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Elterntaxis: Ein Stau, der zum Umdenken animiert

Autor: Andre Wolf

Artikelbild von Keeper Of The Memories / Shutterstock.com
Artikelbild von Keeper Of The Memories / Shutterstock.com

Man könnte glatt annehmen, Elterntaxis sind ein kaskadierendes System: Je mehr Eltern dieses System mit der Sicherheit der Kinder legitimieren, desto mehr Elterntaxis und Gefahren gibt es.

Dem ein oder anderen dürften vielleicht die Worte „früher war alles besser“ durch den Kopf gehen. Früher gab es in der Tat wesentlich weniger Elterntaxis. Eigentlich gab es nur vereinzelte Ausnahmefälle, aus meiner eigenen Kindheit weiß ich, dass es gerade mal eine Mutter gab, die zu Grundschulzeiten immer ihren Sohn mit dem Auto zur Schule brachte und abholte.

Dieser Fall war seinerzeit begründet mit dem Schulweg entlang einer Bundesstraße. Eine Bundestraße, die viele von uns überqueren mussten und die erst spät eine Fußgängerampel bekam, nachdem TROTZ vieler Warnungen ein Kind schwer durch ein Auto verletzt wurde.

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Später in der weiterführenden Schule wurde entsprechend der Schulweg länger und somit auch die Gefahren. Was sich nicht änderte, war mein Verkehrsmittel, welches weiterhin primär das Fahrrad war. Elterntaxis gab es eben in den 80ern und frühen 90ern wenige.

Dies ist ein Greenkama-Inhalt. Greenkama ist ein Projekt von Mimikama, denn der bewusste Umwelt- und Klimaschutz muss eine Frage der Verantwortung und Ermutigung sein!
 

Lösung & Problem: Elterntaxi

Doch irgendwann tauchten sie auf. Diese kleinen Staus, die zwischen 7:45 Uhr und 08:05 Uhr um die Schulen herum entstanden. Parknot, Wartezeiten, Gedränge. Diese Staus weiteten sich dann auch auf die Zufahrtsstraßen aus. Es sind viele Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen. Daraus resultierte der Begriff Elterntaxis.

Gleichzeitig ist das Thema Elterntaxis ein gesamtgesellschaftliches Phänomen: Es verbindet Menschen verschiedener politischer Ansichten, verschiedener Bildungsschichten und auch Einkommensklassen zumeist zu einer gemeinsamen Ansicht: Elterntaxis sind eben nicht so klasse!

Dennoch gibt es sie. Zum Wohle der Kinder. Zum Wohle des EIGENEN Kindes natürlich. Wenn ein Kind eine längere Strecke laufen und dabei gar stark befahrene Straßen überqueren muss, ist es gerade im frühen Grundschulalter nachvollziehbar, wenn Eltern handeln und das Kind nicht in den Verkehrsdschungel schicken möchten, wo es gefährdet wird. Durch Straßenverkehr und eben zu den Stoßzeiten auch durch andere Elterntaxis. Also ein System, dass sich selbst aufrechterhält und sogar verstärkt?

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Nur bedingt, denn es gibt tatsächlich rationale Gründe, warum ein Direkttransport mit dem Familienwagen zur Schule seine Berechtigung hat.

Perspektivwechsel notwendig!

Abgesehen von individuellen Gründen, beispielsweise Kind oder Eltern haben ein Handicap oder der Arbeitsweg liegt unmittelbar am Weg zur Schule, gibt es natürlich noch generelle Ausgangssituationen, die für Elterntaxis sprechen können. Um Elterntaxis an dieser Stelle zu verstehen, darf man sich nicht an Städte mit einer guten Infrastruktur und einem halbwegs vernünftigen öffentlichen Nahverkehr orientieren, denn hier dürften Elterntaxis in der Tat überflüssig und zudem eine Gefahr sein. Nein, wir müssen woanders hinschauen, und zwar auf das Land.

Dorthin, wo die Wege weiter sind, die Busse seltener fahren und entsprechend eine sehr lange Fahrzeit haben, da sie viele Haltestellen anfahren. Hier wird deutlich: Wenn Kinder von ihren Eltern mit dem Auto zur Schule gebracht werden, wird sehr viel Zeit eingespart und den Kindern eine extrem frühe Aufstehzeit erspart. Wer aus einer ländlichen Region kommt, kann das durchaus nachvollziehen und weiß, dass so ein Bus durchaus mal 40 – 50 Minuten unterwegs ist. Ganz abgesehen von dem Weg bis zur Haltestelle, der ebenso addiert werden muss.

