Was Cybermobbing mit mir machte, oder mein Weg zu mimikama

Autor: Tom Wannenmacher

CW: Sexuelle Gewalt, Fremdenfeindliche Aussagen

Hallo, mein Name ist Anke und ich bin vom Mimikama-Team!

Mein Weg zu mimikama ist unfassbar eng mit den Folgen von Cybermobbing verbunden.
Cybermobbing gegen meine Familie und mich, weil wir es Ende 2015 gewagt haben, einen Flüchtling in unsere Familie aufzunehmen. Dieser junge Mann hatte im September 2015 ein Selfie mit Angela Merkel gemacht, eine ganz lustige Anekdote, wie wir fanden, aber mehr auch nicht.
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Klar, als Flüchtlingshelferin war man eh schon eine Menge Anfeindungen aus dem Netz gewohnt, also war mir nicht ernsthaft Bange vor den Reaktionen. Und es gab auch nur sehr wenige Anfeindungen in dieser Zeit, die meisten Kommentare in den sozialen Netzwerken waren auch positiv, richtig böse Kommentare gab es eigentlich kaum.

Dann kam der Frühling 2016 und mit ihm die Anschläge in Brüssel.

Ich habe mit unserem Mitbewohner und Ziehsohn am Küchentisch gesessen, als wir davon hörten und wir waren unfassbar betroffen.

„Es ist schlimm, dass sowas jetzt auch hier passiert, das ist so schlimm, das kenne ich so gut aus Syrien!“

Er war zutiefst getroffen und entsetzt. Ein paar Tage später geisterte ein Bild durch die rechten Netzwerke: Sein Selfie mit Angela Merkel daneben einer der Attentäter von Zavatem und dann wurde darauf hingewiesen, dass er der Attentäter sei und vorher ein Selfie mit der Kanzlerin geschossen hat.
Am Anfang habe ich noch an einen schlechten Scherz geglaubt , dann habe ich die Trag- und Reichweite erkannt, die dieser Fake da schon hatte. Jetzt musste ich reagieren.
Ich habe völlig naiv den Menschen geschrieben, die diesen Fake teilten, dass er kein Terrorist sei, dass er noch lebt und dass das einfach nicht wahr ist. Ich habe tatsächlich gedacht, das würde was bringen. Es brachte auch was, Häme, Spott, Drohungen, Vergewaltigungswünsche, Schimpfwörter und vieles mehr. Die Teilungsrate stieg und stieg und damit stieg auch meine Verzweiflung und Angst. Um meinen Jungen, um meine Tochter, meinen Mann und mich. Warum bedrohen Menschen ein damals 5 jähriges Kind und wünschen ihm den Tod?
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Warum glauben diese Leute, er sei ein Selbstmordattentäter, wo er doch lebt und bei mir am Tisch saß?

Würden die mir solche Kommentare auch ins Gesicht sagen? Bekommen die raus, wo wir wohnen? Sind wir in Gefahr?
Polizei, BKA und LKA konnten / wollten oder durften mir nicht helfen und mein Ziehsohn hatte, nach seinen Erfahrungen in Syrien, Angst vor der Polizei und wollte keine Anzeige erstatten. Seine Eltern in Damaskus hatten Angst, er sei wegen dieser Verleumdung gar verhaftet worden. Was für eine verkehrte Welt, in der ein Opfer zum Täter gemacht wird.
In meiner Verzweiflung habe ich mich an DAS Internetgewissen gewendet, wie ich es immer nannte, an mimikama.
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Ich habe ziemlich verzweifelt um Hilfe gebeten und tatsächlich, bevor alle anderen Medien, die ich bisher angeschrieben hatte, mit der Bitte um eine Gegendarstellung, reagiert haben, hat mimikama reagiert, recherchiert und einen Artikel geschrieben.
Auch die großen Medien haben über diesen dreisten Fake berichtet und eigentlich dachten wir nach wirklich zwei Wochen Hölle, dass alles vorbei sei.

Zwei Wochen Hölle, wegen Kommentaren und Nachrichten in den sozialen Netzwerken?

Ja, denn die Drohungen, Verleumdungen und Beleidigungen bleiben eben nicht im Netz. Vielleicht für die, die sie unbedacht oder auch voller Genugtuung posteten, aber nicht für meine Familie und mich. Die Angst um unseren Ziehsohn und um uns war völlig real.
Auch gab es den einen oder anderen „Spaßvogel“ der mich bei meiner Arbeit anrief oder einen Zettel in unseren Briefkasten steckte. Die wissen, wo wir wohnen, wollen die uns Schaden zufügen, ist unser Haus sicher? Ängstliche Blicke über meine Schultern wurden zu meinen Begleitern. Angst um mein Kind im Kindergarten, Angst um meine kleine Firma (werden mir die Scheiben eingeschlagen?). Meine Angestellten durften immer nur noch zu zweit raus, denn auch um die hatte ich Angst.
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Die Angst aus dem Netz kriecht langsam aber unaufhaltsam in die Realität. Die Angst ist nicht virtuell, sondern ganz real. Sie hat unser Leben teilweise bestimmt. Wie kann ich meinem Kind Sicherheit geben, wenn ich sie selber nicht spüre? Warum wünschen mir Menschen, die mich gar nicht kennen, einen grausamen Tod? Wie kann ich meiner Arbeit gut und gewissenhaft nachgehen, wenn ich in Gedanken, bei Vergewaltigungswünschen und Todesdrohungen bin?

