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Extinction Rebellion – Aufbegehren gegen das Aussterben

Autor: Andre Wolf

Artikelbild von Karl Nesh / Shutterstock.com
Artikelbild von Karl Nesh / Shutterstock.com

Extinction Rebellion: Was ist das überhaupt? Über eine Aktivistengruppe, denen Fridays for Future nicht schnell genug geht.

Hat man in den letzten Monaten nicht unter einem Stein oder in der Wüste Gobi ohne mobiles Internet gelebt, kann einem die Klimabewegung „Fridays For Future“ nicht entgangen sein. Seit der ersten Fridays For Future Kundgebung ist bereits einige Zeit vergangen, in denen die Bewegung neben ihrem prominenten Gesicht bereits einige Untergruppen hervorgebracht hat. Zu nennen wären hier Parents for Future, Scientists for Future und Extinction Rebellion.

Die von Greta Thurnberg initiierte Klimabewegung, deren Kernanhängerschaft aus Schülern und jungen Leuten besteht, setzt sich für aktives Handeln gegen den Klimawandel ein, und organisiert zu diesem Zwecke regelmäßig Demonstrationen.

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Zur Info: Dieser Artikel setzt sich sachlich mit Extinction Rebellion auseinander. Der Abschluss dieses Artikels bildet ein Facebookposting, welches NICHT aus der Feder von Mimikama stammt, sich jedoch thematisch kritisch-sachlich mit einem (inoffiziellen) Handbuch von Extinction Rebellion auseinandersetzt.

Äußerlich betrachtet

Die Aktivistengruppe Extinction Rebellion zeichnet sich dadurch aus, dass sie quasi als „kleine Schwester“ der Fridays for Future Bewegung erscheinen und hier primär auf Aktionen setzen, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen, das heißt, es wird nicht auf das reine Demonstrieren gesetzt, sondern auf Aktionen gesetzt wird.

Was die Aktivistengruppe von den meisten anderen Bewegungen unterscheidet, ist die Möglichkeit des einfachen Mitmachens, es ist jeder willkommen unabhängig von Alter, Geschlecht, Partei oder Beruf, selbst Veganer und Nicht-Veganer arbeiten in der Gruppe zusammen, gemeinsame Schnittmenge bildet die Angst vor dem Aussterben der Arten und des Menschen selbst.

Dies ist ein Greenkama-Inhalt. Greenkama ist ein Projekt von Mimikama, denn der bewusste Umwelt- und Klimaschutz muss eine Frage der Verantwortung und Ermutigung sein!
 

Die Anhängerschaft ist jung und meistens in einer akademischen Ausbildung, weshalb auch der Ansatz, mit der die Bewegung die Aktionen plant und ausführt, akribisch vorausgeplant wird.

Befinden sich 3,5% der Leute auf der Straße, und können somit über 50% der Wahlberechtigten per Aufmerksamkeit auf ihre Seite ziehen, kann der Systemwandel vollzogen werden, sprich aktives Umdenken in der Klimadebatte, und Maßnahmen zum Schutz der Arten und Umwelt. Das ist einer der Thesen, die die Gruppte vertritt. Jene These ist zugleich auch ein möglicher Kritikpunkt, da sie manipulativ wirkt.
Dabei werden die Aktionen in der Öffentlichkeit ohne vorherige Anmeldung durchgeführt, um maximale Aufmerksamkeit zu generieren, Verwaltungsstrafen werden hier einkalkuliert.

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Aktionen

In Berlin wurde beispielsweise ein Verkehrsknotenpunkt im Großen Stern besetzt. Eine Gruppe von ca. 350 Aktivisten positionierten sich auf dem Kreisel auf der Straße, sodass eine Blockade erreicht werden konnte. Den Demonstranten setzte vor allem die zunehmende Kälte zu, der mit kreativen Gegenmaßnahmen getrotzt wurde.
Die Stimmung und die gesamte Aktion verliefen friedlich, Zusammenstöße mit der Polizei hat es bislang keine gegeben.

Die Aktion in Berlin soll als Vorbild für Metropolen auf der ganzen Welt dienen. Ähnliche Kundgebungen sind auf der ganzen Welt etwa in London, Paris, Madrid, Amsterdam, New York, Buenos Aires und weiteren Städten geplant und sollen über eine Woche andauern.

