Zuerst schießen, dann recherchieren! Fragwürdige Medienarbeit …

Autor: Andre Wolf

Gestern war es wieder so weit: gleich DREI Veröffentlichungen stimmten mich nachdenklich. Alle drei Meldungen zeigen, wie skrupellos man in Überschriften vorgeht, nur um die Texte verkaufen zu können.


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Es fühlt sich irgendwie an wie “Brot und Spiele”, wenn man so manch peitschende Titel liest. Und noch schlimmer wirkt es, wenn die Titel abermals dahingeschissen wurden. Denn das Maximum an Überschriftenscheißerei ist dann erreicht, wenn die Überschriften nicht einmal richtig sind! So zum Beispiel traf es Sänger Nik P.:

Liebe Fans! Zur Richtigstellung:

Posted by Nik P. on Freitag, 18. März 2016

Tatsächlich schreibt die Bild, der Schlagersänger müsse sich nun vor Gericht. Was hier jedoch ursprünglich vernachlässigt wurde und heute in nur einem kurzen Satz angemerkt wird: es handelt sich um eine völlig andere Person. Macht nix … den anderen kennt man kaum, Nik P. jedoch schon. Nehm´wa den!. Really? Und so liest man bis heute in dem Artikel:

2006 wurde Nic mit dem Cover-Song „Einen Stern“ bekannt. DJ Ötzi sang das Lied 2007 […]

Die Vorwürfe sind schwer: Vergewaltigung, sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen und mehrfache, zum Teil gefährliche Körperverletzung. Die Fälle sollen sich zwischen 2011 und 2014 ereignet haben.

Mal kurz auch der Hinweis: der eine ist Nik P. (mit K, bürgerlich Nikolaus Presnik). Dieser hat das Lied “Einen Stern” im Jahre 1998 herausgebracht und 2007 mit DJ Ötzi gesungen. Der andere heißt Nic (mit C, bürgerlich Mirco Harald G). Den kennen halt nur wenige, der steht aber nun vor Gericht. Er hat das Lied 2006 ebenfalls gecovert, aber NICHT mit DJ Ötzi gesungen.

Mit dieser Ähnlichkeit wird stark in dem Artikel gespielt. Mehrfach wird die Angabe gemacht, es handle sich um den Sänger,  der durch das Lied “Einen Stern” bekannt wurde. Erst späteren im Verlaufe des Artikels liest man

Nicht zu verwechseln mit seinem Konkurrenten Nik P.

Da der Artikel nach bekanntwerden des Fauxpas nachträglich korrigiert wurde, gehen wir an dieser Stelle von davon aus, dass auch dieser Satz nachträglich eingeschoben wurde. Fakt ist jedoch: es gibt weiterhin viele misinterpretierbare Stellen im Text.

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(Screenshot: BILD)

Skandaljournalismus at its best!

Aber … aber … es geht noch besser!

Ehrlich! Denn jetzt ratet mal, wer mit einem “Autsch” über diese Verwechslung berichtet? Na? Wer kommt drauf? Richtig: ausgerechnet die OE! Die OE! So heißt es in einem Artikel vom 18. März 2016:

Schlagerstar Nik P. wurde von der Bild-Zeitung mit Sänger Nic verwechselt.

Autsch
„Vergewaltigungsvorwürfe! Schlagersänger vor Gericht“, so titelte die deutsche Bild-Zeitung vor einigen Tagen online und behauptete, dass Schlager-Star Nik P. wegen Vergewaltigung und Körperverletzung vor Gericht stehen würde.

Warum ich nun genau das als lachhaft empfinde? Nun, weil die OE das zweite Medium war, welches mir gestern mit extrem seichter Überschriftenscheißerei aufgefallen ist. Denn ebenfalls gestern, also am 18. März 2016 prangte diese Überschrift auf der Titelseite der OE (Österreich):

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Oh mein Gott! wir haben es alle immer schon gewusst! 40 % mehr Asyldelikte. Aber das Beste daran kommt noch. Ehrlich! Es ist der Untertitel:

Allerdings: Zahl der Asylwerber stieg um 200 Prozent.

