Deniz Yücel ist frei – und schon tauchen die Fragen wieder auf: Ist er ein Volksverhetzer?

Autor: Andre Wolf

News und Social Media hatten am gestrigen Freitag (16.02.18) ein großes Thema: Die Freilassung von Deniz Yücel!

Im Schatten dieser Botschaft warfen Yücel-Kritiker jedoch wieder in den Raum, es handle sich bei ihm um einen Deutschland-Hasser, der hätte im Gefängnis bleiben sollen. Bereits kurz nach seiner Inhaftierung wurde eine seiner alten Kolumnen aus dem Jahr 2011 zum Thema. Auch wir haben darüber schon 2017 berichtet.

“Möge er noch lange sitzen!” lautete der Wunsch in einer Statusmeldung auf Facebook. Dieser Wunsch bezieht sich auf den damals in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten und Publizisten Deniz Yücel. Dieser Wunsch entstand aufgrund einer, auch so gekennzeichneten, Kolumne, welche Deniz Yücel verfasst hat.

Diese Kolumne ist kein Fake. Yücel hat in seiner taz-Zeit einige inhaltlich durchaus extremere Sachen geschrieben. Deniz Yücel provoziert mit dieser Aussage. Und auch hier ist die Grenze zur Ironie, nennen wir es teilweise fließend. Es gibt da letztendlich auch nicht vielmehr zu zu sagen, außer dass es eben eine Kolumne ist und Kolumnen sind nun mal meinungstragende Kommentare. Nachzulesen ist der ganze Artikel hier: Super, Deutschland schafft sich ab!



Kolumnen sind ein sehr interessantes Element im Journalismus.

Man findet sie überall, in Tageszeitungen, Boulevardzeitungen, oder Magazinen. Sie sind dann häufig als Kolumne gekennzeichnet und befinden sich bei seriösen Medien meist an immer der gleichen Stelle. Es ist recht wichtig, eine Kolumne zu erkennen und zu wissen, was sie ist. Denn eine Kolumne ist ein Meinungsbeitrag, muss sich aber nicht auf eine Nachricht beziehen. Sie spiegelt die Meinung eines Journalisten wieder. Daher nennt man Journalisten, die regelmäßig Kolumnen verfassen, auch Kolumnisten. Kolumnen erscheinen regelmäßig und sind meist vom selben Autor verfasst. Hier erzählt der Autor eine Geschichte, die häufig in der Ich-Form verfasst ist.

MIMIKAMA

Es ist vielleicht gar nicht verkehrt, an dieser Stelle kurz auf die verschiedenen Gattungen hinzuweisen, welche man in Zeitungen finden kann. Denn nicht alles, was in Zeitungen gedruckt wird, ist eine Nachricht oder ein Bericht. Es gibt auch Formen, so wie die Kolumne, die bewusst kontrovers gestaltet sind. So wie die beiden Folgenden:

Kommentar

Der Kommentar ist eine klar meinungsäußernde Darstellungsform. Nachrichten werden hier kommentiert, also inhaltlich bewertet, wobei eine Stellungnahme stets inbegriffen ist. Der Kommentar erfordert eine eigene Meinung, aber auch ein Fazit, also eine Schlussfolgerung, und ist klar formuliert. Kritiken und Rezensionen sind beispielsweise Sonderformen des Kommentars.

Glosse

Die Glosse unterscheidet sich im Wesentlichen insofern, als dass sie einerseits das aktuelle Geschehen zum Gegenstand hat, dabei ironisch und sarkastisch ist und in jedem Fall eine Meinung transportieren kann. Sie ist andererseits stilistisch hochwertig und zeichnet sich weiterhin durch ein hohes Fachwissen in Bezug auf den glossierten Gegenstand aus.

Und Yücels Satz?

Was hat es mit diesen Anschuldigungen auf sich?

Wie erwähnt stammt der Satz, der ihm zum Vorwurf gemacht wird, aus der TAZ. Deniz Yücel provoziert mit dieser Aussage, was aber auch offensichtliches Stilmittel seiner Beiträge ist.

Zitat im Kontext (4.8.2011):

Der baldige Abgang der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite. Eine Nation, deren größter Beitrag zur Zivilisationsgeschichte der Menschheit darin besteht, dem absolut Bösen Namen und Gesicht verliehen und, wie Wolfgang Pohrt einmal schrieb, den Krieg zum Sachwalter und Vollstrecker der Menschlichkeit gemacht zu haben; eine Nation, die seit jeher mit grenzenlosem Selbstmitleid, penetranter Besserwisserei und ewiger schlechter Laune auffällt; eine Nation, die Dutzende Ausdrücke für das Wort „meckern“ kennt, für alles Erotische sich aber anderer Leute Wörter borgen muss, weil die eigene Sprache nur verklemmtes, grobes oder klinisches Vokabular zu bieten hat, diese freudlose Nation also kann gerne dahinscheiden.

Genau betrachtet bezieht er sich mit diesem Zitat, bei dem zwischen diesen beiden Sätzen ca. 80 (!) Wörter fehlen, die zum Verständnis beitragen, auf demographische Daten und die deutsche Sprache.

Die Absicht der in dem im Bild nur unvollständig wiedergegebenen Aussage, erschließt sich beim Lesen des kompletten Artikels, aus dem diese stammt.

MIMIKAMA

Er bezieht sich mit Titel und Leitmotiv auf Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“, welches im Jahr zuvor veröffentlicht wurde. Dies im Hinterkopf behaltend, erschließt sich ein Kontext, in dem dieser Kolumnenbeitrag als satirische Reflexion unter Zuhilfenahme von statistischen Daten und willkürlicher Auswahl einseitig betrachteter Eigenheiten der deutschen Sprache und (Pseudo-)Tradition gesehen werden kann.

Quasi in Stücken wie Jean-Jacques Rousseau mit seinem Menschenbild der zivilisatorisch entwickelten Gesellschaft, nur noch krasser.

„Vor seinem Wechsel zur «Welt» war der deutsch-türkische Journalist aus dem hessischen Flörsheim bei der linken «Jungle World» und bei der «tageszeitung». In seinen «taz»-Kolumnen provozierte er mit Aussagen wie dieser: «Der baldige Abgang der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite.» Eine Kolumne, in der Yücel dem umstrittenen SPD-Politiker und Buchautor Thilo Sarrazin («Deutschland schafft sich ab») einen Schlaganfall wünschte, kostete die «taz» eine empfindliche Entschädigung.“
Quelle: Welt

Fazit:

Über den Artikel der TAZ vom 04.08.2011 kann man geteilter Meinung sein. Und genau das soll man auch: Absicht des Beitrags war es, zu polarisieren, zu provozieren und damit – letztendlich – zur Diskussion aufzurufen.

Das stark verkürzte Zitat aber, wie in dem Bild dargestellt, für sich alleine in den Raum zu stellen, und damit der (Miß-)Deutung in sämtliche Richtungen Tür und Tor zu öffnen, ist denkbar ungeeignet, wenn es darum geht, Yücels generelle Einstellung zu Deutschland zu repräsentieren.

Ohne den thematischen Kontext, die Einordnung der Quelle, und den inhaltlich-textlichen Zusammenhang im Artikel selbst, wird die offensichtliche satirische Intention nicht transportiert.

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