Klingelschilder und die DSGVO: Darum darf man die Schlagzeilen bezweifeln!

Autor: Andre Wolf

Klingelschilder und die DSGVO: Darum darf man die Schlagzeilen bezweifeln!
Klingelschilder und die DSGVO: Darum darf man die Schlagzeilen bezweifeln!

Es begann in Wien: 220.000 Klingelschilder sollen aufgrund einer Beschwerde entfernt werden.

Angeblich dürfen aufgrund der neuen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) keine Namen von Mietern mehr auf den Klingelschildern stehen. Anlass hierzu war die Beschwerde eines (EINES!) Mieters, weil sein Name auf dem Klingelschild stand.

Daraufhin hat die magistratsinterne Datenschutzbehörde empfohlen, dass dem stattgegeben wird und in vorauseilendem Gehorsam wird Wiener Wohnen bis zum Jahresende (nach eigenen Angaben) die 220.000 Klingelschilder mit Namen entfernen. Was man hierbei erwähnen muss: eine Umrüstung stand sowieso auf dem Plan und somit entfallen Extrakosten.

An dieser Stelle muss man aber auch Wien verstehen und kennen, denn das ist vielen Menschen (gerade in Deutschland) nicht bekannt: In Wien ist es geradezu typisch, dass eine Wohnung nach Wohnungsnummer und Stiege angegeben wird. Das ist recht normal, da wohnt man eben in der XYZgasse 17/3/8 und am Klingelschild steht dann wirklich TOP 8. Es ist daher in Wien recht unerheblich, welcher Name auf dem Klingelschild steht, da mit der Angabe von Hausnummer, Stiege und Wohnungsnummer bereits alles gesagt ist.

Typische Wiener Klingelschilder / Foto Mimikama
Typische Wiener Klingelschilder / Foto Mimikama

Schlagzeilen

Doch nun kommen die Schlagzeilen und dramatisieren diesen Vorfall, speziell in Deutschland. Da wird mal schnell der Teufel an die Wand gemalt und auf einmal bekommen alle Menschen, angestachelt von einer schlecht recherchierten Boulevardberichterstattung, Angst um ihr heiliges Klingelschild! Die BILD macht beispielsweise aus Klingelschildern gar eine Art traditionelles Volksgut, indem man das Possessivpronomen „unsere“ nutzt (vergleiche).

A) Aussagen wie „Namen an Klingelschildern sind nach DSGVO verboten“ sind schon mal Schwachsinn, denn jeder hat natürlich das Recht, den eigenen Namen auf das Klingelschild zu schreiben.

B) Die Anweisung für Wiener Wohnen kann nicht auf andere Länder und Städte übertragen werden (die Frage ist, ob im Falle von Wiener Wohnen die Anweisung nicht bereits eine Fehlinterpretation ist). Ferner: Auch wenn mehrere Medien es schreiben  es gab kein Verfahren, keine Klage und kein Urteil.

C) Aussagen wie „Vermieter müssen die Namen an den Klingelschildern der Mietwohnungen entfernen“ sind völliger Bullshit, speziell dann, wenn die Mieter ihre Namen selbst angebracht haben.

D) Bei klassischen Klingelschildern, die numerisch am Haus angebracht sind und keinerlei Struktur des Hauses erkennen lassen, findet keine Datenverarbeitung statt, der man zustimmen hätte müssen.

Klingelschilder dürften von der DSGVO daher im Grunde unberührt sein, was mittlerweile auch mehrere Juristen aussagen. Die DSGVO dürfte schlichtweg falsch ausgelegt worden sein und ist nun von Boulevardmedien zu ihrem neuen Lieblingsthema erkoren. Rechtsanwalt Dr. Thomas Schwenke schreibt beispielsweise auf Facebook:

Also, der einzige Irrsinn ist diese Schlagzeile selbst. Entweder wurde gar nicht recherchiert oder man ließ die Meinungen der Datenschutzexperten weg, da die Schlagzeile dann nicht mehr gerechtfertigt wäre.

1)  Es wird bereits bezweifelt, ob die DSGVO auf Klingelschilder anwendbar ist. Sie stellen weder eine „automatisierte Verarbeitung“ noch „Dateisysteme“ dar.*

2) Aber auch wenn die DSGVO anwendbar wäre, dürfen Klingelschilder auf Grundlage berechtigter Interessen der Vermieter angebracht werden.** Mieter müssen (derzeit) vernünftigerweise damit rechnen, dass Klingelschilder angebracht werden, z.B. damit die Post ankommt  und können bei Bedarf widersprechen.

Falls Sie Vermieter sind, müssen sie daher weder Einwilligungsanfragen verschicken, noch mit dem Schraubenzieher losziehen.

