Fremde Federn – Die Geschichte des LKW-Fahrers

Autor: Ralf Nowotny

"Ich bin LKW-Fahrer"
Artikelbild: Shutterstock / Von Canetti

So mancher Beitrag auf Facebook lädt zum Nachdenken ein. Manches davon geht viral. Und manchmal tragen die Falschen die Lorbeeren.

Da gibt es auf Facebook eine Geschichte, welche im November 2019 weiter Verbreitung fand. Sogar so weit, dass der Ersteller des Postings, ein LKW-Fahrer, inklusive einem dem Facebook-Beitrag angefügten Foto von Sat.1 in der Sendung „akte“ gezeigt wird und er darüber spricht.

Doch ist es nie gut, sich mit fremden Federn zu schmücken, denn gerade bei Texten im Internet kann man schnell des Plagiats überführt werden. Und dies nicht nur bei Doktorarbeiten von Politikern, sondern auch bei ganz normalen Texten.
Doch fangen wir von vorne an…

Am 10. November 2019 veröffentlichte ein Nutzer namens Alois P. auf Facebook einen emotionalen Text, in dem er Radfahrer zu mehr Rücksicht im Straßenverkehr aufruft, da diese allzuleicht von LKW-Fahrern übersehen werden.

Der Beitrag des LKW-Fahrers
Der Beitrag des LKW-Fahrers

Der Beitrag im Wortlaut:

Liebe Fahrradfahrer,

ich bin LKW-Fahrer. Mein Fahrzeug samt Anhänger ist rundum beleuchtet, mit vielen Außenspiegeln ausgestattet, die den toten Winkel ausleuchten sollen, und ganz neu, mit super Bremsen. Ich habe gerade mit 100% den Augen- und Fitnesstest für weitere 5 Jahre Fahrerlaubnis bestanden.

Aber wenn IHR ohne Beleuchtung und in moderne Grautöne gehüllt durch die Gegend fahrt, dann seht ihr bestimmt ganz toll und ihr seht auch toll aus, aber ich sehe euch NICHT. Ein Rennradler meinte gerade eben,der im Gegensatz zu ihm hell erleuchteten Innenstadt Slalom durch die an der Ampel wartenden Autos fahren zu müssen. Du hattest bestimmt Spaß.

Ich, der ich gerade anfahren wollte und Dich im letzten Moment sah, nicht. Ein wenig später fuhr ein junges Mädchen in Fellkapuze gehüllt direkt vor mein Auto – ohne Licht auf einem Fahrradüberweg im Dunklen. Du hattest Vorfahrt.

Die hätte ich dir gerne gewährt, hätte ich Dich nur eher im Spiegel gesehen – ein funktionierendes Licht wäre hierfür eine gute Maßnahme. Dass Du mir noch den Stinkefinger zeigen konntest, hattest Du nur meiner blitzschnellen Reaktion zu verdanken – Dein Leben hing gerade am seidenen Faden.

Ich hatte kaum eine Chance. Dann bist Du weiter. Ich auch. Ich sitze jetzt hier und zittere noch ein wenig aus, überlege, wann wohl der nächste LKW-Fahrer ein Knirschen unter dem Rad hört und ein Leben aushaucht. Ich bete dafür, dass nicht ich es bin.

FAHRRADFAHRER, SORGT GEFÄLLIGST FÜR BELEUCHTUNG, WIR AUTOFAHRER TUN ES AUCH! IHR SPIELT MIT EUREM LEBEN UND UNSERER SEELE.

Bitte gerne teilen. Wenn aufgrund dieser – meiner – Geschichte nur ein Fahrrad zusätzlich beleuchtet und dadurch ein Leben gerettet ist, dann ist viel erreicht. Danke!

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Woher stammt das Bild?

Wie schon erwähnt, schaffte es der Text nicht nur auf Nachrichtenseiten, sondern sogar ins TV.
Natürlich sind auch wir von Mimikama auf den Beitrag gestoßen, doch bei der Sichtung fiel uns gleich eine Ungereimtheit auf: das Unfallfoto.
In dem Text heißt es, dass ein junges Mädchen fast ums Leben gekommen wäre, da sie im Dunkeln ohne Licht über einen Fahrradüberweg fuhr, der LKW-Fahrer aber gerade noch rechtzeitig bremsen konnte.

Das Bild jedoch zeigt einen LKW, einen Krankenwagen und ein kaputtes Fahrrad im hellen Tageslicht… das passt nicht so wirklich zu der beschriebenen Situation. Und tatsächlich: Das Bild hat nichts mit dem Text zu tun!

Das Bild wurde nach einem tödlichen Fahrradunfall in Bonn im Juni 2019 aufgenommen, worüber der WDR berichtete. Laut Polizei hatte der Fahrer des LKWs die Radfahrerin beim Rechtsabbiegen übersehen.

Aus der Fahrerin wird ein Fahrer

Nun könnte man noch argumentieren, dass der Ersteller des Beitrags das Bild nur zur Veranschaulichung der Gefahren verwendet hat. Das ist auch soweit in Ordnung, jedoch wurde das Bild dann auch im TV verwendet, was es schon rechtlich schwieriger macht.

Man könnte es darauf nun beruhen lassen, wenn nicht ein weiteres Detail die Erzählung von Alois P. trüben würde:
Der Text stammt gar nicht von ihm!