Das war grausam, aber nach zwei Wochen wurde es besser und der Spuk war (erstmal) vorbei. Unsere Friede, Freunde-, Eierkuchenfamilie war wieder etwas heiler, aber ein Schatten blieb.

Im Laufe des Jahres kamen dann immer wieder Bilder und Fakenews über unseren Jungen.

Immer wieder begann sich die Spirale aus Hass, Beleidigungen, Drohungen und Hetze zu drehen. Manchmal habe ich sie kaum noch bemerkt, wie wenn man an einer Autobahn wohnt und den Lärm kaum noch wahrnimmt. Erst wenn Stille ist, merkt man, wie sehr es einen belastet, wie bei mir.
Ich habe immer wieder mimikama um Aufklärung der Fakes gebeten und das passierte auch, denn diese Bilder, Geschichten und Posts hatten keinen realen Hintergrund, alles war Lüge. Ich hatte Kontakt zur guten Seite des Netzes, das machte mich deutlich weniger zum Opfer, denn ich war nicht mehr allein.
Auch andere Organisationen, Gruppen und Freunde im Netz standen uns zur Seite. Diese Erfahrung, dass Fakten und die Wahrheit doch noch etwas zählen, hat mich stärker gemacht.
Als ich dann die Möglichkeit bekam, selber aktiv gegen Fakenews und deren Folgen etwas im Netz bei mimikama mitmachen zu können, habe ich diese sofort ergriffen. Ich weiß, wie sich Fakes zu Fakten und Kommentare zu Hass, Hetze und Bedrohungen verändern.
Man kann bestimmt nicht alle Menschen erreichen, die auf solche Sachen hereinfallen. Bei einigen Menschen bestätigt so eine Fakenews nur das eigene Weltbild und es kommen dann Argumente, wie: „es hätte ja sein können“.
Mein Weg war also vom Opfer (und ja, so habe ich mich gefühlt) zum Fakejäger. Ich bin nicht mehr hilflos und alleine, sondern helfe selber mit, dass sich andere nicht auch so fühlen müssen, oder schnell die Wahrheit an Licht kommt.
Cybermobbing ist eben nicht nur ein digitales, virtuelles Problem, sondern ein ganz reales, wenn man betroffen ist. Ich weiß nicht, ob die Kommentatoren wissen oder ahnen, was sie Menschen zum Teil mit ihren Ergüssen antun. Wenn ich jünger und nicht so gefestigt gewesen wäre, dann hätte mich das bestimmt noch mehr und härter getroffen.
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Was macht so ein Mobbing mit jungen Menschen, oder sogar mit Kindern?

Im Netz schreibt man doch schnell mal Dinge, die man niemals sagen würde, weil es einen der Anstand verbietet. Aber wo ist der Unterschied? Weil man nicht sehen kann, wie Worte treffen, sind sie weniger schlimm? Im Gegenteil, denn diese Worte sind niedergeschrieben, ich kann sie immer wieder lesen, bis heute.

Mein Rat an alle Betroffenen:

  • Holt euch Hilfe! Bei Freunden, Bekannten oder eben auch bei Organisationen, wie mimikama, wenn es um Fakes geht.
  • Macht den Rechner aus, geht in die reale Welt und versucht das nicht zu sehr an euch ranzulassen.
  • Erstattet Anzeige, wenn Beleidigungen und Drohungen im Spiel sind.
  • Macht eure Profile so weit wie möglich sicher und unsichtbar für Fremde.
  • Gebt eure Privatsphäre nicht auf und gebt nicht zuviel von euch preis, denn Freunde im Netz kennt man eben nur aus dem Netz und weiß nicht wirklich, wer dahintersteckt.
  • Seid ruhig ein wenig misstrauisch.

An die, die immer mal wieder einen „knackigen“ Kommentar hinterlassen oder einfach mal ungeprüft etwas teilen.

  • Informiert euch!
  • Stimmt die Quelle?
  • Fragt nach, z.B. bei mimikama.
  • Und schreibt nichts, was ihr in Gegenwart der Polizei nicht auch zu jemanden sagen würdet. Ihr wisst nicht, was Worte auslösen können.
  • Im schlimmsten Fall ist ein Leben in Gefahr!
  • Cybermobbing ist kein Kavaliersdelikt und keine Kleinigkeit, es ist real, es ist oft genug eine Straftat!

An alle, die solche Attacken bemerken:

Steht dem Angegriffenen bei, fragt nach Daten und Fakten, beschwichtigt und beruhigt die Lage. Das kann schon mal enorm helfen. Das kann man sehr gut auch bei Gruppen wie “ichbinhier” lernen, üben und machen.

Lasst die Menschen nicht allein, denn Cybermobbing ist reales Mobbing, auch wenn es „nur“ im Netz stattfindet.

Autorin: Anke M., mimikama.org

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