Neben prominenten Orten soll vor allem der Überraschungseffekt, also ohne vorherige Anmeldung der Veranstaltung, für die meiste Aufmerksamkeit sorgen.
Gefragt nach ihren Beweggründen gibt eine Aktivistin gegenüber dem Standard an:

„Vor zwei Jahren habe ich intensiver begonnen, mich mit dem Klimawandel und seinen Folgen auseinanderzusetzen. Wie sehr wir durch Futteranbau für Tiere, die wir essen, die Treibhausemissionen weiter treiben und Ressourcen sowie Böden in anderen Ländern ausbeuten. Das trifft auf alle Bereiche zu, in denen wir nicht nachhaltig wirtschaften, ohne Blick nach links und rechts, ohne Blick auf unsere Zukunft. Tatsache ist für mich, dass der Planet, so wie wir ihn kennen, in ein paar Jahren nicht mehr existieren wird, wenn wir weitermachen wie bisher und weiter alle Ökosysteme zerstören. Und damit natürlich unsere Lebensgrundlage.

Mir ist klargeworden, dass Änderungen im Konsumverhalten von mir als Individuum zwar notwendig sind, aber nicht reichen. Es muss ein großer Systemwandel in Richtung Nachhaltigkeit passieren, und genau deswegen bin ich bei Extinction Rebellion. Dass mir bei Protesten Verwaltungsstrafen drohen, ist mir klar. Aber seit ich dabei bin und nicht mehr so ohnmächtig, geht es mir besser, bin ich glücklicher.“ (Text und Protokolle: Karin Bauer, 2.10.2019, derstandard.at)

Weitere Aktionen geplant

Für die restliche Woche sind weitere Aktionen geplant, über deren Ausmaß sich die Bewegung jedoch in Schweigen hüllt. Für die Aktivisten steht jedoch fest: Wer gehört werden will, muss zu stärkeren Maßnahmen als simplem Protestieren am Freitag greifen.

Zusammengefasst stehen an der Seite der Fridays for Future Bewegung zahlreiche Bewegungen, welchen die Anliegen der „Mutterbewegung“ nicht schnell genug umgesetzt werden und die zu diesem Zwecke auf lautere, öffentlich wirksamere Aktionen setzen. Demgegenüber steht die Frage, wie man nun Extinction Rebellion endgültig einzuschätzen hat.

Prominente Unterstützer

In einem offenen Brief an die Deutsche Bundesregierung haben 90 Prominente aus Kunst und Kultur ihre Unterstützung für Extinction Rebellion bekundet und ihre zentralen Forderungen nochmals bekräftig:

Wir stehen voll und ganz hinter diesen drei Forderungen:

1. Sie als Regierung müssen Ihren Bürger*innen die volle Wahrheit über das Ausmaß und die Risiken der ökologischen Krise sagen.

2. Deutschland muss bis 2025 klimaneutral werden. Das Artensterben muss gestoppt werden und der ökologische Raubbau mit allen Mitteln eingedämmt und – wenn möglich – wieder rückgängig gemacht werden.

3. Sie müssen eine Bürger*innenversammlung für Klimagerechtigkeit und gegen die ökologische Katastrophe einberufen. Diese wird durch Expert*innen darin unterstützt, zusammen einen rechtlich bindenden Maßnahmenkatalog zu entwickeln.

Extinction Rebellion: In der Kritik!

Der Bewegung schlagen aber auch heftige Kritik entgegen, nicht nur der Ärger von Autofahrern und Pendlern. Bei der Aktion in Berlin kam es beispielsweise zu heftigen Staus, die Polizei war mehrere Stunden im Einsatz, um die teils aufgesplitterten Protestgruppen von weiteren Verkehrsbehinderungen abzuhalten.

Festzuhalten ist hier auch, dass die Aktionen im Vorfeld nicht angemeldet wurden, was es der Polizei zusätzlich erschwert, wieder Ruhe in das Verkehrschaos zu bringen. Berichte über gewaltsame Zusammenstöße sind vorerst jedoch ausgeblieben.

Als eine der prominentesten Gegnerinnen von Extinction Rebellion zeigt sich Jutta Ditfurth, die in der Bewegung eine „religiöse-gewaltfreie esoterische Sekte“ sieht. Sie rät auf Twitter öffentlich davon ab, mit Extinction Rebellion zusammenzuarbeiten.

