Das Referendum zum Artikel 146 GG – Wenn Reichsbürger träumen…

Autor: Ralf Nowotny

Das Referendum zum Artikel 146 GG - Wenn Reichsbürger träumen...
Das Referendum zum Artikel 146 GG - Wenn Reichsbürger träumen...

In so manchem Briefkasten findet sich, von unbekannten Nachbarn deponiert, ein Referendum für eine neue Verfassung.

So wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass sich ein seltsames Schreiben mit unbekanntem Absender in Briefkästen findet, augenscheinlich ausgedruckt von eifrigen Mitbürgern, die ihre Nachbarn dazu auffordern, einer Durchsetzung des Artikel 146 Grundgesetz zuzustimmen.

Hier ein Bild des Schreibens:

Das Referendum
Das Referendum

Das Schreiben beginnt mit der Nennung des Artikel 146 GG und enthält daraufhin die Behauptung, dass das Grundgesetz gar keine Verfassung sei, vielmehr der Artikel dazu auffordere, dass das deutsche Volk über eine Verfassung entscheiden müsse.

Glücklicherweise hat der Verfasser des Schreibens, dort nur als „VV/BSD“, V-Versammlung und „Bundesstaat-Deutschland“ erkennbar, sogar bereits einen Plan, wenn es gelingen sollte, dass genügend Menschen der „Erfüllung des Artikel 146 GG“ zustimmen. Dazu werden wir aber gleich noch kommen!

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Der Artikel 146 GG

In diesem steht:

„Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“

Im Prinzip sagt der Artikel also aus, dass das Grundgesetz durch einen Mehrheitsentscheid des Volkes ungültig werden könnte.
Die VV/BSD scheint nun mit diesem Grundgesetz nicht wirklich zufrieden zu sein, weswegen sie obiges Schreiben auch auf ihrer Seite als PDF zur Verfügung stellen: Damit es möglichst viele Menschen ausdrucken und unterschreiben.

Warum gibt es diesen Artikel 146 GG?

Dies hat mit der Geschichte des Grundgesetzes zu tun!
Als das Grundgesetz am 23. Mai 1949 verkündet wurde, war es im Prinzip nur eine Art Notbau, um dem „staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben“. Niemand vermutete ernsthaft, dass es über 60 Jahre immer noch Gültigkeit besäße, da man davon ausging, dass die Teilung Deutschland nur für eine sehr begrenzte Zeit gälte, man danach sich eine „richtige“ Verfassung geben würde.

Dies ist auch der Grund, warum das Grundgesetz, welches von seinen umfangreichen Regelungen her den Charakter einer kompletten Verfassung hat, nicht auch den Namen „Verfassung“ trägt: Es sollte ursprünglich erst mal nur der Übergangszeit dienen, eben eine gesetzliche Grundlage, ein Grundgesetz, sein.

Ein besonderer Charakter, der das Grundgesetz als vollumfängliche Verfassung kennzeichnet:
Es werden darin nicht nur die Rechte der Staatsorgane geregelt, sondern auch die des Einzelnen, was gleich zu Beginn mit Artikel 1 klargestellt wird: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Und damit ist schon mal eine Behauptung in dem Schreiben widerlegt, in dem es heißt, dass das Grundgesetz keine Verfassung sei, diese noch bestimmt werden müsse: Doch, es ist eine Verfassung, sie trägt bloß aus historischen Gründen nicht diesen Namen!

Zwischenschub – Die größte Hürde für das Grundgesetz

Das Grundgesetz hat schon einiges überlebt, die schwierigste Hürde war die deutsche Wiedervereinigung.
Dazu sei gesagt, dass die damalige Einigung auch deshalb schwierig war, da es im Artikel 23 des damaligen Grundgesetzes hieß:

„Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.“

Es gab also keine Wiedervereinigung im strengeren Sinn, sondern die DDR hätte Deutschland beitreten müssen. Da dies aber für die DDR mittlerweile undenkbar war, schloss man stattdessen einen „völkerrechtlichen Vertrag über die Wiedervereinigung“ – bekannt als der Einigungsvertrag, in dem unter anderem sämtliche beitrittsbedingte Änderungen des Grundgesetzes, die Rechtsangleichung und die Neuordnung der Öffentlichen Verwaltung geregelt sind.

Es gab also im Prinzip schon einen Beitritt der DDR zu Deutschland, allerdings unter Angleichung der Gesetze. Eines der geänderten Gesetze ist auch jener Artikel 146 GG, denn seitdem stehen dort die Worte „das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt“, welche von 1949 bis 1990 nicht darin standen.

