (Katastrophenschutzkräften) wird einerseits Versagen vorgeworfen, auf der anderen Seite wird teilweise behauptet, dass sie gar nicht da sind oder sogar bereits abgezogen werden.

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Das wurde am gestrigen Dienstag deutlich, als die Polizei Koblenz ein Posting auf Facebook veröffentlichte. In diesem Posting ging es um ein Fake Einsatzfahrzeug, was der Polizei nachempfunden ist. Dieses Einsatzfahrzeug soll, laut Polizeiposting, die Botschaft verbreitet haben, dass die Rettungskräfte vor Ort bereits abgezogen werden (wir haben berichtet).

Dieses Fahrzeug, auf welches die Polizei da anspricht, ist kein unbekanntes Fahrzeug. Es handelt sich um einen Wagen, der von den Inhabern „Friedensfahrzeug“ genannt wird. Dieses Fahrzeug ist in der Vergangenheit bereits öfter aufgefallen und immer wieder im Zusammenhang mit Querdenkern und den entsprechenden Demos aufgetaucht. Dieses Fahrzeug ist auch im Katastrophengebiet unterwegs gewesen.

Wir erkennen, dass diese Menschen auf eigene Faust in den Gebieten umherfahren und dort auch Durchsagen machen. Laut Tweet der Polizei Koblenz lautet es, dass über die Lautsprecher die Falschmeldung verbreitet worden sei, dass Polizei und Rettungskräfte die Anzahl der Einsatzkräfte reduzieren.

Doch wer steckt dahinter? Nach Angaben von Lars Wienand auf T-online handelt es sich dabei um selbsternannte „peace officers“. Diese seien in einem selbst auferlegten Einsatz vor Ort gewesen. Dabei haben sie auch Parolen verbreitet und unter anderem behauptet, dass die Flutkatastrophe aufgrund von Wettermanipulation ausgelöst worden sein könnte. T-Online sagt auch, dass sie eine eigene Art Kommandozentrale in einer Schule errichtet hätten. Ebenso erfahren wir aus dem Text, dass diese Personen, die eine Mischung aus Querdenkern, einem Antisemiten und einem ehemaligen Oberst der Bundeswehr sind, eine eigene Stabsgruppe eingerichtet hätten und Freiwillige um sich suchen. Die organisierenden Person sind keinesfalls und unbekannt, sie sind bereits auf Querdenker Demonstrationen aufgetaucht. Finanziert wird laut T-Online die gesamte Aktion durch „Vorab-Gelder“ von Bodo Schiffmann.

Laut Befehl für den Einsatz sind „Uniform/Feldanzug“ zu tragen, wo „verfügbar und zulässig“. Handgeld ist zu erhalten von Oberst Eder, „vorab freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Bodo Schiffmann“. Damit kommt eine Schlüsselfigur der „Querdenker“-Szene ins Spiel.

Erfolgloser Katastrophenschutz vs. erfolgreichem Para-Katastrophenschutz: Die Kommunikationsstrategie

Diesen und ähnlichen Phänomenen steht nun ein ganzen anderes Narrativ gegenüber. Dieses andere Narrativ berichtet davon, dass der staatliche Katastrophenschutz angeblich versagen würde. Polizei, Feuerwehr und THW würden quasi nicht vorhanden sein oder einem schlecht gemachten und unorganisierten Job machen. Speziell auf Social Media wird verbreitet, dass die Hauptarbeit von „Anpackern“ gemacht wird.