An dieser Stelle sollte das Mathematikerherz in einem jeden von uns anfangen laut zu lachen! Denn dieser großlettrige “Skandal” um die Zunahme der Delikte beschreibt mathematisch sogar eine prozentuale Abnahme!

Moment, Moment …

Da will ich Euch jetzt nicht mit einem Fragezeichen stehen lassen, sondern die Rechnung offenlegen. Ich nehme einfache Zahlen, damit es nicht zu kompliziert wird.

Nehmen wir an, 100 Asylbewerber (in Österreich “Asylwerber”) begangen im Jahr 2015 20 Delikte. (frei erfundene Zahlen, gelten lediglich für die mathematische Veranschaulichung!). Dann läge der Anteil bei 20%.

Nun ist laut OE eine Zunahme in den Delikten von 40% zu vernehmen. Macht also gemäß unserer Beispielzahl ein Anstieg auf 28 Delikte. Und jetzt kommt es: um bei unserem Anteiligen Verhältnis zu bleiben, müssten der Anstieg der Asylbewerber ebenso nur um 40% gestiegen sein. Also bei 140 Personen liegen. Ist es aber nicht – es ist ein Anstieg an dieser Stelle von 200% genannt.

Mit unseren einfachen (erfundenen) Rechenzahlen bedeutet das: auf 300 Personen wurden nun 28 Delikte begangen. Das ist anteilig … na, wer hat es berechnet … genau: 9,33% (gerundet)

Also die Anteilsquote ist um die Hälfte geringer geworden. Sprich: auf die komplette Menge gesehen gibt es prozentual nur noch die Hälfte an Delikten. Klingt aber nicht so reißerisch wie “Asyl-Deliktanteil bei Asylwerbern um 50% gesunken”. Autsch, OE!

Wo wir bei Delikten sind …

Und da hat die BILD mich gestern zu meinem dritten Schaudern genötigt: die BILD berichtet seit dem gestrigen Abend über eine Vergewaltigungsmeldung in der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung (ZEA) für Flüchtlinge im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld (siehe hier). Wenn sich das als wahr herausstellt, so ballt sich meine Hand abermals in der Tasche wieder zu einer Faust voller Hass auf diejenigen, welche in Gruppen Kinder missbrauchen.

Sollte das aber nicht bestätigt werden, so macht es mich ebenfalls wütend: zieht man synoptisch nämlich die gleiche Meldung des NDR über diese Ermittlungen hinzu, bekommt man eine Information, welche in der BILD nicht zu lesen ist:

Ob es tatsächlich ein Opfer gegeben hat oder ob die Tat von Bewohnern der Erstaufnahme erfunden wurde, dazu will die Staatsanwaltschaft nichts sagen. Es gebe einen „Vorwurf, den wir nicht belegen können“, sagte Frombach. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen.

Immerhin, die BILD beendet ihre Überschrift mit einem Fragezeichen (Mädchen (7) von fünf Männern vergewaltigt?), aber warum sie ausdrücklich ein Fragezeichen verwenden, dass beantwortet scheinbar lediglich der NDR Artikel.

Skandalpresse & Überschriftenscheißerei

In einer Zeit, in der Informationen aus Überschriften und Bildern konsumiert werden, in der jeder der erste mit einer “heißen Story” im Netz sein will, scheinen Sorgfalt und Verantwortung zu leiden. Wenn man das überhaupt noch leiden nennen darf. Denn wenn ein großes Print- und Onlinemedium einen Menschen zu einem Vergewaltiger macht, nur weil eine Gleichheit im Namen zu sehen ist, dann bekomme ich Angst. Angst davor, was noch alles möglich ist, wenn man nicht genau hinschaut. Ich bekomme Angst davor, dass Überschriften uns zu Vorverurteilern verkommen lassen und das wir am Ende gar nicht mehr wissen wollen, was wirklich geschehen ist, sondern nur die dramatischste Überschrift als die Wahrhaftigste akzeptieren.

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