Beruhigungsmittel im Trinkwasser – Wie eine urbane Legende zu einem angeblichen Fakt wurde

Wieder einmal verbreitet sich das angebliche Foto eines Zeitungsartikels, in dem behauptet wird, es werde bei drohenden, sozialen Unruhen Beruhigungsmittel ins Trinkwasser geschüttet. Doch der „Artikel“ stammt aus einem unseriösen Newsletter.

Autor: Ralf Nowotny

Die Behauptung

Augenscheinlich steht in einem Zeitungsartikel, dass bei drohenden, sozialen Unruhen Beruhigungsmittel ins Trinkwasser geschüttet werden.

Unser Fazit

Die Aussage stammt aus einem Newsletter namens „Geldbrief“ aus dem Jahr 2012 eines eher unseriös wirkenden Verlags. Die Behauptung beruht anscheinend auf einer urbanden Legende aus den 90ern, die nie bewiesen wurde.

Ein Foto ohne weitere Quellenangabe zeigt scheinbar einen Zeitungsartikel in der „Welt“ über angebliches Beruhigungsmittel im Trinkwasser, doch bei genauerem Hinschauen und der Quellensuche stellt sich heraus, dass es sich um ein unbewiesenes Gerücht aus dem Newsletter eines eher unseriösen Verlags von 2012 handelt, der zudem gar nicht mehr existiert.

Der angebliche Zeitungsausschnitt

Wir berichteten bereits mehrmals über diesen angeblichen Zeitungsausschnitt, der nun wieder kursiert:

MIMIKAMA
Beruhigungsmittel im Trinkwasser? Quelle: Twitter

In dem scheinbaren Zeitungsartikel steht:

„Die Leiterin eines Wasserwerkes einer der grössten deutschen Städte berichtete bei einer vertraulichen Plauscherei am Rande einer großen Konferenz unvorsichtigerweise hinter vorgehaltener Hand, dass in ihrem Wasserwerk viele Fässer mit Beruhigungsmitteln und speziellen chemischen Zusätzen bereitstehen. Diese würden sofort ins Trinkwasser gekippt, falls es in dieser Stadt „unruhig“ werden sollte.“

Dies soll nach Angaben der nicht weiter genannten Informationsgeberin auch für andere Großstädte in Deutschland gelten.
Unter dem Artikel ist das Logo von „Welt Online“ und der Beginn eines Finanzartikels zu sehen.

Die Quelle des Textes

Auch wenn auf dem Foto die Worte „Welt Online“ zu lesen sind, so hat der Text nichts mit der Zeitung oder dem Onlineangebot der „Welt“ zu tun. Denn die Spur führt zu einem mittlerweile nicht mehr existenten Verlag, der neben einem Newsletter auch Ratschläge gab, wie man beispielsweise an einen Führerschein aus dem Ausland oder einen Doktortitel aus den USA kommt.

Online war der Text erstmals Auf dem Blog von Gerhard Kurtz zu lesen (archiviert HIER), der als Quelle den „Geldbrief“ nannte, für den man bei einem Verlag namens „Market Letter Corp.“ Rabatt bekommen könne – der zufällig auch Gerhard Kurtz gehörte.

Besucht man nun jedoch die Seite des Verlags (siehe HIER), wird man feststellen, dass er mittlerweile nicht mehr existiert und auf eine andere Seite umleitet (siehe HIER, archiviert HIER) – die wiederum von Gerhard Kurtz stammt und auf der er auch schreibt, dass der Verlag (also er selbst) den „Geldbrief“ herausbrachte.

Die Quelle der Behauptung ist also der Newsletter des eigenen Verlags, also er selbst!

Auf der Nachfolgerseite, die die öffentlichen Beschreibungen der damaligen Verlagsprodukte enthält, werden die „exklusiven Reports vom internationalen Finanz- und Trick-Guru Gerhard Kurtz“ (also er selbst) beworben, zudem im Einleitungstext suggeriert, dass es sehr einfach wäre, beispielsweise an einen ausländischen Führerschein, einen Doktortitel aus den USA oder einen zinsfreien Kredit aus einem islamischen Staat zu bekommen.

Aber vielleicht stimmt der Inhalt des Textes ja doch?

Dann fassen wir mal zusammen, was für Informationen in dem Text stehen:

  • Eine unbekannte Leiterin eines Wasserwerks
  • Das Wasserwerk liegt in einer der größten deutschen Städte
  • eine vertrauliche Plauscherei
  • Infos hinter vorgehaltener Hand
  • auf einer großen Konferenz

Wer ist die Leiterin? Welches Wasserwerk? In welcher Stadt? Wer lauschte mit? Auf welcher Konferenz war das? Wann war das?

Im April 2020, als der Verlag noch existierte, schickten wir diesbezüglich sogar eine Anfrage an den Verlag, die jedoch nie beantwortet wurde. Seitdem gab es lediglich Anmerkungen zu unseren alten Artikeln darüber, dass es sich um eine urbane Legende handele, welche bereits in den 90ern, also weit vor einem verbreiteten Internet und Social Media, kursierte.

Und was hat Welt Online damit zu tun?

Nichts. Der darunter sichtbare Artikel erschien tatsächlich am 20. März 2012 auf der Onlinepräsenz der „Welt“, jedoch gibt es keinen Zusammenhang mit dem angeblichen Zeitungsausschnitt, der wohl eher der ausgedruckte „Geldbrief“ des obigen Verlags ist.

Fazit

Im Endeffekt handelt es sich also um die Aussage in einem Newsletter namens „Geldbrief“ aus dem Jahr 2012 eines eher unseriös wirkenden Verlags, welche anscheinend auf einer urbanden Legende aus den 90ern beruht.

Sehr plausibel sind die Aussagen auch nicht: Wenn in den Werken für die Wasserversorgung in Deutschland fässerweise Beruhigungsmittel stehen, warum hat sich bisher noch niemand dazu geäußert? Warum hat noch niemand diese Chemikalien bemerkt?

Es gibt also nicht nur gar keine Beweise für die Aussagen, sondern die Methode wäre auch sehr ineffektiv, da nicht viele Leute nur Leitungswasser trinken, sondern höchstens zum Zähneputzen verwenden oder damit kochen. Ergo könnte mit großem Aufwand höchstens ein kleiner Teil der Bevölkerung beruhigt werden.

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