Hierzu hat sich auch die Feuerwehr Osnabrück auf Facebook geäußert. Die Feuerwehr zeigte sich irritiert über die Kommentare zum Katastrophenschutz, und warum ihr Versagen vorgeworfen wurde. Die Feuerwehr Osnabrück erklärte in ihrem Posting:

Wir sind auf dem Rückweg und sind ein wenig irritiert über die zahlreichen Kommentare die dem Katastrophenschutz (das sind auch wir) generelles Versagen vorwerfen.
Das Wesen einer Katastrophe ist es, dass
a) wirklich schlimme Dinge passieren
b) die Helfer vor Ort bei weitem nicht ausreichen
c) jemand rausfinden muss, was wo an Hilfe fehlt und dann
d) diese Hilfe gezielt angefordet und über grosse Entfernungen herangeführt werden muss.
Es ist also recht einfach am Anfang einer Katastrophe irgendwo hinzufahren und schlimme Dinge und zu wenig Helfer vorzufinden.
Wer den Katastrophenschutz aktiv verbessern möchte, dem bieten sich zwar weniger plakative, aber deutlich effektivere Möglichkeiten bei der Mitwirkung in einer Katastrophenschutzorganisation.

Hier wird deutlich, dass auch mithilfe von Falschmeldungen ein Unsicherheitsszenario aufgebaut wird, in dem die KatS-Kräfte als Verlierer dargestellt werden. Wir kennen das Phänomen aus der Vergangenheit: Falschmeldungen oder manipulative Darstellungen und Einzelphänomene werden auf Social Media strategisch platziert. Es sind häufig Beiträge, die bewusst zu Unrecht das Vertrauen in Medien, Institutionen, Wissenschaft und Politik untergraben.

Menschen sollen diesen Institutionen und ihren Vertretern keinen Glauben mehr schenken oder zumindest deren Aussagen mit Skepsis betrachten. Falschmeldungen beinhalten nicht nur falsche Inhalte und Unwahrheiten. Sie beschädigen systematisch das Vertrauen in Presse, Politik, Staat und Wissenschaft. Und in diesem Falle in KatS-Kräfte. Aus solchen Falschmeldungen entstehen Diskurse, die keinerlei Verbindung mehr zur Realität der demokratischen Ordnung und ihren Institutionen haben. Das ist also der eine Teil der Strategie: ein bewusst gezeichnetes Bild eines dysfunktionalen Systems.

Und nun schauen wir auf die andere Seite. Gegenüber dem Bild der Dysfunktionalität taucht (vornehmlich auf Social Media) ein Bild einer selbstorganisierten Retterschaft auf. Das Bild der „Anpacker“, die ohne Bürokratie und ohne jegliche Scheu in die Katastrophengebiete fahren und dort einfach „anpacken“.

Einige der Helfer filmen permanent im Katastrophengebiet und senden die Videos live bei Facebook. Dabei bedienen auch sie häufig das Narrativ den untätigen Staates, selbst wenn sie permanent mit professionellen KatS-Kräften interagieren. Der einzelne Traktorfahrer kann aber die Gesamtlage gar nicht beurteilen, er weiß gar nicht, ob parallel zu seinem „der Staat tut hier nichts“, was millionenfach geklickt wird, nicht alle Kräfte 10 Kilometer weiter für Bergung von Menschen gebraucht werden. Er sieht nur, „hier ist gerade keiner“ – und verbreitet diese Nachricht. Hier zeigt sich auch eine weiterer Parallele zum Unterschied zwischen ehrenamtlicher und professioneller Arbeit: Journalisten ordnen ein, stellen Nachfragen, holen sich Informationen, aber konfrontieren offizielle Stellen auch mit Kritik – und versuchen im Idealfall mit einer umfassenden Darstellung eine bestmögliche Annäherung an die Wirklichkeit zu liefern.