Ferner liegen die Vorwürfe im Raum, dass die Bewegung im Kern eher demokratiefeindlich und manipulativ handle.

Hierzu gibt es ein sehr ausführliches Posting auf Facebook, welches sich mit einem (inoffiziellen) Handbuch von Extinction Rebellion auseinandersetzt. Dieses Posting befindet sich auf dem Facebookaccount „Marco aus Pankow“, welches wir an dieser Stelle mit freundlicher Gestattung widergeben dürfen:


Ich bin ein überzeugter Anhänger der Ziele der #Fridaysforfuture, aber den Weg der #ExtinctionRebellion kann ich nicht mitgehen. Es braucht andere Mittel und Wege.

Ich habe mir mal das kleine Handbüchlein „Hope dies, action begins, Stimmen einer neuen Bewegung“ der „Extinction rebellion“ Hannover angeschaut (Link am Ende des Textes) und ich bin entsetzt, welches trojanische Pferd dem geneigten Klimaschützer hier unter dem Deckmantel des Umweltschutzes angedreht werden soll.

Ich werde versuchen, zu erklären, was mir bitter aufstößt und dieses mit ein paar Zitaten und Einordnungen belegen.

Mein eigener Maßstab dabei:

1. Wir brauchen eine grundlegend andere Umweltschutzpolitik.

2. Wir brauchen darüber einen gesellschaftlichen Konsens sowie eine gesellschaftliche Mehrheit bei der Frage der Mittel und Wege dorthin.

3. Politik muss nicht nur demokratisch legitimiert, sondern auch verantwortet werden.

4. Klimaschutz muss wirksam sein, darf aber die Relevanz alle anderen Politikfelder nicht in den Hintergrund drängen.

Aus dem Vorwort zum Buch:

„Dieses Buch ist ein XR-Buch! – Dieses Buch ist kein XR-Buch! In diesem Buch kommen vorwiegend XR-Aktivist*innen zu Wort, die XR-Forderungen, XR-Prinzipien & Werte und XR-Aktionen aus ihrer je eigenen Sichtweise deuten. Es ist also kein XR-Buch!“

Diese Einleitung macht mich stutzig. Einerseits klingt es ja nett und putzig und basisdemokratisch („Keiner spricht für alle“), andererseits ist es so, dass sich der Herausgeber eines Buches seine Zitat- und Autorenauswahl anrechnen lassen muss. Man kann nicht einerseits Losungen, Ziele und Wege ausgeben und andererseits suggerieren, dass man damit und mit den Folgen, die daraus resultieren, nichts mehr zu tun hat. Diese Rhetorik erinnert fatal an andere politische Bewegungen aus Gegenwart und Vergangenheit.

Selbstverständlich muss sich „Extinction Rebellion“ dieses Buch zuschreiben lassen.

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Die Forderungen:

„Forderung 1: Tell the Truth – Sagt die Wahrheit! […]“

„Die Regierung muss die Wahrheit sagen, indem sie den klimatischen und ökologischen Notstand ausruft, und dabei mit anderen gesellschaftlichen Institutionen zusammenarbeiten, um die Dringlichkeit der Veränderung zu verbreiten.“

Unabhängig davon, dass ich grundsätzlich stutzig werde, wenn jemand die „Wahrheit“ für sich pachtet, wird hier gleichzeitig suggeriert, dass die Regierung die Unwahrheit sagen würde. Das ist ein übles Narrativ, das nicht nur jegliche Grauzone in der Betrachtung der Situation eliminiert, sondern zeitgleich auch ein Freund-Feind-Denken einführt, das im weiteren Verlauf des Buches noch benötigt und weitergetrieben wird.

„Forderung 2: Act Now – Handelt jetzt! […]

„Die Regierung muss jetzt handeln, um das Artensterben zu stoppen und die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2025 auf NettoNull zu senken.“

Eine Forderung, der ich grundsätzlich zustimmen kann, jedoch nicht auf den im Folgenden genannten Wegen.

