20 Flüssiggas-Tanker verbrauchen so viel Schweröl wie alle Fahrzeuge weltweit? FAKE!

20 Tanker, die aus den USA Flüssiggas nach Europa transportieren, sollen mehr Schweröl verbrauchen als alle Fahrzeuge an Kraftstoff jährlich weltweit.

Autor: Susanne Breuer

Wir brauchen deine Hilfe – Unterstütze uns!
In einer Welt, die zunehmend von Fehlinformationen und Fake News überflutet wird, setzen wir bei Mimikama uns jeden Tag dafür ein, dir verlässliche und geprüfte Informationen zu bieten. Unser Engagement im Kampf gegen Desinformation bedeutet, dass wir ständig aufklären und informieren müssen, was natürlich auch Kosten verursacht.

Deine Unterstützung ist jetzt wichtiger denn je.
Wenn du den Wert unserer Arbeit erkennst und die Bedeutung einer gut informierten Gesellschaft für die Demokratie schätzt, bitten wir dich, über eine finanzielle Unterstützung nachzudenken.

Schon kleine Beiträge können einen großen Unterschied machen und helfen uns, unsere Unabhängigkeit zu bewahren und unsere Mission fortzusetzen.
So kannst du helfen!
PayPal: Für schnelle und einfache Online-Zahlungen.
Steady: für regelmäßige Unterstützung.

Die Behauptung

Auf Facebook verbreiten sich Posts, die behaupten, dass 20 Flüssiggas-Tanker, die Flüssiggas aus den USA nach Europa transportieren, für ihre Fahrt genauso viel Schweröl verbrauchen wie alle Fahrzeug weltweit für Treibstoff benötigen.

Unser Fazit

LNG-Tanker fahren nicht mit Schweröl, sondern fast überwiegend mit dem sogenannten Boil-Off-Gas, das während des Gas-Transports automatisch entsteht. Der jährliche weltweite Energiebedarf für Fahrzeuge, unabhängig von der Art des Treibstoffs in kWh berechnet, beträgt ein Vielfaches des Energiebedarfs von 20 LNG-Tankern.

Die Falschbehauptung wird z.B. in diesem Post aufgestellt, der Stand jetzt knapp 25.000 Mal geteilt wurde.

Danach sollen 20 Schiffe mit einer Kapazität von 140.000 m³ Flüssiggas (LNG = Liquified Natural Gas) von den USA nach Europa geschickt worden sein. Diese Tanker sollen für die Überfahrt genauso viel Schweröl verbrauchen, wie umgerechnet in Treibstoff alle Fahrzeuge der Welt in einem Jahr an Treibstoff verbrauchen. Als Quelle des Gases wird die Gasgewinnung per Fracking-Technologie angegeben. Außerdem wird ein Zusammenhang zu den Grünen hergestellt, Vizekanzler Robert Habeck ist im Vordergrund abgebildet. Warum genau den Grünen gratuliert wird, wird nicht klar.

An diesem Post ist einiges falsch, und er wird bereits bei Facebook nur mit einem DPA-Faktencheck ausgespielt (HIER).

Die Fakten

LNG-Flüssiggastanker verbrauchen nur einen Bruchteil des weltweiten jährlichen Treibstoffverbrauchs. Sie werden angetrieben durch Flüssiggas, das sich während des Transports von seinem flüssigen Aggregatzustand wieder in den gasförmigen bewegt hat. Schweröl spielt hier überhaupt keine Rolle. Gas und Öl sind zwei völlig unterschiedliche Energieformen. Es werden also Äpfel mit Birnen verglichen.

Was ist Flüssiggas?

Flüssiggas, bzw. LNG, ist verflüssigtes Erdgas. Dabei

„liegt das Erdgas bei einer Temperatur von ca. -163 °C kryogen vor. Das Volumen von LNG beträgt weniger als 0,2% des Gasvolumens, sodass es effizient und mit einer hohen Energiedichte gelagert und/oder transportiert (Schiffen bzw. Landfahrzeugen) werden kann. Vor der Verflüssigung werden Verunreinigungen wie Wasser, Säuren, schwerere Flüssigkeiten, Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff (H2S), Stickstoff und Helium entfernt und das Gas getrocknet. LNG ist ungiftig und nicht korrosiv, erfordert aber einen höheren Aufwand bei der Lagerung in Kryo-Tanks als z. B. gasförmiges Methan.“

(HIER)

Während des Transportes in speziellen Tankschiffen wechselt ein minimaler Teil des verflüssigten Erdgases wieder in den gasförmigen Zustand, es verdampft. Dieses so entstandene Gas nennt sich Boil-off-Gas und muss zwingend aus den Tanks entfernt werden, um die Druckverhältnisse im Tank stabil zu halten (HIER). Mit genau diesem Gas werden die Tankschiffe angetrieben.  Es wird zum Antrieb der Tankschiffe also ein Treibstoff genutzt, der bereits an Bord ist und sich aus dem Transportprozess ergibt. Alternativ müsste das Boil-Off-Gas (BOG) verbrannt werden (HIER). Pro Tag liegt die Boil-off-Rate eines Großtankers bei ca. 0,1 %

Eine Modellrechnung

In einer Modellrechnung von DPA stellt sich die Situation folgendermaßen dar (HIER):

Bei ca. 17 Knoten pro Tag benötigt ein Tanker für die knapp 6.200 km von der amerikanischen Ostküste bis nach Rotterdam ca. 8 Tage und verbraucht damit zwischen 0,8 bis 1% seiner Ladung für den Antrieb. Ein durchschnittlicher LNG-Tanker fasst ca. 150.000 m³ Flüssiggas. Damit werden ca. 1.500 m³ für die Überfahrt genutzt. Dies entspricht bei 20 Tankern einem Energieverbrauch von ca. 840.000 Kilowattstunden (kWh) (HIER).