So entstehen dann Bilder und Narrative, die äußerst anschlussfähig für Volkszorn, Wutbürger, Querdenker und Rechtsextreme sind: So werden zum Beispiel Motive von rettenden Bauern gefeiert, die sich um alte Menschen kümmern. Warum ausgerechnet Bauern? Sicherlich leisten auch Landwirte mit ihren Maschinen vor Ort wichtige Hilfe. Das steht völlig außer Frage und ist auch in keiner Weise Bestandteil einer Kritik. Hier geht es lediglich um die Kommunikationsstrategie, die bewusst das Bild der helfenden Bauern aufgreift und auch glorifiziert. Das bedeutet, die Social Media Kommunikation, in der speziell Bauern als Bevölkerungsgruppe als die eigentlichen Helden der Flutkatastrophe dargestellt werden. Das romantisierte Bild des Bauern wird hier bewusst als Kontrast zu einer urbanen, politischen Elite eingesetzt, die sich angeblich vom Volk entfremdet hat. Eine urbane Elite, die mit ihren Strukturen und KatS-Kräften angeblich nichts tun.

Dass es gerade Teile dieser vermeintlich Abgehobenen Eliten sind, die seit Jahren vor den verheerenden Folgen des Klimawandels warnen, wird genauso ausgeblendet wie professionelle und private Hilfe, wenn sie von den „Falschen“ kommt. So rief zum Beispiel die grüne Bürgermeistern des benachbarten Bonn unmittelbar nach der Katastrophe die Einwohner ihrer Stadt auf, mit Unterkunfsangeboten, Sach- und Geldspenden zu helfen. Die Resonanz war überwältigend, passt aber nicht ins Blut-und-Boden-Bild einiger, die aus der Hilfsbereitschaft lieber ein spaltendes Süppchen kochen wollen. Die Message: Nur das „wahre Volk“, vor allem das „Landvolk“ hilft sich selbst, alle anderen versagen. Auch die Jugendorganisation der NPD (Junge Nationalisten) spielen ebenfalls mit diesem Narrativ. Sie propagieren „Wir helfen, wo der Staat versagt“ und organisieren in dem Projekt „Jugend packt an“ Spenden.

Das ist an dieser Stelle eine ganz wichtige sinnstiftende Erzählung. Denn das romantisierte Bild des Bauern wirkt hier auch als Kontrastpunkt zu einer urbanen, politischen Elite, die sich vom Volk entfremdet hat. Eine urbane Elite, die mit ihren Strukturen und KatS-Kräften als Versager dargestellt wird.

Grundsätzlich gilt, dass jede Art von Hilfe natürlich wichtig ist. Das soll auch niemandem abgesprochen werden. Das Problem an dieser Stelle liegt jedoch darin, dass die Hilfe mit einer politischen und auch teilweise rechtsextremen Botschaft gekoppelt ist. Letztendlich also eine Art Imagekampagne, die dort abläuft. „Wir helfen, wo der Staat versagt“. Das ist natürlich eine Botschaft, die bei dieser Spendenaktion deutlich in den Vordergrund gerückt wird. Dabei wird ausgelassen, dass es Spenden gibt. Es wird ausgelassen, dass ein organisierter Katastrophenschutz vor Ort ist und dass dieser Katastrophenschutz rund-um-die-Uhr tätig ist. All das wird hier ausgeblendet.

Das Problem: Unkoordinierte Helfer, politische Kampagnen

Wir sehen also, dass hier versucht wird, ein Bild des Systemversagens auf verschiedenen Ebenen zu zeichnen. Wie sehr das koordiniert ist, kann ich nicht sagen. Diese Kommunikation auf Social Media sorgt jedoch dafür, dass selbstorganisierte Helfer in das Katastrophengebiet drängen und dort sogar kontraproduktiv wirken können. Diese Einzelpersonen oder Gruppen sind eventuell nicht in der Lage, bestehende Gefahren einschätzen zu können.