„Forderung 3: Beyond Politics – Politik neu leben! […]“

„Die Regierung muss eine Bürger*innenversammlung für Klima und ökologische Gerechtigkeit einberufen und sich von deren Beschlüssen leiten lassen. (S. 17 und 18).“

BürgerInnenversammlungen finde ich ganz prima. Allerdings hat dieser Vorschlag einen bitteren Beigeschmack, denn welche Rolle spielt diese Versammlung in einer verfassten Demokratie, deren Institutionen davon leben, aufeinander so abgestimmt zu sein, dass „Checks und balances“, also die gegenseitige Kontrolle gegeben sind und dass diese Gremien ihre demokratische Legitimität besitzen? Welche Rolle bleibt dann einem gewählten Parlament, wenn ihm ein solches Gremium gegenübergestellt wird und wird hier nicht auch zeitgleich suggeriert, das Parlament sei in seiner Meinungsbreite nicht repräsentativ? Ich meine, ja. Welche Auswirkungen hat eine solche Versammlung auf die Beschlüsse des Bundestags und auf andere Gesetze? Hier wird nicht weniger gefordert, als ein Parallelparlament mit unklaren Kompetenzgrenzen.

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„Wir brauchen eine neue Sensibilitat. Verlangt ist nämlich, dass wir die Katastrophe fühlen. Nur wer die Katastrophe fühlt, vermag sie zu erkennen. Das Problem ist jedoch, dass unser Fühlen mit der todlichen Bedrohung nicht Schritt halten kann.“ (S. 20)

Das ist eine Aussage, die ich im Rahmen eines Esoterikseminars akzeptiere, nicht aber als Grundlage staatlichen Handelns. Wenn „Gefühle“ Argumente ersetzen sollen, werden diese absolut gestellt. Jemand der „nicht fühlt“ wird in dieser Logik nicht mehr als Teilnehmer an öffentlicher Meinungsbildung anerkannt, was jedem rechtsstaatlichen Grundsatz widerspricht.

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Das Ziel der Bewegung ist, wie man auf den Seiten 26ff. lesen kann die Ausrufung des Klimanotstandes als Reaktion auf die Klimakatastrophe. Der Klimanotstand soll dabei sowohl einen „Bewusstseinswandel“ symbolisieren, als auch erzielen. Seitens „Exctinction Rebellion“ wird also gezielt darauf hingearbeitet, Ängste zu schüren, um mit diesen dann die Ausrufung eines Notstandes zu provozieren. Das wäre dann jetzt der Punkt für die Sicherheitsbehörden, mal genauer hinzuschauen. Das ist das gleiche Muster, wie man es am rechten und rechtsextremen Rand der Meinungsskala beobachten kann.

Auf Seite 29 wird versucht, zu beschwichtigen:

„Die Ausrufung des Klimanotstandes ist nicht identisch mit der Ausrufung eines Ausnahmezustandes, der das Recht auf bestimmte Zeit außer Kraft setzt. Es geht nicht um die Einschränkung von Grundrechten, sondern um deren Einhaltung: Menschenwürde, Recht auf körperliche Unversehrtheit etc. Mit der Ausrufung des Notstandes geht die Pflicht einher, bei allen Entscheidungen alle Aspekte aus der Perspektive des ≫Global Warming≪ zu betrachten.“

An dieser Stelle wird es rhetorisch kniffelig. Einerseits wird eine begründete Forderung aufgestellt (schützt das Klima!) und zur Begründung dieser Forderung die Einhaltung von Grundrechten zitiert, was nachvollziehbar klingt, andererseits versteckt sich hierin auch eine Priorisierung („Alle Aspekte sind aus der Sicht des ≫Global Warming≪ zu betrachten.“), die in einem Rechtsstaat mit einer diversifizierten Gesellschaft mit unterschiedlichsten Interessenlagen mindestens problematisch ist und die andererseits sämtliche demokratisch legitimierten Institutionen in ihrer Handlungsfähigkeit einschränkt. Auf welcher Grundlage soll das passieren und wer legitimiert das? Das Parallelparlament?

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Seite 33 muss ich in mehreren Etappen einordnen. Sie hat es in sich.

„Politische Entscheidungsträger*innen könnten versucht sein, nach der Ausrufung des Klimanotstandes diesen dennoch immer wieder zu unterlaufen.“

Was für ein Framing. „Die Politik“ als Gegner des „Volksinteresses“. Kennt man. Kann weg.

