Nein, MMR-Impfungen enthalten keine „Krebsgene“!

Autor: Ralf Nowotny

Nein, MMR-Impfungen enthalten keine "Krebsgene“!
Artikelbild: Lightspring / Shutterstock

Auf Facebook kursiert in bestimmten Kreisen anscheinend wieder ein Artikel, in dem behauptet wird, MMR-Impfungen, seien dafür konzipiert, Krebs zu erzeugen.

So behauptet die Seite „GM-Gesund-Magazin“, dass „MMR-Impfstoffe die vollständige Gensequenz eines bestimmten menschlichen (abgebrochenen) Babys enthalten, dessen Gene modifiziert wurden, um Krebs zu exprimieren“ – MMR-Impfungen sollen demanch Krebs erzeugen.

Die Facebook-Vorschau des Artikels
Die Facebook-Vorschau des Artikels

Die Behauptung

Jener Artikel beruft sich bei der Nachricht auf andere Artikel, in denen behauptet wird, ein italienisches Forscherteam habe diese Entdeckung gemacht. Demnach sollen sich in den Impfungen Teile der MRC-5 Zelllinie befinden, die von einem abgetriebenen Fötus stammt, und in jener Zelllinie haben die Forscher angeblich 560 „abnorme Gene“ gefunden, die mit Krebs in Verbindung gebracht werden.

Was genau ist MRC-5?

Die Abkürzung bedeutet „Medical Research Council cell strain 5″ (Medizinischer Forschungsrat, Zellstamm 5). Es handelt sich um fibroblastische Zellen aus der Lunge eines männlichen Fötus, der mit 14 Wochen abgetrieben wurde. Die Abtreibung wurde im September 1966 wegen psychischer Probleme der 27-jährigen Mutter, die ansonsten körperlich gesund war, vorgenommen.

Was hat MRC-5 mit Impfungen zu tun?

Bereits in den 1960er-Jahren fand Leonard Hayflick heraus, dass sich Viren, die für bestimmte Impfungen benötigt werden, in menschlichen Stammzellen im Labor besser entwickeln als in tierischem Gewebe oder lebendigen Tieren, wie zuvor zumeist praktiziert wurde. Besonders Rötelnviren, die in abgeschwächter Form dann in der Rötelnimpfung enthalten sind, entwickelten sich sehr gut und schnell.

Heute werden hauptsächlich zwei Zelllinien aus abgetriebenen Föten für die Entwicklung von einer Vielzahl von Impfstoffen eingesetzt:
WI-38 und das erwähnte MRC-5.

Wo findet sich die Studie?

Wer sich nun auf der Suche nach der Studie auf wissenschaftlichen Seiten verheddert und langsam verzweifelt, dass diese dort nicht zu finden ist, der sei beruhigt: Die Studie erschien auch nie in einem Fachmagazin.

Einzig und alleine auf der Seite von Corvelva, der italienischen Forschergruppe, findet sich diese Studie, eine PDF-Datei in Englisch mit 10 Seiten. Die Gruppe selbst nennt die Studie „Vaccinegate“.

Was sind die konkreten Erkenntnisse in der Studie?

Oben schrieben wir bereits, dass viele Impfstoffe in Zelllinien von zwei abgetriebenen Föten aus den 1960er-Jahren entwickelt werden und es sich um Zelllinien aus der Lunge handelt. Dies ist auch kein großes Geheimnis, weswegen die Erkenntnisse der Studie teilweise sehr erstaunen:

  • Die gefundenen Zelllinien gehören zu einem menschlichen Fötus
  • Die Zelllinie scheint sehr alt zu sein, wahrscheinlich aus den 1960er-Jahren
  • Die entdeckte fötale DNA sei ein komplettes, individuelles Genom, sprich: Die komplette DNA sei enthalten
  • Jene humangenetische DNA sei „abnormal“
  • 560 Gene jener DNA werden mit Krebs in Verbindung gebracht und seien stark modifiziert worden
  • Unbekannte Genvariationen, deren Sinn und Zweck noch unklar ist, wurden ebenfalls entdeckt
  • Abnormal sei auch ein bestimmter Genomüberschuss

Welche Fragen sind offen?

Sehr viele. Während von Verschwörungstheoretikern gerne angenommen wird, dass alle Wissenschaftler unter einer Decke stecken und sich gegenseitig Rückendeckung geben, sieht es in Wahrheit so aus: Kein Wissenschaftler traut dem anderen.

Dies bedeutet, dass wissenschaftliche Erkenntnisse für andere Wissenschaftler nachvollziehbar und reproduzierbar sein müssen. Ansonsten hat man nämlich keine wissenschaftliche Studie, sondern einfach nur einen Haufen Behauptungen, die einfach geglaubt werden sollen. Und Wissenschaftler glauben nicht gerne, sondern sie wollen wissen, deswegen sind sie ja auch Wissenschaftler!

