Post von Karlheinz

Autor: Andre Wolf

„Wütende Mails von richtigen Deutschen – und was ich ihnen antworte“

Wer jemals Hassmails, wilde und undifferenzierte Beschimpfungen oder gar anonyme Morddrohungen via Mail oder Chat bekommen hat, dürfte sich bestimmt auch schon einmal gefragt haben, ob das anderen Menschen auch so geht und wie diese damit umgehen.

Wie geht man mit den Inhalten um? Löscht man sie? Antwortet man? Lässt man sich auf Diskussionen ein? Das habe auch ich mich immer wieder gefragt. In meinem Postkasten schlummern so manche Mails, die mir beim Betrachten immer wieder wutschnaubend entgegen fauchen. Mal sollte ich aufgeschlitzt am Baum hängen und meine Familie nach Polen verkauft werden, an anderer Stelle sollte ich doch bitte meine Einnahmen durch die Pharmakonzerne offenlegen oder mein Kollege Ralf doch gar zugeben, dass er ein Türke sei.

Es ist immer so absurd, ja so grotesk. Und immer wieder stellt man sich dieselbe Frage: Was soll man da denn jetzt drauf antworten?

Von den Profis lernen

Umso mehr erfreute es mich, als der Autor und Journalist Hasnain Kazim ankündigte, den Dialogverlauf seiner empfangenen Hassmails in Buchform zu veröffentlichen. Einmal schauen, wie es jemand anderes macht.

Zur Person Kazim: Hasnain Kazim ist Korrespondent bei SPIEGEL ONLINE und DER SPIEGEL, Deutscher mit pakistanischer Herkunft. Er lebt in Wien.

Genau das haben wir gemeinsam (Deutsche, in Wien lebend) und so haben wir uns auch vor gut 19 Monaten kennengelernt und zwar bei den Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit, auf einem Empfang des deutschen Botschafters in Wien.

Vielen anderen Menschen dürfte Kazim durch seine Blockflötenvideobotschaft in Erinnerung geblieben sein, die er auf eine Hassmail hin veröffentlichte.

Post von Karlheinz

Dieses Buch ist nun endlich erschienen. Unter dem Titel „Post von Karlheinz. Wütende Mails von richtigen Deutschen – und was ich ihnen antworte“ findet man auf gut 270 Seiten die Antworten Kazims auf eine Vielzahl von orthographisch kreativ verfassten Hass- und Drohmails. Der Namenspatron Karlheinz ist übrigens einer dieser wutschnaubenden Hassmailverfasser.

Inhaltlich kam mir da viel bekannt vor. Verfasser, die ihre Satzzeichen in Rudeln versenden, plumpe Beleidigungen, unsinnige Unterstellungen und vor allem: Ungesundes Halb- bis Nichtwissen, welches gepaart mit gesundem Selbstbewusstsein und Ignoranz, in meist kurze und undifferenzierte Mails verpackt wird.

Zugegeben, ich verfüge zwar nur über ein geringeres Repertoire an Fanmails, dennoch hat es mich sehr gefreut zu sehen, wie Kazim mit den Mails umgeht und, was entsprechend ebenso interessant ist, wie die Reaktionen der Absender darauf ausfallen. Genau das hat mich an dem Schriftverkehr häufig beeindruckt: Der Ton aus den anfangs nur so vor Hass triefenden Mails kippte in vielen Fällen. Die Menschen haben nicht damit gerechnet, dass aus der anfänglich distanzierten Aggression plötzlich ein persönliches Gespräch wurde.

Das ist aber nicht der Regelfall und ich gestehe, dass es eine andere Gruppe des Schriftwechsels war, die mich beim Lesen besonders amüsiert hat: Es waren die schnippischen, leicht provokativen und vor allem ironischen Antworten Kazims. Es war immer dann besonders erheiternd, wenn die Verfasser der Hassmails mal stark überzogen, dann wieder mit kleinen Sticheleien, auf die Schippe genommen wurden,

Besonders angetan hat es mir dabei die Signatur „Atommacht“, die Kazim in einem (von seiner Seite aus) eher humorvollen Schriftwechsel genutzt hat. Ich glaube, das werde ich mir für spezielle Situationen einfach mal merken.