„Aus diesem Grund brauchen wir auf nationaler Ebene Bürger*innenversammlungen und auf kommunaler Ebene Einwohner*innenversammlungen, die die Umsetzung des Notstandes permanent kontrollieren. Diese Versammlungen sollen über den Klimaschutz beraten und Empfehlungen abgeben.“

Das ist spannend. Wozu braucht es dann noch Parlamente? Welche Legitimität kommt dann noch den Repräsentanten aus freien Wahlen zu, wenn es diese Parallelparlamente gibt? Und wer legitimiert eigentlich die Mitglieder dieser Versammlungen? Wem gegenüber sind sie verantwortlich? Ich ahne es bereits…

„Die Mitglieder werden nach einem Zufallsprinzip, einem ≫minipopulus ≪, ausgewahlt. Damit soll eine Reprasentativität bezuglich Gender, Alter, sozio-kultureller Zugehörigkeit, Bildungsniveau und Geographie gewahrleistet werden.“

Die Verfasser gehen also davon aus, dass sich eine Meinungsrepräsentation per Zufallsprinzip anhand der Parameter „Geschlecht, Alter, Bildungsniveau, Wohnort“ und – besonders spannend – „Sozio-kultureller Zugehörigkeit“ ergibt. Nicht nur, dass das unwissenschaftlicher und undemokratischer Unsinn ist, weil er unter Anderem das Prinzip des gleichberechtigten Zugangs zu Ämtern und Mandaten in Frage stellt, stellt sich auch die Frage, wer dann die „sozio-kulturelle“ Zugehörigkeit zur späteren Filterung erfasst und nach welchen Kriterien das passiert. Gleichzeitig geht man davon aus, dass diese Versammlung auf keinen Fall einer Meinung mit einem gewählten und diversen Parlament sein kann, denn sonst gäbe es sie ja nicht, was widerum den Schluss zulässt, dass sie eigentlich nur eine (1) Meinung haben kann. Vorsichtig formuliert ist das ein „problematischer“ Ansatz.

Offen bleibt zudem die Frage, wem gegenüber diese VertreterInnen eigentlich rechenschaftspflichtig sind und ob sie ggf. auch wieder abgewählt werden können. Hierzu findet sich nichts, sondern lediglich die Verpflichtung, dass sämtliches Handeln mit den Zielen von „XR“ in Einklang zu stehen hat, was ebenfalls einen bitteren Beigeschmack hat, aber dazu weiter unten mehr…

Weiter auf Seite 33:

„Unsere reprasentative Demokratie leidet daran, dass immer mehr Regierungsvertreter*innen Politik häufig kurzfristig betreiben, in 4-Jahres-Wahlzyklen. Dadurch wurde die Klimakatastrophe immer wieder an den Rand gedrängt. Politiker* innen sind zudem dem Einfluss von Lobbyist*innen ausgesetzt. Dagegen sind Burger*innenversammlungen ein kritisches Korrektiv. Sie erinnern die Regierungspolitik daran, dass Ordnungen erstarren und das Gemeinwohl aus dem Blick verlieren konnen, wenn sie nicht immer wieder verflussigt werden, und zwar durch Veränderungen, die von Burger*innen eingefordert werden.“

Dieser Absatz ignoriert die Existenz von Parlamenten mittlerweile völlig und beschreibt Regierungspolitik absolut als „Lobbybeeinflusst“, sowie BürgerInnen als „Kritisch“. Das ist das Ende jeglichen komplexen und (selbst)kritischen Denkens. Diese Bewegung stellt sich in der Gesamtschau nicht nur über gewählte Parlamente, sondern zeitgleich mit ihren Interessen ins absolute Recht gegenüber allen gewählten Institutionen. Bei aller Zustimmung zur Frage der Notwendigkeit des Klimaschutzes wird hier eine Grenze überschritten, die keinen besseren Klimaschutz bringt, sondern die gezielt darauf abzielt, demokratische Institutionen und Schutzmechanismen außer Kraft zu setzen. Ziemlich klar wird das auch auf Seite 34 formuliert:

„XR steht fur die Erkenntnis, dass eine neue Klimapolitik nicht ohne neue politische Beteiligungsstrukturen möglich sein wird.“

Über die Frage, wie man mehr demokratische Teilhabe erreichen kann, kann man sehr vortrefflich streiten. Sicherlich aber nicht aus Parallelinstitutionen heraus, die sich jeglicher demokratischen Kontrolle und Wahl entziehen oder die Abschaffung der Gewaltenteilung.