Ein Beispiel hier wieder aus der eigenen Jugend: Der Schulbus aus dem Nachbarort war gut 35 Minuten unterwegs, mit dem Auto schafft man das in etwas weniger als der halben Zeit (gemeint: Linie 76 Harsewinkel -> Versmold).

Ein zweiter Perspektivwechsel ist hier natürlich auch noch notwendig: Nicht allein die Kinder müssen früh aufstehen, sondern im Regelfall ebenso die Eltern. Da ist es dann schon ein Unterschied, ob man morgens 40 – 60 Minuten länger schlafen kann.

Reduzierbar?

An dieser Stelle gilt es zu differenzieren: Welche Schulwege mit dem Auto sind sinnvoll, welche absolut überflüssig? Innerstädtisch gesehen dürfte eine Autofahrt zur Schule tatsächlich nicht notwendig sein. Abgesehen von schwersten Witterungsverhältnissen und Transportproblemen (schweres Sportzeug oder gar Musikinstrumente) gibt es nur wenig sinnvolle Punkte, die ein Elterntaxi gebieten.

https://www.facebook.com/wdrlokalzeitowl/videos/342162629788150/

Im Gegenteil: Dem Kind wird in der Frühe die Bewegung entzogen, welche durchaus hilfreich ist, um in den Tag zu kommen. Das ist natürlich offensichtlich. Daneben findet sich ein weiteres, aber auch durchaus zweischneidiges Argument: Während ein Elterntaxi die Eltern-Kind Bindung fördert, schafft hingegen ein Schulweg (zu Fuß/im Bus/mit dem Rad) eine größere Bindung zu anderen Mitschülern. Das kann nicht verkehrt sein, denn hier kann durchaus ein Kontakt zwischen Kindern entstehen, deren Eltern unterschiedlicher Einkommensklassen sind.

Diese bestätigt ebenso der ADAC und schreibt:

Mittlerweile ist durch zahlreiche Studien nachgewiesen, dass die tägliche Bewältigung des Schulwegs zu Fuß eine Reihe von positiven Effekten auf die kindliche Entwicklung hat. Dazu zählen eine höhere Konzentrationsfähigkeit im Unterricht, eine gesteigerte körperliche Fitness, der Abbau von Übergewicht sowie – bei gemeinsamer Bewältigung des Schulwegs mit anderen Kindern – die Verbesserung des Sozialverhaltens.

Insofern wäre Selbstreflexion hier eine gute Ausgangsbasis: Soweit nicht notwendig, muss ich wirklich mein Kind täglich mit dem Auto zur Schule bringen und Abholen?

Mehr Auto – mehr Sicherheit?

Gerade hier muss man sich selbst auf die Probe stellen, denn bietet mehr Auto mehr Sicherheit? Grundsätzlich ja, zumindest dem eigenen Kinde, welches sicher im Fondbereich des Autos sitzt. Wenn dieses Auto dann auch noch groß und stabil wie ein Panzer anmutet, wird das eigene Kind sicherlich gut geschützt sein. Doch was ist mit den anderen 199 Kindern, die ebenfalls unterwegs sind?

Hier zeigt sich das eigentliche Problem, denn die Maximierung des Schutzes für das eigene Kind erschafft ebenso eine Erhöhung des Risikos für andere Kinder. Ein Beispiel: Im Dezember 2018 verstarb ein Kind in Mönchengladbach. Es wurde von einer Mutter mit dem Auto erfasst, die wiederum selbst ihre Kinder zu einer Schule brachte (siehe hier).

Gerade in großen Fahrzeugen, wie beispielsweise den sog. SUVs, sind Kinder häufig nicht sichtbar. Probleme entstehen hier speziell vor den Schulen, wo Kinder aus den Autos steigen, Eltern heran- und hinwegfahren und dort schnell Kinder übersehen können.

Schule findet nicht nur im Klassenraum statt!

Wir dürfen nicht vergessen, dass Kinder zum Lernen zur Schule gehen. Und dieser Unterricht findet nicht nur im Klassenraum statt, sondern eben auch auf dem Weg dorthin. Gerade hier beginnt die Verkehrserziehung und seien wir uns alle mal ehrlich, eine Radfahrprüfung in der 4. Klasse Grundschule ist definitiv zu spät.