Hass, Rassismus, Ressentiments

Man merkt jedoch recht schnell: Die Hassmails, welche Kazim in den letzten Jahren bekommen hat und die er in dem Buch vorstellt, haben meist denselben Anlass. Es ist immer wieder ein vorurteilsbelasteter Rassismus oder fanatischer Extremismus, der ein Anlass für eine Hassmail oder Morddrohung ist. Oftmals kommen Halbwissen oder Unkenntnis hinzu. All dies kann ich aus meiner eigenen Arbeit und auch den selbst empfangenen Mails bestätigen.

Was mir das Buch an dieser Stelle jedoch gezeigt hat: Ja, man kann und darf sich nicht immer alles gefallen lassen. Man kann und darf tatsächlich so deutlich antworten, wie es Kazim macht, sofern die vorangegangene Mail/Nachricht das Niveau bereits festgelegt hat.

Kann und darf man diesen Schriftverkehr veröffentlichen? Ich habe in der Vergangenheit oftmals gehadert und bin lange Zeit davon ausgegangen, dass man so nicht handeln dürfe. Diese vornehme und überanständige Einstellung habe ich jedoch seit geraumer Zeit über Bord geworfen, und ebenfalls in extremen Fällen Kommentare, Hassmails oder Nachrichten meinem Bekanntenkreis auf Facebook gezeigt.

Welchen Schutz sollen denn bitte auch Menschen genießen, die aus einer anonymen Situation heraus Morddrohungen oder Diffamierungen versenden?

Insofern halte ich es schon für in Ordnung, wenn Kazim die vielen Schriftverläufe in Buchform bringt. Mehr sogar noch: Er stärkt damit all diejenigen, die ebenso unter der Last des Hasses leiden und zeigt einen Weg, wie man damit umgehen kann. Ich verstehe es auch, wenn er beschreibt, dass ihm die Situationen viel Mühe abverlangten. Natürlich ist das so.

Wenn man immer wieder mit Wut, Hass und angedrohter Gewalt konfrontiert wird, dann kostet das eben Kraft. Diese aufgebrachte Kraft bewundere ich, da ich mich häufig nicht getraut habe, so provokativ zu antworten. Doch augenscheinlich sollte ich das mal ausprobieren.

Aufgrund des typischen Stils von Mail- und Chatverläufen ist das Buch kurzweilig und auch angenehm einfach zu lesen. Natürlich wird man nicht überfordert, das sollte klar sein, was aber auch an der Ausgangslage der oftmals wirklich dümmlichen Hassmails liegt, aus denen Kazim mit seinen Antworten oft amüsante, teils denkwürdige Kurzepisoden gestaltet.

Thematisch bleiben diese Kurzepisoden zwar immer im Themenbereich Rassismus, Rechtspopulismus und Fanatismus stecken, jedoch ist dies der Natur der Mails selbst geschuldet. In diesem Spektrum bewegen sich eben Hassmails, Morddrohungen und undifferenzierte Beschimpfungen, das muss ich leider aus eigener Erfahrung bestätigen.

Betroffen oder nicht betroffen?

Es dürfte eher selten (wenn überhaupt) so sein, dass eine sachlich fundierte und sauber gestaltete E-Mail mit einer Morddrohung oder der Aufforderung endet, doch bitte das Land zu verlassen.

Wer Social Media und die Hassdynamik des Netzes kennt, dürfte durchaus amüsiert von der Aufarbeitung des Schriftverkehrs sein. In meinem Fall habe ich gelernt, dass man auch durchaus mal härter an die vermeintlichen Kritiker herantreten darf.

Wer nicht mit dieser „Hasskultur“ und dem Extremismus im Netz vertraut ist, dürfte von so einigen Aussagen erschüttert sein. Ja, es gibt diesen Hass. Es gibt menschenverachtende Schreiben. Und es gibt, so wie Kazim es zeigt, auch einen Weg, damit umzugehen. So muss man sich als Hassopfer dann am Ende ganz und gar nicht als Opfer fühlen.

Hasnain Kazim:
„Post von Karlheinz. Wütende Mails von richtigen Deutschen – und was ich ihnen antworte“

Penguin Verlag 2018, Taschenbuch, 272 Seiten, 10 Euro

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