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Seite 40:

„Gandhi vertrat die Ansicht, es sei immer der Drang nach Leben als Grundform des Eigeninteresses, der zu Gewalt und zum Tod anderer führe. Opferpflicht hingegen schütze Leben, eben weil sie es ignoriert. Der rechtsgarantierende Staat stellt sich als neutraler Schlichter zwischen die Bürger*innen, die er als Interessenträger definiert. Um diese als Eigentumsformen ausgelegten Rechte zu sichern und entsprechend urteilen zu können, leugnet dieser Staat alle unmittelbaren Beziehungen zwischen den Bürger*innen. Das gilt auch für Beziehungen zwischen Menschen und Tieren, die nun vom Staat und seinen Gesetzen geregelt werden. Da der Staat wechselseitige Beziehungen zwischen Interessen nicht zulässt, macht er sie zu Konkurrenten, die nicht zusammenkommen können, es sei denn gegeneinander.“

Um diesen Absatz unkritisch durchgehen zu lassen, braucht man vemutlich die Angsttiraden der vorhergehenden 39 Seiten. Ich weiss auch nicht, wo ich anfangen soll, aber dieser Absatz treibt „den Staat“ nicht nur in absolute Gegnerschaft des freien Menschens und einer freien Gesellschaft, sondern definiert Menschen gleichzeitig über ihre Opferbereitschaft. Das mit der „Opferbereitschaft“ habe ich irgendwo schonmal gehört….

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Seite 45, „Prinzipien und Werte“:

„Wie sollte sich Extinction Rebellion also gegenüber einem Staat verhalten, der nach wie vor der einzige legitime politische Akteur in der internationalen Ordnung bleibt? Und das, ohne seiner Logik des Lebens, der Rechte und der Interessen zu erliegen, denn damit würde die Bewegung ihre eigene Mission und Dynamik negieren. Darum sollte sie sich soweit wie möglich außerhalb des Begriffsraumes des Staates bewegen. Das ist möglich, wenn sie außerhalb der staatlichen Rhetorik von Rechten und Interessen die Rolle der Pflicht und
des Opfers im gesellschaftlichen Leben ausweitet.“

Und weiter:

„Angst ist dann produktiv, wenn sie Veränderung auslöst und wenn sie einhergeht mit einer Vision der Veränderung. Eine gemeinsame Vision der Veränderung gibt es nicht ohne Möglichkeitssinn. Dieser scheint aber mehr und mehr ausgetrocknet zu sein. Wir leiden an einem Realitätssinn, der uns auf eine vermeintliche, den Status quo erhaltene Vorstellung von Wirklichkeit festnageln will. XR stellt dieser Wirklichkeit die wirkliche Wirklichkeit entgegen, bleibt dabei jedoch nicht stehen. XR steht für Widerstand – und dazu braucht es Möglichkeitssinn. Möglichkeitssinn kann sich nur in Erfahrungen von Selbstwirksamkeit einstellen. Dazu müssen wir aktiver Teil von Veränderungsprozessen werden.“

„XR“ ist mit dieser Ziel- und Wegdefinition außerhalb von Allem, was irgendwie noch mit Rationalität, staatlicher Verfasstheit, demokratischer Kontrolle, Selbstüberprüfung und einem geordneten gesellschaftlichen Leben in Verbindung steht. Mich erinnert das Gerede fatal an Mantren von Sekten und Rechtsextremen. Dieses Buch ist keine Klimaschutzlektüre, sondern reine Propaganda.

Zwei Punkte noch, Du hast es gleich geschafft, die sind aber wichtig:

Seite 49/50 hat es in sich…

„Viele Menschen glauben nicht, dass radikale Veränderungen möglich sind. Studien zeigen, dass dieser Eindruck falsch ist. Es gibt auch hier Kipppunkte. Ideen können sich innerhalb kürzester Zeit wie Epidemien verbreiten. Dazu bedarf es dreier Eigenschaften, wie Max Gladwell gezeigt hat: ≫zum einen die Ansteckung, zum zweiten die Tatsache, dass kleine Ursachen große Wirkungen haben können, und zum dritten, dass die Veränderung nicht allmählich, sondern in einem dramatischen Moment eintritt≪. Progressionen können sich exponentiell entwickeln. Der Kipppunkt ist der Moment der kritischen Masse, die Schwelle, der Hitzegrad, bei dem Wasser zu kochen beginnt. XR bezieht sich auf die Studien von Erica Chenoweth und Maria J. Stephan über zivilen Widerstand. Chenoweth wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass die Frage radikaler Transformation keine Frage von Quantitaten ist. Sie spricht von der 3,5 %-Regel: 3,5 % reichen aus, um eine Gesellschaft radikal zu transformieren. Nun bezieht sich die Studie zwar auf autoritäre und totalitäre Systeme. Ob Gleiches auch für demokratische Systeme zutrifft, ist empirisch nicht erwiesen. Wichtig ist jedoch die Erkenntnis, dass für radikale Umbruche eine kritische Masse ausreichend ist.“

Die demokratische Mehrheitsfindung wird hier nicht nur in Frage gestellt, sondern aktiv untergraben. Demokratien betreiben Mehrheitsfindung ab 50%, nicht mit 3 oder 3,5%. Im Idealfall findet man sogar Kompromisse, die auch von der überstimmten Mehrheit so weit getragen werden können, dass sie nicht nach dem nächsten Machtwechsel wieder abgeschafft werden. An diejenigen, die dieses 3,5%-Gerede an einen rechtsextremen Ziegenhirten erinnert, der gerade 1% zu organisieren verscht: ja, daran erinnert mich das auch.

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Zum Abschluss Seite 61:

„Wir überwinden hierarchische Machtstrukturen: Wir gleichen das Gefälle von Macht und Einfluss aktiv aus, um eine gerechte Teilhabe zu ermöglichen.

Jede*r kann im Namen von XR auftreten und Aktionen durchführen. Die einzige Bedingung: Die Werte und Prinzipien der Extinction Rebellion müssen akzeptiert und eingehalten
werden. Wir sind ein Selbst-organisierendes-System (SOS). Dieses ermöglicht größtmögliche Autonomie im Handeln, aber auch flexible und basisdemokratische Strukturen. Das System beruht auf der Verteilung von Mandaten, die für Dezentralitat und Autonomie stehen. Anders gesagt: Es geht um verteilte Autorität. So erschaffen wir selbst eine Kultur und ein System, in dem wir gerne leben wollen. Kennzeichnend für diese Struktur ist eine Dezentralitat mit schwachen hierarchischen Elementen.“

Dieser Absatz hat es in sich, denn er macht zwei Dinge zeitgleich: er stellt alle Mitglieder der „XR“ auf eine Stufe, die er aber gleichzeitig auf ein Regelwerk verpflichtet, das von niemandem autorisiert wurde, das aber für alle verbindlich sein soll. Die Kontrolle der Einhaltung erfolgt dann vermutlich durch gruppendynamische Prozesse selbst oder durch manche, die „gleicher sind, als alle anderen Gleichen“.

George Orwell hätte an diesem System seine helle Freude und es erinnert fatal an die Vorsätze und die späteren Folgen mancher Parteiherrschaft des vergangenen Jahrhunderts. Eigentlich fehlt jetzt nur noch ein Spiritus Rektor… Idealerweise einer, der schonmal von der „Staatsmacht“ festgenommen wurde. Nun ja…

Fazit: mancher mag argumentieren, diese Bewegung sei „noch jung‘“ und so manches würe sich rauswachsen. Wenn ich mir allerdings anschaue, mit welcher Systematik und Einhelligkeit von dort schon Publikationen verfasst werden, mit welcher Durchdachtheit die Argumentationen aufgebaut werden und welchen Organisationsgrad die Bewegung bereits hat, dann glaube ich nicht, dass hier Anfänger am Werk sind, sondern nehme wahr, dass jemand hier unter dem Deckmantel des Umweltschutzes versucht, etwas Anderes zu etablieren.

Diese Bewegung kann für mich als Demokrat kein Partner im Bereich des Klimaschutzes sein. Selbst nicht bei der gebotenen Dringlichkeit des Themas. Und ich hoffe inständig, dass sich die #Fridaysforfuture-OrganisatorInnen von dieser Bewegung distanzieren.

Marco

Der Link zum Originaldokument:

https://www.transcript-verlag.de/…/…/pdf/oa9783839450703.pdf

 

Autor: Alexander Herberstein, Artikelbild von Karl Nesh / Shutterstock.com

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