Faktencheck: „Schockierende Geheimnisse der Lebensmittelindustrie“

Autor: Ralf Nowotny

Wenn man Küchenchemie nicht versteht
Wenn man Küchenchemie nicht versteht

Das Vertrauen in die Lebensmittelindustrie ist nicht gerade groß. Doch sind die Erkenntnisse in diesem Video wirklich so „schockierend“?

Dass Verbraucher vielen Lebensmitteln nicht trauen, ist verständlich. So manche Seite berichtet oft alarmistisch über Gifte in der Nahrung. Ein Video soll nun demonstrieren, wie mit einfachen Methoden festgestellt werden kann, dass Lebensmittel manipuliert wurden.
Zeigen diese einfachen Methoden wirklich das, was behauptet wird?

Hier könnt Ihr Euch das Video anschauen:

Behauptung: Äpfel sind mit Wachs überzogen

Screenshot: mimikama.org
Screenshot: mimikama.org

In dem Video sieht man einen Apfel, der mit lauwarmem Wasser übergossen wird. Daraufhin löst sich eine Schicht vom Apfel.

Während ein Apfel am Baum hängt, entwickelt er eine natürliche Wachsschicht auf der Schale, die sich mehlig anfühlt. Auch Orangen, Birnen und andere Früchte haben eine solche Schicht auf der Schale. Der Grund: Das natürliche Wachs verhindert, dass das Obst bei Sonneneinstrahlung zu stark austrocknet oder bei Regen mit Wasser getränkt wird.

Nach dem Ernten wird das Obst gründlich gewaschen, um Schmutz und chemische Rückstände zu entfernen. Dabei löst sich allerdings auch die natürliche Wachsschicht. Darum wird auf Äpfel oft eine künstliche Wachsschicht aus Bienenwachs, Carnaubawachs und Schellack aufgetragen, die gesundheitlich unbedenklich ist.
Grund für das nachträgliche Wachsen der Äpfel ist der Schutz vor Insektenbefall während des Transports bis zum Verkauf. Außerdem sehen die Äpfel dann tatsächlich besser aus.

Wichtig: In Deutschland ist das künstliche Wachsen der Äpfel verboten, in anderen EU-Ländern und Drittländern jedoch erlaubt. Der Import nach Deutschland wird gestattet, wenn die Methode im Herkunftsland gesundheitlich unbedenklich ist. Diese Äpfel müssen aber gekennzeichnet sein.

Wer trotzdem noch an der Unschädlichkeit der Wachsschicht zweifelt (egal, ob  natürlich oder nachträglich künstlich aufgetragen), der sollte zu Bio-Äpfeln greifen. Die dürfen keine Wachsschicht haben, auch wenn sie aus dem Ausland importiert wurden.

[vc_message message_box_color=“green“ icon_fontawesome=“fa fa-check“]Die Behauptung ist also wahr, das Wachs ist allerdings nicht gesundheitsschädlich.[/mk_info]

Die Szene am Anfang des Videos, in der Schneewittchen in einen Apfel beißt und dieser ihr dann aus der Hand rollt, soll wohl die Giftigkeit der Wachsschicht assoziieren. Doch das Wachs ist nicht giftig.

Behauptung: Getränke sind voller chemischer Farbstoffe

Screenshot: mimikama.org
Screenshot: mimikama.org

In dem Video wird ein Tuch in ein Glas mit Saft getaucht. Der Farbstoff im Saft wird vom Tuch aufgesaugt. Der eigentliche Saft sieht eher blass aus.

Ein großes Geheimnis sieht man darin nicht wirklich: Der Fruchtgehalt gerade von billigen Limoaden liegt bei  gerade einmal 3% bis höchstens 15%. Der Rest der Flüssigkeit besteht aus Wasser, Zucker, Aromastoffen, Farbstoffen und Konservierungsstoffen. Sonderlich attraktiv sieht das für den Verbraucher aber nicht aus. Darum machen natürlich die Farbstoffe, die sich im Tuch sammeln, einen Großteil aus.

Die Ungefährlichkeit dieser Lebensmittelfarbstoffe ist gewährleistet und reguliert. Wer sicher gehen möchte, sollte besser zu Fruchtsäften (nicht Fruchtsaftgetränken!) greifen, die zu 100% aus Früchten bestehen müssen.

[vc_message message_box_color=“green“ icon_fontawesome=“fa fa-check“]Die Behauptung ist wahr. Es ist allerdings kein Geheimnis, dass viele Getränke mehr Wasser, Zucker und Farbstoffe enthalten als echte Fruchtsäfte.[/mk_info]

Behauptung: In Cupcakes finden sich synthetische Fasern

Screenshot: mimikama.org
Screenshot: mimikama.org

In dem Video wird ein Cupcake in einem Sieb unter fließendes Wasser gehalten und zerrieben. Übrig bleibt eine helle, zähe Masse, von der es in dem Video heißt, es handle sich um Kunstfasern.