Für Deutschland lässt sich der Statistik ein jährlicher Treibstoffverbrauch von ca. 42 Milliarden Litern im Jahr 2020 entnehmen (HIER). Der Brennwert beträgt umgerechnet ca. 171.600 .000 kWh. Damit übersteigt allein der deutsche Verbrauch an Energie aus Benzin und Diesel den Verbrauch der genannten 20 LNG-Tanker um mindestens das Doppelte. Würde der weltweite Verbrauch an Benzin und Diesel für den Antrieb von Fahrzeugen berücksichtigt werden, würde deutlich, wie absurd der im Post genannte Vergleich ist. Wer einmal weiterrechnen möchte, findet hier die entsprechenden Daten (HIER). Für den Faktencheck hier ist diese Information jedoch nicht mehr notwendig.

Die Kritik, dass es sich um Fracking-Gas handelt, wäre höchstwahrscheinlich zutreffend, wenn der Post an sich stimmig wäre. Erdgas wird in den USA nicht mehr nur konventionell durch Bohrungen gewonnen, sondern es wird zunehmend die stark in der Kritik stehende Fracking-Technologie eingesetzt (HIER).

Die 20 Schiffe

Im Post wird eine exakte Zahl an Tankern genannt, die sich gerade auf dem Weg nach Europa befinden sollen. Woher diese Information stammt, bleibt trotz Recherche unklar. Fakt ist, dass im Netz Informationen zirkulieren, wonach die USA eine Tankerflotte nach Europa schicken und damit Putins Gaskalkül durchkreuzen würden. Hier fällt auch die exakte Zahl von 20 Tankern. Liest man diese Artikel (z.B. HIER und HIER) ungenau, dann könnte man den Eindruck gewinnen, sie beschreiben die aktuelle Situation, in der Europa im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen den Kriegstreiber Russland ganz gezielt versucht, zusätzliche Flüssiggasressourcen auf dem Weltmarkt einzukaufen, um möglichst schnell von russischem Gas unabhängig zu werden.

Der kleine Schönheitsfehler liegt im Datum. Diese Artikel erschienen bereits im Dezember, genauer gesagt am 24.12.2021. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die Energieversorgungs-Situation zunehmend kritischer wurde, die nationalen Gasspeicher auf einem Tiefststand waren und die Gaspreise sich immer weiter nach oben schraubten. Zu diesem Zeitpunkt gab es auch erste Ansätze, zusätzliches Gas einzukaufen. Sie haben also nichts mit der durch den Ausbruch des Ukrainekriegs ausgelösten Situation zu tun. Bzw. nur indirekt, wenn man die geleerten Gasspeicher als eine vorbereitende Maßnahme Russlands auf den Krieg interpretiert.

Ende März wurde bekannt, dass die EU weitere Gaslieferungen aus den USA vereinbart hat. Zunächst sollen 15 Millionen m³ zusätzlich geliefert werden und auf insgesamt 50 Millionen m³ ausgebaut werden. Von 20 LNG-Tankern, die gerade unterwegs sind, war dabei nicht die Rede (HIER).

Da der kritisierte Post kurz danach am 28. März erschienen ist, darf man aber sehr wohl von einem unmittelbaren Zusammenhang zum Ukrainekrieg und dem EU-Gas-Deal im März ausgehen. Wie in der Modellrechnung oben gezeigt wurde, benötigen Tanker über den Atlantik ca. 8 Tage. Jene Tanker, auf die sich die Pressemeldungen im Dezember bezogen, waren demnach längst eingetroffen. Andere Meldungen, die sich konkret auf 20 Tanker beziehen, die gerade (rund um den 28. März) auf dem Weg nach Europa sind, sind nicht auffindbar. Dabei ist anzumerken, dass dies auch nicht relevant im Hinblick auf den Hauptfake, den Vergleich der Energiekosten für den Transport, wäre.

Transportkosten von Erdgas im Vergleich

Der Post impliziert, dass es unwirtschaftlich sei, LNG-Gas per Tanker zu transportieren. Der Gegenentwurf ist der Transport per Pipeline, wie er bislang praktiziert wurde, und mit Nord Stream 2 auf ein neues Niveau gehoben worden wäre, wenn das Projekt nicht im Zuge der Sanktionen gestoppt worden wäre. Aufgrund der relativ niedrigen Energiedichte von Erdgas ist der Transport via Pipeline aber teurer, sobald es um große Entfernungen geht. Das betrifft nicht nur die notwendigen Investitionskosten, sondern auch die Betriebskosten. Ab 2.000 km ist das Verschiffen von LNG per Tanker günstiger als über Pipeline. Wenn Europa also auf transatlantisches Erdgas zurückgreift, dann sind das Entfernungen, die über diesen Kipppunkt deutlich hinausgehen.