Und genau daran hakt nun diese Studie: Sie besteht aus 10 Seiten Behauptungen, ohne auch nur im Kleinsten nachzuweisen, wie diese Erkenntnisse denn überhaupt gewonnen wurden.

Ein Beispiel: In der Studie wird behauptet, die Erkenntnisse seien mithilfe von NGS (Next Generation Sequencing) erlangt worden, welche aber in der Studie „New Generation Sequencing“ genannt wird (man sollte eigentlich denken, dass Wissenschaftler, die diese Methode verwenden, auch wissen, was die Abkürzung bedeutet).

  • Wie wurden die Proben für das NGS vorbereitet?
  • Wie entdeckten sie, dass menschliche DNA nachweisbar ist?
  • Wie wurde die DNA amplifiziert, um sie deutlich nachzuweisen?
  • Wie wurden die Messungen durchgeführt?
  • Welche Berechnungsmethoden wurden angewendet?
  • Wie verlief die Sequenzierungsanalyse?
  • Wie wurde sichergestellt, dass es keine Kreuzkontamination durch Mitarbeiter gab?

Dies sind für exakte Studien sehr wichtige Punkte, die in der Studie nicht berücksichtigt wurden, was wohl auch ein Grund ist, weswegen sie in keiner wissenschaftlichen Publikation zu finden ist: Ohne Beantwortung der obigen Punkte kann kein anderer Wissenschaftler die Ergebnisse nachvollziehen.

Einfach ausgedrückt: Wenn ein Schüler in der Mathearbeit nur die Ergebnisse hinschreibt, ohne den Rechenweg zu schildern, weiß der Lehrer nicht, ob der Schüler nicht einfach nur einen Taschenrechner benutzte oder die Ergebnisse vorher wusste. Dann gibt es auch keine gute Note!

Weitere Ungereimtheiten der Studie

Es kommt noch besser: Da Corvelva anscheinend einige Messungen nicht selbst vornehmen konnte, wurden laut deren Aussage eine (!) Probe an ein Labor in den USA geschickt (dessen Namen sie nicht nennen wollen), die Messergebnisse wurden dann verwendet.
Was für ein Labor? Warum wird sich auf Nachfragen geweigert, es zu nennen? Warum nur eine Probe?

Dazu kommen noch die „genetischen Anomalien“: Corvelva vergleicht die angeblich gefundenen Sequenzen mit denen eines normalen, menschlichen Genoms in einem Kreisdiagramm. Womit es aber nicht verglichen wurde: mit der MRC-5 Zelllinie. Woher wissen sie denn nun, dass das angeblich gefundene Genom denn nun zu MRC-5, WI-38 oder einer anderen Zelllinie gehört, die weniger häufig verwendet wird?

Und dann haben wir da noch die 560 krebserzeugenden Gene. Welche Gene? Wie wurden sie „modifiziert“? Selbst wenn sich „modifizierte, krebserregende Gene“ in Impfungen befänden: Wo sollen die denn hin? Impfungen werden intramuskulär verabreicht, wie sollen die Gene sich denn im Körper ansiedeln? Solche Gene werden nicht dann einfach in die eigene DNA aufgenommen, und selbst wenn diese in einen Zellkern geraten würden, wäre eine Neuordnung der Zelle nicht nur absolut zufällig, sondern auch noch sehr selten: Im Grunde also die denkbar unwirtschaftlichste Methode, um Menschen mit Krebs zu infizieren!

Kurz angerissen: die Zellen in den Impfungen

Das ist ein echtes Lottospiel: Die in den Impfungen enthaltenen Viren werden in fötalen Zelllinien gezüchtet. Bei der Verpackung von Impfstoffen werden die Viren, salopp gesagt, aus dem Nährboden entnommen und abgefüllt. Es kann aber vorkommen, dass in seltenen Fällen tatsächlich auch winzigste Teile des Nährbodens, also der fötalen Zelllinie, ebenfalls mit in die Impfung geraten, worauf auch bei den Inhaltsangaben von Impfungen hingewiesen wird.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass das ein Regelfall oder Absicht ist, und besonders bedeutet es nicht, dass sich plötzlich komplette, menschliche Genome, nicht nur Zelllinien einer fötalen Lunge, in den Impfungen befinden.

Fazit

Die Studie ist in sehr vielen Punkten inakkurat. Die Forschergruppe „Corvelva“ trat nicht zum ersten Mal mit zweifelhaften Studien auf, im Prinzip handelt es sich nur um eine italienische Impfgegner-Seite, die versucht, mit pseudowissenschaftlichen „Studien“ seriös zu wirken, deren Veröffentlichungen, die nur aus Behauptungen bestehen, aber keinem wissenschaftlichen Anspruch standhalten.

Die Behauptung, dass sich „Krebsgene“ in Impfungen befänden, ist somit als falsch einzustufen.

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