Verkehrserziehung muss tatsächlich deutlich früher beginnen und beginnt in der Realität tatsächlich mit dem täglichen Weg zur Schule. Hier können Eltern durchaus früh ansetzen, denn Kinder lernen und vertrauen ihren Eltern! Gemeinsame Wege zur Schule, Beurteilung der Gefahren, erlernen von Verkehrsregeln, aber auch das Erkennen von Schildern und Lichtzeichen.

Maßnahmen: Verbote?

Viele Städte setzen hier auf Verbote, um das Verkehrsaufkommen vor Schulen innerhalb eines gewissen Zeitraums zu reduzieren. Auf der einen Seite kann das durch Parkverbote vor Schulen gewährleistet werden (sofern Eltern sich daran halten). Dies in Kombination mit Elternhaltestellen in moderater Entfernung von Schulen kann eine Möglichkeit sein, Kinder zum einen bis zu einem sicheren Bereich zu bringen, gleichzeitig aber auch eine Bewegungsfreiheit für Kinder zu erschaffen.

In diesem Falle würde Elterntaxi bedeuten, dass man die Kinder eben nicht bis „zum Klassenraum“ bringt, sondern lediglich der (riskante) Hauptweg bis zu einem sicheren Abstellplatz überwunden wird. Den Rest müssen die Kinder selbstständig zurücklegen.

In Wien geht man an einigen Schulen einen ganz radikalen Weg: Dort werden sog. Schulstrassen eingerichtet, die während bestimmter Zeiten nicht befahren werden dürfen. Es handelt sich um drei Schulen, an denen es dann dieses Fahrverbot zu den Stoßzeiten geben wird.

https://www.facebook.com/KURIER/posts/10151226676864990

Hier werden zusätzlich in der Zeit sperren errichtet. Theoretisch könnte man durchaus auch die typischen versenkbaren Pfeiler an Schulstraßen errichten, so wie man sie häufig in Fußgängerzonen oder vor sensiblen Gebäuden vorfindet. Hier scheuen sich Städte jedoch durchaus vor den Kosten.

 

Problem: Autogerecht gebaut worden

Elterntaxis sind am Ende nicht allein das Problem, sondern die Fokussierung der Verkehrsplanung auf den Autoverkehr. Hier zeigt sich: Straßen in Städten sind für Autos ausgelegt, die 80% der Fahrbahn bekommen. Die restlichen 20% fallen auf Fußgänger und Radfahrer. Wie es aussehen kann, wenn man auch hier die Perspektive wechselt, zeigt der Amsterdamer Stadtteil De Pijp. Hier wurde die Verkehrsplanung eben nicht dem Auto angepasst:

Der Bau vermeintlich autogerechter Städte hat natürlich den Individualverkehr gefördert, zu dem auch Elterntaxis gehören. Jetzt ist es entsprechend schwierig, genau diese Konzepte wieder zurückzuschrauben und auch ein Umdenken zu bewirken, selbst wenn die Ergebnisse ein Traum der Entspannung sein könnten (an dieser Stelle kommt mir wieder unfreiwillig die seit Jahrzenten dauernde Diskussion um eine autofreie Innenstadt meiner alten Heimat in den Kopf). Und nicht zu vergessen: Es ist häufig die schwache Infrastruktur gepaart mit einem gefährlichen Straßenverkehr auf dem Lande, welche zu Elterntaxis führen.

Wir sprechen also an dieser Stelle nicht von Elterntaxis alleine, sondern einer Umgebung, die eben nicht an Kinder, bzw. generell an Fußgängern und Radfahrern, sondern eher an Autos und sogar dem Individualverkehr angepasst ist. Insofern wäre es durchaus eine Idee, genau hier anzusetzen und die Situation zu verbessern

Gelingt dies durch (Fahr-) Verbote? Vielleicht. Doch sind Verbote am Ende das Ziel? Bestimmt nicht. Auch hier ist wieder ein Wort wichtig: Perspektivwechsel! Was wäre, wenn man eben nicht Verbote verhängen würde, sondern stattdessen die Alternativen so attraktiv gestaltet, dass es gar kein Interesse mehr an einem Individualverkehr und Elterntaxis gibt? Verbesserte Verkehrsplanung mit Blick auf die Menschen und nicht auf das Auto, ein besserer öffentlicher Nahverkehr wären überlegenswert.

Das wäre doch ein denkenswerter Ansatz!


 

Artikelbild von Keeper Of The Memories / Shutterstock.com

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