Welche Erfolgsaussichten hat das Referendum?

Seit über 60 Jahren besteht also nun dieses Grundgesetz, welches eigentlich nur eine Notlösung darstellte, aber sogar durch die Wiedervereinigung nicht durch eine neue Verfassung abgelöst, sondern nur in wichtigen Punkten angeglichen wurde.

Und nun kommt eine ominöse Organisation, welche mit einer Unterschriftensammlung eine neue Verfassung erzwingen möchte. Das wäre im Prinzip sogar möglich, jedoch sind die Erfolgsaussichten mehr als unwahrscheinlich. Das Grundgesetz hat sich in den Jahrzehnten seines Bestehens als sehr stabile und funktionierende Verfassung erwiesen, so dass es schon einer gewaltigen Umbruchsituation bedarf, um daran rütteln zu können.

Doch nehmen wir einfach mal hypothetisch an, dass die VV/BSD Erfolg hat: Was planen sie eigentlich?
Schauen wir uns das doch mal genauer an!

Wer ist die VV/BSD

Die aktuelle Seite der „Verfassungsgebenden Versammlung“ beinhaltet nicht viel mehr Text als auf dem Schreiben und enthält auch nur einen einzigen Link, nämlich zur Seite „Bundesstaat Deutschland“, auf der sich ebenfalls das Referendum findet. Im Dezember 2019 sah die Seite noch ein wenig anders aus.

Unter anderem wird dort eine quasi alternative Version der Wiedervereinigung beschrieben:
Es wäre damals nicht gelungen, „Deutschland als Ganzes in den Grenzen vom 31.12.1937“ wieder herzustellen, obwohl sich alle Alliierten angeblich dazu verpflichtet hätten, weswegen Deutschland prinzipiell immer noch in treuhänderischer Verwaltung sei.

An diesem Punkt kommt nun jene „Verfassungsgebende Versammlung“ ins Spiel, welche von sich behauptet, über dem Grundgesetz, den bestehenden Gerichten und der gewählten Regierung zu stehen. An dieser darf aber nicht jeder teilnehmen, man muss erst seine Abstammungsurkunden bis 1914 vorlegen, quasi einen „Arier-Nachweis“ erbringen!

Die Träume einer Reichsbürger-Bewegung

Was geschehen würde, wenn diese Organisation ihre Reichsbürger-Träume umsetzt, kann man auf einer Unterseite lesen, welche auf der neuen Seite nicht verlinkt wurde. Wir zählen mal einige Punkte auf:

  • Alle Polizeimitarbeiter werden augenblicklich temporär in den Status eines Staatsbeamten erhoben
  • Beschlagnahme der Medien incl. der TV Sendestationen sowie sofortige Verhaftung der Chefredaktionen und verhängen von Hausarresten gegenüber diesen Personen bis zum Prozessbeginn
  • Verbot aller Parteien, Beschlagnahme des Parteienvermögens und Inhaftierung der Parteispitzen
  • Beschlagnahme aller privaten Banken und Rückführung in die Staatlichkeit. Verhaftungen der Vorstände und Aufsichtsräte
  • Austritt aus dem Euro, Schaffung einer Nationalbank mit einer eigenen Staatswährung
  • Temporäre Beurlaubung des gesamten Justizapparates
  • Sofortige Entfernung aller Fremdtruppen von deutschem Boden, Kündigung aller dahingehenden Verträge
  • Mitarbeiter von Schulbehörden, Lehrer und Erzieher, die die Frühsexualisierung fördern, werden vom Dienst suspendiert und können nach eingehender Prüfung der Sache ggf. ein Berufsverbot erhalten
  • Freilassung aller Inhaftierten, welche wegen Geldforderungen einsitzen

Unsere absolute Lieblingsstelle aber ist diese:

„Flächendeckende Einstellung aller Chemikalien verbreitenden Flüge, welche in der BRD unter der offiziellen Bezeichnung „Geoengineering“ durchgeführt werden“

Anders gesagt: Sie werden dann „Chemtrails“ verbieten. Also nicht nur Reichsbürger mit dem Hang zu einem totalitären System, das verdächtig nach dem Dritten Reich stinkt, sondern auch noch Aluhüte.

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Fazit

Wer ein solches Schreiben also in seinem Briefkasten findet, kann sich sicher sein, einen Reichsbürger als Nachbarn zu haben, der sich nichts anderes herbeisehnt als ein totalitäres System, von dem so mancher Möchtegern-Diktator nur träumen kann.

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