Die Antwort ist einfache Küchenchemie: Es handelt sich um Gluten.
Cupcakes werden meist aus Weizenmehl hergestellt. Dieses Mehl enthält – genau wie Roggen, Dinkel, Gerste, Hafer und andere Getreidesorten – dieses natürliche Eiweiß. Der Nährwert dieses Eiweißes ist zwar eher gering. Jedoch sorgt Gluten dafür, dass das Mehl im Verbund mit Wasser einen Teig bildet. Darum nennt man es auch „Klebereiweiß“.
Beim Zerreiben des Cupcakes werden sämtliche anderen Inhaltsstoffe des Cupcakes weggewaschen, übrig bleibt der „Teigkleber“. Und der ist natürlichen Ursprungs.

Die Behauptung ist falsch. Keine künstlichen Fasern, sondern ein natürliches Eiweiß.

Behauptung: Mit Jod erkennt man gesundheitsschädliche Mayonnaise

Screenshot: mimikama.org
Screenshot: mimikama.org

In dem Video werden zwei Sorten Mayonnaise mit Jod beträufelt und damit vermischt. Die linke Mayonaise verfärbt sich daraufhin stark – angeblich ein Anzeichen dafür, dass sie gesundheitsschädlich ist.

Mit Jod (oder Iod) kann man Stärke in Lebensmitteln nachweisen – das kennen manche vielleicht  noch aus dem Chemieunterricht. Unter Stärke in Lebensmitteln versteht man einen Mehrfachzucker (Polysaccharid bzw. Kohlenhydrat), der aus langen Ketten von Traubenzucker besteht. Stärke findet sich in vielen Lebensmitteln in natürlicher Form, beispielsweise in Kartoffeln, Backwaren, Reis- und Getreideprodukten.

Die klassische Mayonnaise besteht nur aus Eigelb, Gewürzen und Öl. Industriell hergestellte Mayonnaise (insbesondere die fettarme Variante) enthält zusätzlich als Dickungsmittel unter anderem Gelatine, Pektin, Agar Agar (kennt man auch aus dem Chemieunterricht) –  und eben Stärke.

Ist diese Stärke nun also gesundheitsschädlich? Nein! Stärke findet sich in unzähligen Lebensmitteln, auch und gerade in fettarmer Mayonnaise. Der Grund ist simpel: Echte Mayonnaise ist normalerweise sehr kalorienhaltig und hat einen Fettgehalt von mindestens 80%, Salatmayonnaise und Remoulade haben mindestens 50%. Bei fettarmer Mayonnaise fehlt jedoch ein Großteil des Fettes, weswegen u.a. Stärke als Dickungsmittel dient. Diese Stärke ist jedoch nicht gesundheitsschädlich, weder in Mayonnaise noch in allen anderen Lebensmitteln, in denen sie vorkommt.

Die Behauptung ist falsch. Die Färbung entsteht durch die Stärke in der Mayonnaise, welche nicht gesundheitsschädlich ist.

Behauptung: Echter Honig hat ein „genetisches Gedächtnis“

Screenshot: mimikama.org
Screenshot: mimikama.org

In dem Video werden zwei Sorten Honig in je eine Schüssel gegeben. Dann wird Wasser hinzugeschüttet, und die Schüsseln werden geschwenkt. Der „falsche“ Honig zeigt Wellenmuster, während der „echte“ Honig ein Muster zeigt, das entfernt an Bienenwaben erinnert. Angeblich liegt das am „genetischen Gedächtnis“ des Honigs, der sich mal in Bienenwaben befand.

Das Konzept eines „genetischen Gedächtnisses“ findet sich in vielen wissenschaftlichen Gebieten. Allen gemein jedoch ist, dass ein Stoff genetisches Material beinhalten muss. Ebenso muss ein bestimmter Prozess stattfinden, der diese genetischen Informationen dann überträgt.
Bei Honig handelt es sich allerdings um durch Enzyme modifizierten Pflanzennektar, der von Bienen zur Energiespeicherung genutzt wird. Er enthält keinerlei Gene, weswegen man auch nicht von einem genetischen Gedächtnis sprechen kann.

Was zeigt dieser Wasserschütteltest denn dann? Im Prinzip nichts. Honig ist ein reines Naturprodukt und kann (bisher) nicht im Labor hergestellt werden. Jedoch finden sich in verschiedenen Honigsorten im Handel verschiedene Zusatzstoffe wie Fremdzucker und Stärke, die das Aussehen und die Konsistenz des Honigs beeinflussen.
Dadurch bildet der Honig beim Schütteltest mal die eine, mal die andere Form. Das hat aber nichts mit einem genetischen Gedächtnis zu tun. Ein echter Nachweis, inwieweit ein Honig Zusatsstoffe enthält, bedarf spektographischer Laboranalysen auf verschiedene Polysaccharidchemikalien (Stärke). Mit diesem Schütteltest lässt sich das nicht herausfinden.

