Hysterie – Wie eine Alltagssituation zum Polizei-Großaufgebot eskalierte

Autor: Ralf Nowotny

Der Alarmismus in unseren Köpfen
Der Alarmismus in unseren Köpfen

Anfang November ging eine Videoaufnahme durch die englische Presse: In Brighton, England spricht ein Mann ein kleines Mädchen in pinker Kleidung an.

Es ereignete sich am 5. November 2018 in der Nähe des Churchill Square Einkaufscenter in Brighton: Jemand beobachtete die Szenerie und meldete dies der Polizei, kurze Zeit später veröffentlichte diese Aufnahmen der Überwachungskameras:

Screenshots mimikama.org
Screenshots mimikama.org

Die Maschinerie wurde in Gang gesetzt

Hubschrauber suchten das Gebiet ab, jedes Auto, welches das Einkaufscenter verließ, wurde kontrolliert, weitere Zeugen wurden gesucht, 400 Taxifahrer bekamen die Beschreibung des Mannes und des Kindes. Wer hat dies auch beobachten können? Wo ist der Mann mit dem Kind hin? Kennt jemand die Personen? Wird irgendwo ein Kind vermisst?

Aufklärung nach Mitternacht

Die Polizei äußerte bereits, dass der Mann und das Kind sich eventuell kennen, vielleicht sogar verwandt sind. Nachts um halb eins, sieben Stunden nach der Veröffentlichung der Aufnahmen, gab die Polizei Sussex dieses Statement:

„Die Polizei, die einen Bericht über eine mögliche Kindesentführung in Brighton untersucht, kann bestätigen, dass das kleine Mädchen (…) tatsächlich bei ihrem Vater war, sie schläft sicher und gesund zu Hause.“

Kurz vor Mitternacht habe sich ein Mann aus Brighton bei der Polizei gemeldet, nachdem er auf die Aufnahmen im TV und in sozialen Netzwerken darauf aufmerksam wurde.
Er sei der Vater des Kindes; die Aufnahmen zeigen ihn und seine 3-jährige Tochter, die nicht nach Hause gehen wollte.
Die Polizei fuhr zu der angegebenen Adresse und konnte die Angaben des Vaters bestätigen.

Lieber auf Nummer Sicher gehen?

Uns kommen diese Art Ereignisse bekannt vor. Seit Jahren fahren hierzulande weiße Transporter durch die Gegend, die entweder Kinder oder Haustiere entführen, immer wieder werden vorschnell von Nutzern Warnungen vor angeblichen Organhändlern gepostet, die „aktuell“ im Ort XYZ unterwegs seien.
In den seltensten Fällen waren die Behauptungen richtig. Organhändler hat man noch nie aufgreifen können, das Gerücht ob deren Existenz hält sich jedoch hartnäckig. Beispielsweise war es in einem Fall einfach nur der Mitarbeiter einer Firma, der morgens immer mit seinem Transporter vor der Schule parkte, um sich telefonisch von seinem Chef die heutigen Aufträge durchgeben zu lassen.

Wir sehen eine alltägliche Situation. Ein Vater spricht mit seiner, anscheinend quengelnden, Tochter. Doch der Alarmismus in unseren Köpfen, hervorgerufen durch sehr viele (falsche) Meldungen, macht aus der Situation etwas Anderes: Wir sind Zeuge einer Entführung!

Wir denken nicht einmal dran, uns genauer zu vergewissern. Wir lauschen auch nicht, was die Beiden reden. Ein Erwachsener, der mit einem Kind spricht? Das kann nur ein pädophiler Entführer sein, kein Zweifel!

Das ist aber nicht mehr „auf Nummer Sicher gehen“. Das ist Hysterie.
Das ist eine Alltagssituation an einem Ort, an dem Eltern mit ihren Kindern unterwegs sind. Im Kopf aber wird der Alarm ausgelöst!

Zurück auf Null

Der Alarmismus in unseren Köpfen geht langsam zu weit, die Justierung ist vollkommen verstellt. Aufgeschreckt durch ständige Warnungen vor Pädophilen, vor Entführern, vor dem Schrecken an jeder Ecke und in jedem weißen Lieferwagen ist unsere Wahrnehmung von Ereignissen verschoben.

Wir sehen einen Vater mit seinem Kind und denken „Pädophiler“. Man muss sich schon besorgt umschauen, bevor man die Tochter in der Öffentlichkeit umarmt, vielleicht sogar (wie pervers!) einen Kuss auf die Wange drückt. Denn in jedem lauert dieser Alarmismus. „Bloß nicht in der Öffentlichkeit dem Kind Zuneigung zeigen, man könnte für einen Perversen gehalten werden!“.

Es wird Zeit, dass wir manche Dinge einfach so sehen, wie sie sind. Es wird Zeit, dass wir nicht hinter jeder Alltagssituation das Grauen vermuten.

Es wird Zeit, wieder menschlichzu denken.

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