Sie bringen sich dann unter Umständen zusätzlich in Gefahr und  binden dann Hilfskräfte, die ohnehin schon genug zu tun haben. Gleichzeitig können durch unkontrollierte Anreisen wichtige Verkehrsadern und Rettungswege verstopft werden. Wir sehen deutlich, dass ein einfaches (und auch gut gemeintes) „Anpacken“ am Ende Probleme mit sich bringt, wenn dieses nicht mit den KatS-Kräften vor Ort koordiniert wird. Noch schlimmer, wenn sie als Para-Katastrophenschutz komplett neben den offiziellen Kräften laufen. Einfach hinfahren und anfangen ist keine Lösung, sondern kontraproduktiv in Bezug auf die KatS-Kräfte. Wenn Externe helfen wollen, dann führt kein Weg daran vorbei, dass sie sich in irgendeiner Weise in die organisierten Strukturen einbinden lassen. Das heißt nicht, das sie sich den formellen Rettungskräften „unterstellen“ müssen, sondern vielmehr, dass sie sich erfassen und einzelnen Einsatzstellen (z.B. bereits gesichteten und gesicherten Gebieten) zuweisen lassen.

Doch darum geht es in weiten Teilen der Social Media Kommunikation gar nicht. Einige der Gruppen vor Ort haben augenscheinlich auch gar kein Interesse daran, sich vor Ort in die bestehenden Katastrophenschutzkräfte eingliedern zu lassen. Von einer ganz besonderen Gruppe wusste dann die Polizei Koblenz zu berichten. Am gestrigen Dienstag (21.07.2021) schrieb die Polizei auf Social Media:

Uns ist bekannt, dass sich aktuell Rechtsextremisten als „Kümmerer vor Ort“ ausgeben. Wir haben die Lage in Bezug darauf genauestens im Blick und mit zahlreichen Polizisten vor Ort. Polizeiliche Maßnahmen brauchen allerdings immer eine Rechtsgrundlage. Solange nicht gegen geltendes Recht verstoßen wird, haben wir als Polizei keine Handhabe. Wir werden in Abstimmung mit der technischen Einsatzleitung mit aller Entschiedenheit gegen Menschen einschreiten, die unter dem Anschein von Hilfe die Lage für politische Zwecke missbrauchen.

Der gezielt gesetzte Keil

Mittlerweile wird sehr deutlich: Hier wird in der Kommunikation auf Social Media gezielt ein Keil gesetzt. Durch diese Kommunikation wird ein dysfunktionaler oder repressiver Staat gezeichnet und auf der Gegenseitige ein romantisiertes Bild der selbstorganisierten Retter mit politischer Botschaft inszeniert. Wir finden ein bewusst falsch romantisch verzerrtes Bild von selbstinitiierten Helfern vor. Diese stammen aus dem völkischen, teils rechtsextremen, aber auch aus dem Querdenker Milieu.

Aber natürlich finden wir auch Menschen, die Aufgrund dieser Darstellungen eine ehrliche Hilfe leisten wollen. Wir müssen auch ganz klar trennen und hier den Anlass der Hilfe bewerten: Will ich helfen um der Hilfe willen oder will ich einfach nur vor Ort sein, um eine politische Agenda zu verbreiten?  Und Hetze und Falschaussagen zu verbreiten, um die Menschen zu verunsichern oder gar aufzustacheln, ist ein enormes Problem. Dadurch findet eine Spaltung der Bevölkerung statt, die sich in der dazugehörigen Diskussion auf Social Media ebenfalls erkennen lässt.

Ich für meinen Teil habe bisher noch nie erlebt, dass Rettungskräfte und Katastrophenschutz gezielt schlecht geredet worden sind. Das ist im Umfang der Flutkatastrophe mir gegenüber zum ersten Mal aufgetaucht. Neben Falschmeldungen sind auch eine Menge subjektiver Ansichten unterwegs, welche die Arbeit der KatS-Kräfte kritisieren. Natürlich liegt das auch in der Natur von Social Media, dass nun auf einmal jeder von uns zum Sender werden kann und Inhalte verbreiten kann. Das geschieht zu der Flutwasserkatastrophe in Deutschland in diesem Umfang zum ersten Mal.

Das schlimme ist: Alles auf dem Rücken der Geschädigten. Von diesen Kommunikationsstrategien haben die Leute, die in den Fluten alles verloren haben, gar nichts.

Artikelbild von M. Volk / Shutterstock.com


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