Geimpfte Kinder sterben nicht häufiger

Die Gesundheit der eigenen Kinder liegt allen Eltern am Herzen. Deshalb bitte nicht durch Falschmeldungen verunsichern lassen!

Autor: Walter Feichtinger

Die Behauptung

Dreifach geimpfte Kinder sterben laut britischer Statistikbehörde 45mal häufiger als ungeimpfte

Unser Fazit

Diese Zahlen sind aus dem Kontext gerissen. Bei der Originalquelle wird erklärt, warum sie stark verzerrt sind. Deshalb ist diese Behauptung FALSCH.

Eine Postwurfsendung verunsichert wieder einmal mit gefährlichen Falschaussagen zu den Covid-Impfungen. Die zentrale Behauptung: „Dreifach geimpfte Kinder sterben 45-mal häufiger“ als ungeimpfte der Altersgruppe 10 bis 14 Jahre. Dabei beruft sich das Druckwerk auf Zahlen des Britischen Office for National Statistics (ONS). Dem Paul-Ehrlich-Institut und dem Robert-Koch-Institut wird Vertuschung und Schlamperei bei der Anzahl der Nebenwirkungen in Deutschland vorgeworfen. Aber können diese Zahlen wirklich stimmen?

MIMIKAMA
Der „Bürgerbrief“ der in vielen Briefkästen in Deutschland gelandet ist.

Die zitierten Zahlen stammen aus der Datensammlung „Deaths by vaccination status, England“ des ONS und betreffen Todesfälle zwischen 1. Jänner 2022 und dem 31. Mai 2022 und nur im britischen Landesteil England. Die ersten vier Spalten geben korrekte Aussagen und Zahlen der Altersgruppe 10-14 aus der Datenbank wieder, die letzten beiden Spalten finden sich so nicht bei ONS wieder. Diese entsprechen vielmehr einem laienhaften Verständnis von Statistik, das man auch als Milchmädchenrechnung bezeichnen könnte.

Die direkte Verwendung dieser Zahlen ist aus mehreren Gründen problematisch. Erstens aus statistischen Gründen: Bei sehr kleinen Fallzahlen (hier im einstelligen Bereich) führt eine Veränderung um nur einen Fall zu riesigen Sprüngen in den Prozentzahlen. Außerdem ist die Datensammlung leider nicht vollständig, was auch mit einem weit zurückliegenden Zensus in England und der Verknüpfung von mehreren verschiedenen Datenquellen geschuldet ist. Das klingt dann auch entsprechend kompliziert:

Der PHDA [Public Health Data Asset] ist ein verknüpfter Datensatz, der den Zensus 2011, die Daten des General Practice Extraction Service (GPES) für die COVID-19-Pandemieplanung und -forschung sowie die Krankenhaus-Episodenstatistik (HES) kombiniert. Er kombiniert demografische und sozioökonomische Faktoren mit Vorerkrankungen, die auf klinischen Aufzeichnungen basieren. Die PHDA deckt nur England ab und enthält eine Teilmenge von etwa 79 % der englischen Bevölkerung im Alter von 10 Jahren. […] Wir haben diesen einzigartigen Datensatz mit den Impfdaten des National Immunisation Management Service (NIMS) auf der Grundlage der NHS-Nummer [National Health Service] verknüpft, um zu analysieren, wie sich die ASMR [age-standardised mortality rates] nach Impfstatus unterscheiden.

Auszug aus der Publikation „Deaths involving COVID-19 by vaccination status, England: deaths occurring between 1 January 2021 and 31 May 2022“

Die Binnenmigration seit dem Zensus 2011 verzerrt die PHDA-Zahlen, ebenso das Fehlen von Datensätzen von vielen, jungen Ungeimpften:

Die PHDA-Daten enthalten aufgrund der Migration seit der Volkszählung 2011 geringere Anteile an Todesfällen in den jüngeren Altersgruppen. Der Anteil der Todesfälle von ungeimpften Personen, die in der PHDA enthalten sind, ist niedriger als bei geimpften Personen. Dies liegt daran, dass jüngere Menschen eher ungeimpft sind und daher weniger wahrscheinlich in die PHDA aufgenommen werden als geimpfte, ältere Menschen. Der prozentuale Anteil aller Todesfälle, die in der PHDA erfasst sind, nimmt im Laufe der Zeit leicht ab, da es mehr Todesfälle von Personen gibt, die nicht in der Volkszählung 2011 oder im Patientenregister des Allgemeinmediziners erfasst waren. Dieser Rückgang ist besonders ausgeprägt bei den Todesfällen von jüngeren und ungeimpften Menschen.

Eine weitere Verzerrung entsteht dadurch, dass Menschen aus Risikogruppen die Impfungen früher erhalten, als Gleichaltrige ohne Vorerkrankungen:

Die Nicht-COVID-19-Raten können durch Zusammensetzungseffekte beeinträchtigt werden, z. B. dadurch, dass jüngere Menschen mit Komorbiditäten [Mehrfacherkrankungen] früher geimpft werden als andere Menschen ihrer Altersgruppe. Dazu gehört auch der schlechtere Gesundheitszustand von Menschen, die sich nicht mehr impfen lassen, wenn sie Anspruch darauf haben.

Diese Auswirkungen werden im ONS-Bulletin „Todesfälle mit COVID-19 nach Impfstatus ab Dezember 2021“ diskutiert, der bereits in einem älteren Mimikama-Artikel eine wichtige Rolle spielte. Wie sieht es in Deutschland in dieser Altersgruppe aus? Wie lauten hier die Empfehlungen zur Boosterimpfung bei Kindern?

Die Auffrischungsimpfungen sollen vorzugsweise mit einem mRNA-Impfstoff (Comirnaty® von BioNTech/Pfizer ab 12 Jahren oder Spikevax® von Moderna ab 30 Jahren) durchgeführt werden. Kinder mit Vorerkrankungen und Immundefizienz im Alter von 5 bis 11 Jahren sollen eine Booster-Impfung bevorzugt mit Comirnaty® erhalten. Für Kinder im Alter von 6 bis 11 Jahren ist die Verwendung von Spikevax® laut Zulassung ebenfalls möglich. Schwangere sollen ausschließlich Comirnaty® erhalten.

Aktuelle Empfehlung des deutschen Gesundheitsministeriums für Risikogruppen

Fazit

Die Zahlen, die der „Bürgerbrief“ für seine Warnungen verwendet, sind ohne Kontext wertlos. Genau so verhielt es sich auch bei einer älteren Variante dieser Falschmeldung, die Anfang Februar 2022 auf Blogs und Social Media Kanälen verbreitet wurde. dpa-factchecking kam im März zu folgendem Schluss:

Viele der geimpften Kinder in der zitierten Statistik hatten eine Vorerkrankung. Die Sterblichkeitsrate in Risikogruppen ist höher als im Bevölkerungsdurchschnitt – unabhängig von einer Impfung. In Grossbritannien sind 2021 der Statistikbehörde zufolge weder Kinder noch Jugendliche aufgrund der Covid-19-Impfung gestorben.

Auszug aus dem dpa-Faktencheck vom 11. März 2022

Mehr zum Thema: Impfungen sorgen nicht für Übersterblichkeit

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