Der offene Brief von „Ärzte stehen auf“ enthält viele Falschinformationen

Autor: Ralf Nowotny

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Faktencheck
Faktencheck

Ein offener Brief, von vielen Ärzten unterzeichnet, verunsichert, doch er enthält auch viele Falschinformationen.

Im Allgemeinen kann man Ärzten und Medizinern vertrauen, zumindest wenn es sich um ihr Fachgebiet handelt. Skeptischer sollte man sein, wenn zwar eine Menge Ärzte einen offenen Brief unterzeichnen, es sich aber eher um Quantität, nicht um Qualität handelt – denn nicht nur die Ärzte sind größtenteils nicht vom Fach, auch die Behauptungen in dem offenen Brief sind nachweislich falsch.

Der offene Brief

Eine lokale Nachrichtenseite (archiviert HIER) veröffentlichte Mitte Dezember diesen offenen Brief, der von vielen Ärzten unterzeichnet wurde, und an die Regierung gerichtet ist. Darin wird angeprangert, dass auf Ungeimpfte ein wachsender Druck aufgebaut wird, sich impfen zu lassen.

Als Begründung, warum Impfungen weder gerechtfertigt noch ethisch vertretbar seien, werden sogar mehrere Studien angeführt und Zahlen genannt – jedoch sind diese Zahlen zum Teil falsch, zum Teil werden Informationen ausgelassen, weitere Behauptungen sind schlichtweg falsch.

Die hauptsächlichen Behauptungen im Faktencheck

Im Folgenden gehen wir nicht jede einzelne Behauptung des offenen Briefes durch, sondern konzentrieren uns auf die hauptsächlichen Behauptungen in dem offenen Brief, die dessen These, dass der Nutzen der Impfungen nur marginal seien, stützen sollen.

Die Studie aus Israel

In dem offenen Brief wird eine Studie aus Israel aufgeführt, in der je 596.618 Geimpfte und Ungeimpfte hinsichtlich des Risikos COVID-bedingter Hospitalisierung oder Tod verglichen wurden. Wie fast alle Quellenverweise des Briefes, wurde sie nicht verlinkt (und die wenigsten machen sich die Mühe, danach zu suchen), sie ist jedoch HIER als PDF öffentlich einsehbar.

Die Studie erschien im „The New England Journal of Medicine“ und trägt den Titel „BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine in a Nationwide Mass Vaccination Setting“. Die Behauptung im offenen Brief lautet: „Die relative Risikoreduktion von Geimpften bezüglich einer Krankenhausbehandlung betrug 58% – was bereits viel weniger ist, als die Zulassungsstudien vermuten ließen“.

Diese Zahl ist jedoch frei erfunden. Die Studie aus Israel bestätigt nicht nur die Effektivität der Impfungen, sondern nennt zur Hospitalisierung auch ganz andere Zahlen:

Die relative Risikoreduktion nach Impfungen
Die relative Risikoreduktion nach Impfungen (Quelle)

Demnach liegt die relative Risikoreduktion einer Hospitalisierung nicht bei 58% (wie behauptet), sondern bei 74% 14 bis 20 Tage nach der ersten Impfung und 87% 7 Tage nach der zweiten Impfung.

Die Studie aus Schweden

Die Studie (siehe HIER) trägt den Titel „Effectiveness of Covid-19 Vaccination Against Risk of Symptomatic Infection, Hospitalization, and Death Up to 9 Months: A Swedish Total-Population Cohort Study“ und stammt aus dem Oktober 2021. Wichtig zu wissen: Es handelt sich dabei um einen Preprint, also eine Vorveröffentlichung, die noch nicht peer-reviewed, also noch nicht von anderen Experten eingesehen und bewertet wurde.

In der Studie steht auch tatsächlich, wie in dem offenen Brief angegeben, dass die Impfeffektivität nach sechs bis sieben Monaten stark abgesunken ist. Übertrieben in dem Brief ist allerdings, dass „nicht mehr von einem Schutz ausgegangen werden kann“, da nach 6 Monaten immer noch ein Schutz von 42% bis 59% (je nach Alter und Impfstoff) vorlag.