Am 2. Dezember 2018 wurde der Text an zwei Stellen von unterschiedlichen Leuten auf Facebook gepostet, doch keiner der Beiden ist der Urheber.
Urheberin ist nämlich Martina Ringel, die den Text erstmals am 20. November 2018 postete:

https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=743207062718163&id=100010866276358

Es ist nun unschön genug, dass der Text einfach kopiert wurde und sich nun jemand anderes mit den fremden Federn schmückte, jedoch wurde Frau Ringel nun auch anscheinend selbst des Plagiats beschuldigt (vielleicht hat niemand wirklich auf das Datum der Beiträge geachtet), weswegen sie sich als Urheberin des Textes zu erkennen gab und sich über die dreiste Kopie ihres Textes ärgert:

https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=988368048202062&id=100010866276358

Ein Auszug aus dem Text:

„Der Herr P., der mit diesem Text sehr aktiv ist, war nun gestern Abend bei Akte auf Sat1 zu diesem Thema zu sehen und geht auf seiner Seite so weit, sich darüber zu wundern, dass „in einem anderen Text“ die Stadt Pinneberg auftaucht – so nämlich in meinem.

Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn er mich gefragt hätte, ob er meinen Text verwenden dürfe, ihm sei es auch so ergangen, und er wolle damit an die Öffentlichkeit. Geschenkt.
Was mich nervt, ist, dass er meinen Text fast wortwörtlich übernimmt, einzelne Passagen verändert und ihn für den seinen ausgibt – auch mir gegenüber. Das nennt man copy and paste und Fälschung.“

Wir nahmen mit Martina Ringel Kontakt auf und möchten folgende Aussage von ihr ergänzen:

„Ich freue mich, dass dieser Text so viele Leute erreicht und sie zum Nachdenken und Diskutieren gebracht hat. Es scheint einigen Berufskraftfahrern ähnlich zu gehen. Ich habe meinen Text ausdrücklich zum Teilen freigegeben. Das bedeutet für mich, ihr dürft ihn, unter Angabe meines Namens als Quelle, komplett verwenden. Das bedeutet nicht, dass ihr ihn per „copy and paste“ und kleinen Änderungen auf eure Person passend umschreiben dürft.
Das ist hier passiert plus Drama-Foto und einer Erwähnung in einer Doku-Sendung. Und trotz meiner Intervention bei dem Umschreiber kam es weder zu einer Entschuldigung noch zu einer Richtigstellung.
Somit hat ganz klar jemand mit einem Plagiat geglänzt. Wenn Politiker ihre Doktorarbeit auf diese Weise aufhübschen, schreien alle auf. Und hier soll das in Ordnung sein?“

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Die Sache mit dem Urheberrecht

Gerade bei Texten ist es eine schwierige Angelegenheit, wenn es um das Urheberrecht geht, wie Rechtsanwalt Dr. Thomas Schwenke auf dem BlogAllFacebook“ erklärt. So sind Ideen und Fakten nicht urheberrechtlich geschützt, jedoch die „individuelle Art und Weise“, wie diese niedergeschrieben wurden.

Beispielsweise sind die Fakten in unseren Artikeln nicht geschützt, sie dürfen überall niedergeschrieben werden. Jedoch unsere Artikel selbst, also die Art und Weise, wie wir die Fakten erklären, dürfen nicht einfach so ohne Quellenangaben kopiert werden.

Auch kürzere Texte, einzelne Sätze oder Worte unterliegen nicht automatisch dem Urheberrecht, da „textliche Kreativität einen Raum zur Entfaltung braucht“, wie Dr. Schwenke schildert.

Bei dem Text von Martina Ringel handelt es sich um einen längeren Text im Stil eines Blogeintrages. Er enthält persönliche Schilderungen von Vorfällen und Fakten, die sie auf ihre individuelle Art und Weise schildert.
Sie hat den Text zum Teilen freigegeben, allerdings unter der Prämisse, dass sie als Urheberin weiterhin ersichtlich ist. Das geht, indem man ihren Beitrag teilt oder den Text kopiert, aber auf ihren Beitrag verweist, mindestens jedoch mit ihrem Namen.

Bei den diversen Kopien des Textes wurde jedoch Frau Ringel an keiner Stelle erwähnt, im Gegenteil wurde sich der Text sogar zu Eigen gemacht, was in diesem Fall einen eindeutigen Verstoß gegen das Urheberrecht darstellt. Noch schwerwiegender ist es, wenn durch die Veröffentlichung des Textes in anderen Medien auch noch durch Plagiatoren Geld eingenommen wurde, z.B. durch Honorare für Interviews.

Fazit

Ein emotionaler Text, der im Ursprung Radfahrer um mehr Rücksicht im Straßenverkehr bittet, rückt durch Plagiate in ein hässliches Licht.
Unschön, da der Inhalt des Textes eine größere Aufmerksamkeit verdient. Wenn sich aber Fremde diesen Text zu Eigen machen, um selbst damit zu „glänzen“, dann zeigt das eine der „Wild West“-Seiten des Internets: Es wird hemmungslos kopiert, da es ja „nur das Internet ist“.

Artikelbild: Shutterstock / Von Canetti

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