Charlie Hebdo und Jan Böhmermann – Was darf denn Satire nun? [ein Gastkommentar]

Autor: Andre Wolf

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Vor einem Jahr bei den Anschlägen von Charlie Hebdo, und auch noch, als extra3 ihren „Erdowie, Erdowo, Erdogan“-Song veröffentlichten, gab es diese Debatte nicht wirklich. Satire darf alles. Punkt.

Thomas_L Thomas Laschyk, Mimikama-Gastautor

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Nach Böhmermann und seinem „Schmähgedicht“ ist das jedoch wieder anders. In der Diskussion zur Causa Böhmermann wurde viel vermischt, Politik mit Justiz, und Metakritik mit Diffamierung.

Ich denke, dass die öffentliche Debatte um das Schmähgedicht einige wichtige Dinge außen vor lässt. Dass Erdogan ein dünnhäutiger Autokrat ist, bezweifelt niemand. Höchstens unsere Bundesregierung. Dass er Zensur fordert gegen Kritik ist ebenso verachtenswert wie zu Erwarten gewesen, wenn man die Entwicklungen in der Türkei auch nur etwas verfolgt.

Auch dass Merkel wegen ihrem sehr kritisierenswerten Flüchtlingsdeal mit der Türkei keine offene Feindschaft zum türkischen Präsidenten einnimmt, ist wenig verwunderlich.


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Jan Böhmermann hat mit seinem Schmähgedicht einerseits etwas großes für die Debatte um Satire und Meinungsfreiheit, sowie dem Umgang mit Erdogan geleistet, andererseits hat er auch Deutschland überschätzt. Oder eben nicht?

Grenzen der Satire?

Kann man es ihm wirklich verübeln, dass er nach monatelangem „Satire-darf-alles“-Gerede einmal diese Grenzen austesten wollte? In seiner Sendung, in welcher er das Schmähgedicht vorlas – welches übrigens ein Großteil der Kritiker nicht gesehen haben dürften, so wie der Text behandeln wird – bespricht er genau, wo Satire aufhört, und wo Beleidigung anfängt. Auch las er sein Gedicht, welches voller rassistischer und lookistischer Beleidigungen gen Erdogan ist, nicht einfach vor. Eingangs erwähnt er, dass dies als Beispiel eines „Schmähgedichts“ dienen solle, welches nach Deutschem Recht illegal sei. (Von der Majestätsbeleidigung wusste er vermutlich zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts) Auch unterbrach er die Lesung immer wieder, um zu betonen, dass solche Aussagen nicht in Ordnung seien.

Böhmermann hat vermutlich gedacht, wenn er in einem satirischen Kontext jene Grenze überschreitet, könne er einen wertvollen Beitrag zur Debatte um Satire und Zensur leisten. Und hat er auch. Jedoch hat er Deutschland wohl überschätzt. Böhmermann ist Postrassist. Wie bereits Slavoj Zizek argumentiert hat, hat sich Böhmermann durch die Verwendung von rassistischen Begriffen wie „Ziegenficker“ nicht über Erdogan lustig gemacht, sondern über den rassistischen Habitus, den so ein Schmähgedicht mitbringen kann. Ich hoffe, keiner denkt ernsthaft, Böhmermann würde diesen Begriff als tatsächliche Beleidigung verwenden. Böhmermann hat kein Schmähgedicht auf Erdogan verfasst, sondern sich über Schmähgedichte und dumme Beleidigungen lustig gemacht. Und uns plastisch gezeigt, wo die Grenzen der Satire sein können. Manche argumentieren, dass das Gedicht zu extrem sei, zu überspitzt, zu diffamierend. Aber wer sich beschwert, dass Satire zu überspitzt sei, hat Satire nicht verstanden. Das Gedicht ist extra so schlecht, extra so diskriminierend, damit jeder weiß, dass es nicht ernst gemeint ist. Ich selbst musste lachen. Es war witzig und es war schlau.

Böhmermann hat jedoch die Satirefähigkeiten und Reife der deutschen Bevölkerung überschätzt, die größtenteils sein Gedicht aus dem Kontext rezipierte und vor allem deswegen nicht verstand. Ich glaube, deshalb macht er jetzt seine Pause vom Fernsehen. Weil er enttäuscht ist.

Entscheidung der Gerichte – nicht der Politiker!

Merkel hingegen kann man vieles vorwerfen, wie einen menschenverachtenden Deal mit einem Autokraten einzugehen, aber die Meinungsfreiheit dafür zu Grabe zu tragen gehört nicht dazu. Gleichzeitig mit der Strafverfolgung Böhmermanns wurde auch verkündet, den Paragrafen 103 abzuschaffen.

Ihr vorzuwerfen, nicht eigenmächtig Böhmermann für unschuldig zu erklären, umgeht die deutsche Rechtssprechung. Es obliegt nicht der Regierung oder einem Kanzler, zu entscheiden, ob jemand verurteilt werden sollte oder nicht, sondern der Justiz, die dies über ihre Wege klären muss. Zur Strafverfolgung Böhmermanns muss es kommen, allein schon gemäß §104a StGB. Jedoch ist es ziemlich offensichtlich, dass spätestens der BGH oder das Bundesverfassungsgericht intellektuell in der Lage sind, zu verstehen, dass nur ein Freispruch möglich sein kann, wenn man sich die bisherige Rechtssprechung ansieht (http://www.lhr-law.de/magazin/zum-fall-boehmermann-die-zulaessigkeit-des-schmaehgedichts)

Was natürlich im Endeffekt auf das Gleiche hinausläuft, jedoch alleinig zur Zufriedenstellung Erdogans gedient haben soll, war, dass Angela Merkel von ihrem Privileg Gebrauch gemacht hat, eine Ermächtigung zu stellen. Dies ist kritisierenswert, wenn es auch für Böhmermann auch keinen Unterschied macht. Es zeigt jedoch erneut Merkels Haltung zu Erdogan, an welcher sich dringend etwas ändern müsste.

Wie die Sache letztlich ausgehen wird, werden wir erst noch sehen. Gelernt haben wir alle bereits etwas daraus. Nicht unbedingt etwas Neues über die herzlose internationale Realpolitik, aber über Satire. Und wenn der Paragraf 103 dadurch abgeschafft werden wird, kommt unser Land vielleicht doch fortgeschrittener aus der Sache raus. Ich persönlich wünsche Jan Böhmermann noch viel Durchhaltevermögen und ziehe meinen Hut vor seinem Mut, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, so wie es Satire eben tun soll.

 Thomas_LThomas Laschyk, Mimikama-Gastautor Journalist, Blogger, und animal rights activist aus Augsburg. Auf seinem Blog Der Volksverpetzer beschäftigt sich Laschyk auf  kritisch kreativer Weise mit Themen aus Lokal-, Bundes- und Weltpolitik, bis zu Wirtschaft, Finanzen und ethischen Fragestellungen.
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