Das ist natürlich trotzdem nicht prickelnd, weswegen es ja mittlerweile möglich ist, sich bereits nach drei Monaten eine Booster-Impfung geben zu lassen, nicht erst nach sechs Monaten.

Was zudem im offenen Brief unter den Tisch fallen gelassen wird: Die Studie aus Schweden erwähnt auch, dass die Impfungen zwar in der Wirksamkeit allgemein sinken, jedoch der Schutz vor schweren Erkrankungen für bis zu 9 Monate nach der Impfung hoch bleibt, allerdings nicht bei Männern, älteren gebrechlichen Personen und Personen mit Begleiterkrankungen.

Gegen schwere Erkrankungen schützen die Impfungen bis zu 9 Monate
Gegen schwere Erkrankungen schützen die Impfungen bis zu 9 Monate (Quelle)

Die Studie stärkt im Schluss sogar die evidenzbasierte Begründung für die Verabreichung einer dritten Auffrischungsdosis.

Die Risiken der COVID-19 Impfstoffe

Im offenen Brief wird behauptet, dass bereits 156.360 Nebenwirkungen gemeldet wurden, davon 1.450 tödlich verlaufende, wobei die Dunkelziffer „wahrscheinlich um ein Vielfaches höher“ sei.

Andersrum wird allerdings ein Schuh draus: Eher sind die Zahlen niedriger, da jeder Verdacht auf eine Nebenwirkung, und wenn er noch so unwahrscheinlich ist, gemeldet wird, zudem handelt es sich nicht um bestätigte Nebenwirkungen, sondern um Verdachtsfälle, die noch nicht geprüft wurden. Wir berichteten bereits öfters darüber, unter anderem HIER und HIER.

Die Infektiosität von Geimpften und Ungeimpften

Es wird behauptet, dass sich weder die Viruslast noch die Anzahl der Personen, an welche die Infektion weitergegeben wird, zwischen Geimpften und Ungeimpften unterscheiden, Geimpfte seien also genauso ansteckend wie Ungeimpfte.

Die im offenen Brief angeführte Studie (siehe HIER) untersuchte 699 Geimpfte und Ungeimpfte. Dabei wurden tatsächlich nur wenig Unterschiede zwischen der Infektiosität von Geimpften und Ungeimpften gefunden.

In einer anderen Studie jedoch (siehe HIER) wurden weitaus mehr Personen untersucht, nämlich insgesamt 146.243 Teilnehmer. Diese zeigte, dass durch die Impfungen die Verbreitung der derzeit noch dominierenden Delta-Variante signifikant verringert wurde.

Was kann man nun daraus schließen? Eigentlich nur, dass es noch nicht eindeutig ist, wie stark die Verbreitung des Coronavirus durch Impfungen verhindert wird, insbesondere da es noch keine verlässlichen Daten bezüglich der kommenden Omikron-Variante gibt.

Doch ist das absolut kein Grund, deswegen die Impfungen abzulehnen, denn sie helfen trotzdem gegen schwere Erkrankungen und Hospitalisierungen, wie wir oben bereits klargestellt haben.

Fazit

Der offene Brief, welcher zum größten Teil von Allgemeinmedizinern, Homöopathen, Augenärzten, GeburtshelferInnen, GynäkologInnen, Psychiatern und Tierärzten, also Medizinern, deren Fachgebiet nicht gerade Virologie ist, unterzeichnet wurde, zeigt in mehreren Punkten eklatante Fehler und irreführende Falschinformationen.

Auch wenn wir im Rahmen dieses Artikels nicht auf jede einzelne Behauptung eingehen konnten, so zeigen doch bereits die oben aufgeführten Hauptpunkte, dass der offene Brief nicht als Argumentation gegen die Impfungen geeignet ist.


Weitere Quelle: dpa
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