„Um beim Transport über große Entfernungen auftretende Druckverluste auszugleichen, muss das Erdgas ca. alle 100-200 km neu verdichtet werden. In den Verdichterstationen kommen Gasturbinen zum Einsatz, die mit dem Pipelinegas betrieben werden. Beim Transport über sehr weite Entfernungen verursachen sie einen signifikanten Eigenbedarf der Pipeline. So kann geschätzt werden, dass für den Transport von Erdgas aus sibirischen Quellen nach Westeuropa (Entfernung ca. 5000 km) mehr als 10 Prozent des in die Pipeline eingespeisten Gases für den Betrieb der Pipeline aufgewendet wird.“ (HIER)

Vergleicht man die beiden Werte, so „kostet“ der entfernungsmäßig nochmal weitere Transport per LNG-Tanker über den Atlantik nur ein Zehntel des Gases wie der Transport per Pipeline aus Sibirien (bitte immer im Hinterkopf, dass es sich um grobe Modellrechnungen handelt).

Transportkosten für Energierohstoffe, Quelle: EnergyBrainpool
Transportkosten für Energierohstoffe, Quelle: EnergyBrainpool

Fazit

Die Aussage, dass die Lieferung von Erdgas in 20 Flüssiggastankern aus den USA nach Europa genauso viel Schweröl verbraucht wie umgerechnet der gesamte jährliche Treibstoffverbrauch für alle Fahrzeuge dieser Welt, ist falsch.

LNG-Tanker fahren nicht mit Schweröl, sondern fast überwiegend mit dem sogenannten Boil-Off-Gas, das während des Gas-Transports automatisch entsteht. Im Gegenteil, der jährliche weltweite Energiebedarf für Fahrzeuge, unabhängig von der Art des Treibstoffs in kWh berechnet, beträgt ein Vielfaches des Energiebedarfs von 20 LNG-Tankern.

Es lässt sich nicht nachvollziehen, woher die Information stammt, dass zum Zeitpunkt des Facebook-Posts 20 LNG-Tanker auf dem Weg nach Europa sind. Eine solche konkrete Tankerzahl wurde dagegen zum Jahreswechsel in den Medien berichtet.

Das könnte dich auch interessieren: Energiepreis-Wahnsinn setzt sich weiter fort

Unterstützen 🤍

FAKE NEWS BEKÄMPFEN

Unterstützen Sie Mimikama, um gemeinsam gegen Fake News vorzugehen und die Demokratie zu stärken. Helfen Sie mit, Fake News zu stoppen!

Mit Deiner Unterstützung via PayPal, Banküberweisung, Steady oder Patreon ermöglichst Du es uns, Falschmeldungen zu entlarven und klare Fakten zu präsentieren. Jeder Beitrag, groß oder klein, macht einen Unterschied. Vielen Dank für Deine Hilfe! ❤️

Mimikama-Webshop

Unser Ziel bei Mimikama ist einfach: Wir kämpfen mit Humor und Scharfsinn gegen Desinformation und Verschwörungstheorien.

Abonniere unseren WhatsApp-Kanal per Link- oder QR-Scan! Aktiviere die kleine 🔔 und erhalte eine aktuelle News-Übersicht sowie spannende Faktenchecks.

Link: Mimikamas WhatsApp-Kanal

Mimikama WhatsApp-Kanal

Hinweise: 1) Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell
war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur
Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.


2) Einzelne Beiträge (keine Faktenchecks) entstanden durch den Einsatz von maschineller Hilfe und
wurde vor der Publikation gewissenhaft von der Mimikama-Redaktion kontrolliert. (Begründung)


Mit deiner Hilfe unterstützt du eine der wichtigsten unabhängigen Informationsquellen zum Thema Fake News und Verbraucherschutz im deutschsprachigen Raum

INSERT_STEADY_CHECKOUT_HERE

Kämpfe mit uns für ein echtes, faktenbasiertes Internet! Besorgt über Falschmeldungen? Unterstütze Mimikama und hilf uns, Qualität und Vertrauen im digitalen Raum zu fördern. Dein Beitrag, egal in welcher Höhe, hilft uns, weiterhin für eine wahrheitsgetreue Online-Welt zu arbeiten. Unterstütze jetzt und mach einen echten Unterschied! Werde auch Du ein jetzt ein Botschafter von Mimikama

Mehr von Mimikama

Mimikama Workshops & Vorträge: Stark gegen Fake News!

Mit unseren Workshops erleben Sie ein Feuerwerk an Impulsen mit echtem Mehrwert in Medienkompetenz, lernen Fake News und deren Manipulation zu erkennen, schützen sich vor Falschmeldungen und deren Auswirkungen und fördern dabei einen informierten, kritischen und transparenten Umgang mit Informationen.