Die Behauptung ist falsch. Ein einfacher Schütteltest ist kein Indikator für die Qualität eines Honigs. Auch hat Honig kein „genetisches Gedächtnis“, da er gar kein genetisches Material enthält.

Behauptung: Butter löst sich in Wasser, Margarine nicht

Screenshot: mimikama.org
Screenshot: mimikama.org

In dem Video wird je ein Stück Butter und ein Stück Margarine in ein Glas mit heißem Wasser gegeben und verrührt. Die Butter löst sich auf, die Margarine nicht.

Da verstehen wir nicht so recht, wo nun das „schockierende Geheimnis“ liegt. Butter und Margarine sehen sich ähnlich, sind aber unterschiedliche Produkte und verhalten sich dementsprechend auch bei diesem Experiment unterschiedlich. Es wird aber doch auch nirgendwo behauptet, dass es sich um dasselbe Produkt handelt – weder auf Verpackungen noch in der Werbung.

Man kann also nur vermuten, was uns das Experiment zeigen will. Dass Margarine schlechter verdaulich ist, weil sie sich nicht in heißem Wasser auflöst? So einfach funktioniert unser Verdauungssystem dann doch nicht.

[vc_message message_box_color=“green“ icon_fontawesome=“fa fa-check“]Die Behauptung ist wahr. Der Sinn dahinter bleibt jedoch schleierhaft, da nirgendwo behauptet wird, dass Butter und Margarine dasselbe sind.[/mk_info]

Behauptung: Limonade enthält Farbstoffe

Screenshot: mimikama.org
Screenshot: mimikama.org

In dem Video wird die Limonade „Mountain Dew“ durch einen Filter in ein Glas geschüttet. Durch den Filter wird der enthaltene Farbstoff aus der Flüssigkeit entfernt, im obigen Screenshot links zu sehen.

Im Prinzip ist das eine Wiederholung des vorherigen Experiments, in dem ein Tuch in Limonade getaucht wird. Ja, Getränke enthalten künstliche Farbstoffe, das ist kein „schockierendes Geheimnis“. Schädlich in solchen Getränken ist eher der erhöhte Zuckergehalt, weswegen man solche Getränke nicht literweise zu sich nehmen sollte. Der Farbstoff ist neben dem Wasser das Ungefährlichste überhaupt, er dient nur der Optik und ist nicht gesundheitsschädlich.

[vc_message message_box_color=“green“ icon_fontawesome=“fa fa-check“]Die Behauptung ist wahr. Jedoch ziemlich unsensationell, zumal Farbstoffe als nicht gesundheitsschädlich gelten.[/mk_info]

Behauptung: Verpackungslüge bei Tassennudeln

Screenshot: mimikama.org
Screenshot: mimikama.org

In dem Video wird ein Becher mit Trockennudeln von oben gezeigt, in den man nur noch heißes Wasser einfüllen muss. Es entsteht der Eindruck eines vollen Bechers. Beim Aufreißen sieht man jedoch, dass unter den Nudeln noch Platz ist.

Handelt es sich dabei wirklich um eine Verpackungslüge?
Die Antwort gibt das „Cup Noodles Museum“ in Osaka, Japan. Es handelt nicht etwa um eine mutwillige Täuschung der Verbraucher, sondern um ein spezielles Verpackungsverfahren, das „Middle Suspension“ heißt. Es sorgt dafür, dass die Nudeln während des Transport weniger bruchempfindlich sind. Zudem dringt das heiße Wasser, das man in den Becher schüttet, dadurch auch unter die Nudeln. So weichen sie sehr viel besser auf.

Die Behauptung ist falsch. Es handelt sich nicht um eine Verpackungslüge, sondern um ein spezielles Verpackungsverfahren, das auch offiziell in einem Museum erklärt wird.

Behauptung: Mit Jod erkennt man gesundheitsschädlichen Hüttenkäse

Screenshot: mimikama.org
Screenshot: mimikama.org

In dem Video werden in je einer Schüssel zwei Sorten Hüttenkäse mit Jod beträufelt und vermischt. Ein Käse färbt sich dabei lila, was ein Hinweis darauf sein soll,  dass er gesundheitsschädlich ist.

Wir haben dieses Phänomen oben bereits ausführlich erklärt.
Selbstgemachter Hüttenkäse enthält – genau wie selbst hergestellte Mayonnaise – normalerweise keine Stärke. Industriell hergestellter Hüttenkäse jedoch enthält mal mehr, mal weniger Stärke. Stärke ist allerdings nicht gesundheitsschädlich. Zudem ist auf den Verpackungen immer angegeben, wieviel Stärke ein Hüttenkäse enthält.

Die Behauptung ist falsch. Stärke, die in natürlicher Form in sehr vielen Lebensmitteln vorkommt, ist kein Hinweis darauf, dass ein Hüttenkäse gesundheitsschädlich ist.

Fazit

Das Video ist ein Sammelsurium an „schockierenden Geheimnissen“, die gar keine Geheimnisse sind. Zudem sind einige der Behauptungen auch noch schlichtweg irreführend oder falsch.

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