Zudem verweist er in der Statusmeldung auf einen Artikel von Rechtsanwalt Prof. Niko Härting, der ebenfalls ganz klar und deutlich angibt, dass Klingelschilder nicht unter die DSGVO fallen:

Eine Datenauswertung, die über die Informationen hinausgeht, die sich aus den Klingelschildern selbst ergeben, wird durch die Beschilderung nicht ermöglicht.

Härting weist aber darauf hin, dass die DSGVO jedoch dann gültig ist, wenn die Klingelschilder auf einem Monitor abgebildet sind (wie bei moderneren Klingelanlagen). Wer noch die normalen Metallplättchen oder Plastikfächer neben dem Klingelknopf hat, den betrifft die DSGVO nicht. Gemäß Härting fehlt hier die eindeutige Struktur, die notwendig wäre, um die DSGVO gelten zu lassen.

Der gesamte Artikel von Rechtsanwalt Prof. Niko Härting findet sich auf cr-online.de .

Alles Unsinn!

So vermeldet auch das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht, dass die Klingelschildhysterie völlig fehl am Platz ist. Auch dort ist man der Ansicht, dass die Pläne der Wiener Wohnungsbaugesellschaft, wegen der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) Klingelschilder bei Wohnblocks zu entfernen, unsinnig sind. Da es auch in Deutschland derartige Bestrebungen gibt, ist es dem Landesamt notwendig, klar und deutlich darauf hinzuweisen, dass es eine derartige Notwendigkeit aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht gibt. Die Namen auf Klingelschildern sind personenbezogene Daten. Die Datenschutz-Grundverordnung gilt für die „ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen“. Das Anbringen von Klingelschildern ist keine automatisierte Verarbeitung. Selbst wenn man zu der kaum vertretbaren Auffassung gelangen sollte, dass gedruckte Namensschilder der Bewohner aus einer automatisierten Verarbeitung entstanden sind und die Anordnung der Klingelschilder im Eingangsbereich in einem Dateisystem erfolgt, weil sie die Lage der Wohnung wiedergibt und es damit zu einer Anwendung der Datenschutzgrundverordnung käme, wäre die Verarbeitung durch die Wohnungsbaugesellschaft in aller Regel nach Art. 6 Abs. 1 f DS-GVO datenschutzrechtlich zulässig.

In Einzelfällen mag es gerechtfertigt sein, dass der (richtige) Name von Bewohnern nicht auf dem Klingelschild steht. Bei gefährdeten prominenten Personen, Personen in einem Zeugenschutzprogramm oder bei Personen, die durch Stalking bedroht werden, mag eine pseudonymisierte Bezeichnung auf dem Klingelschild gerechtfertigt sein. Eine datenschutzrechtliche Notwendigkeit, alle Klingelschilder zu pseudonymisieren, das heißt den Namen durch eine andere Kennzeichnung wie Ziffern oder Buchstabenkombinationen zu ersetzen, gibt es nicht.

Zivilrechtlich, d.h. durch Hausordnungen oder sonstigen Vertrag kann das Ob und Wie (z.B. einheitliches Erscheinungsbild) der Klingelschilder geregelt werden. Dabei kann dann auch berücksichtigt werden, ob man wirklich Postdienstleistern, Rettungsdiensten und sonstigen Besuchern das Auffinden von Bewohnern erschweren möchte.

„Ich finde es sehr problematisch und auch sehr schade, dass durch diese unsinnigen Behauptungen die sehr gute Datenschutz-Grundverordnung als Begründung für etwas herangezogen wird, was sie gar nicht fordert und sie damit als „weltfremdes europäisches Recht“ diskreditiert wird. Äußerungen in der Art, dass ein Mieter sich nur bei der Aufsichtsbehörde beschweren müsse, wenn sein Klingelschild nicht entfernt werde und die Aufsichtsbehörde dann ein Bußgeld von 20 Mio. EUR verhängen werde, was rechtlich völlig ausgeschlossen ist, zeigt, dass es hier um Panikmache oder Streben nach Medienpräsenz geht, aber jedenfalls nicht um wirklichen Datenschutz,“ so Thomas Kranig, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Datenschutzaufsicht. (via Pressebericht)

Niemand muss also sein (eigenes) Klingelschild abreißen!

Wer weiterhin seinen Namen neben der Klingel haben will, kann und soll das auch in Zukunft weiterhin so haben. Das gilt übrigens auch im Fall von Wiener Wohnen, die allen Mietern das Recht eingestehen „ein Pickerl oder ein kleines Kärtchen [zu] nehmen“ und ihr Klingelschild selbst zu beschriften.

Also lassen wir an dieser Stelle einfach mal den Druck aus dem Kessel: niemand kann mir mein eigenes Klingelschild vor dem Haus verbieten, sofern ich es wünsche.

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