Faktencheck: Erhöht heißer Tee das Krebsrisiko?

Autor: Ralf Nowotny

Artikelbild: Shutterstock / Von OPOLJA
Artikelbild: Shutterstock / Von OPOLJA

Das Risiko, an Krebs zu erkranken, scheint allgegenwärtig. Nun wird auch berichtet, dass heißer Tee ein Risiko darstellen soll.

Mehrere Seiten berichten darüber, weswegen wir auch entsprechend viele Anfragen zu dieser Thematik bekamen. Auslöser der Artikel ist eine ausführliche Studie, die kürzlich im „International Journal of Cancer“ erschienen ist.
Das Problem: Die Studie ist sehr ausführlich, dementsprechend aber auch sehr komplex. Darum wurden in vielen Artikeln wichtige Punkte der Studie ausgelassen oder irreführend vereinfacht. Wir werfen mal einen genaueren Blick auf die Studie.

Bringt die Studie neue Erkenntnisse?

Nein.
Bereits im Jahr 2016 wurde berichtet, dass allzu heiße Getränke das Krebsrisiko steigern könnten. Als Begründung wird vermutet, dass heiße Getränke die Speiseröhre verletzen, durch daraus enstehenden Entzündungen die DNA schädigen, somit Speiseröhrenkrebs verursachen könnten.

Wichtig hierbei, und deswegen hoben wir die Worte im obigen Absatz auch hervor: könnten.
Verletzungsgefahr besteht also durchaus, unklar war allerdings, ob dies auch zu Krebs führen könnte. Darum wurde auch diese neue Studie durchgeführt, um die bisherigen Vermutungen und Studien zu verifizieren oder zu widerlegen.

Was untersuchte die Studie?

Jene neue Studie bezog sich nur auf Menschen, die im Iran leben. Die Begründung dafür: Dort wird am häufigsten Tee konsumiert. Die Teilnehmer der Studie wurden nach ihren Trinkgewohnheiten befragt, die Temperatur des Tees wurde gemessen, sobald sie ihren Tee tranken.

Durchschnittlich zehn Jahre später wurden die Teilnehmer wieder untersucht, um zu testen, wie viele Teilnehmer eine bestimmte Form von Speiseröhrenkrebs entwickelt – und ob ihre Trinkgewohnheiten darauf einen Einfluss gehabt hatten.

Das Resultat der Studie

Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass Menschen, die ihren Tee mit einer Temperatur von mehr als 60 Grad Celsius trinken, ein erhöhtes Risiko für Speiseröhrenkrebs haben – verglichen mit Teilnehmern, die ihren Tee weniger heiß bevorzugen.

Unter die Lupe genommen

Die obige Kurzfassung der Studie ist dann auch der Aufhänger, um den sich viele Artikel drehen. So einfach kann man es sich allerdings nicht machen, da die Studie zwar sehr ausführlich ist, aber auch einige Lücken aufweist, die wir herausstellen möchten.

Problem: Temperatur
Gerade in Ländern mit hohen Temperaturen wird auch der Tee sehr heiß getrunken. Subjektiv wirkt der Tee nicht so heiß, wenn die Lufttemperatur ebenfalls sehr hoch ist.
In unseren Breitengraden dürften allerdings die wenigsten Menschen ihren Tee regelmäßig so heiß trinken. Viele Teetrinker geben ihrem Getränk auch noch Milch hinzu, eben damit der Tee nicht so heiß ist (und für viele Menschen besser schmeckt).

Problem: Risikofaktoren
Es gibt viele Faktoren, die Speiseröhrenkrebs auslösen können. Die Studie hat allerdings leider nicht alle Faktoren ausreichend beleuchtet. So wurde zwar berücksichtigt, ob die Teilnehmer Raucher waren, nicht aber, wie lange und wie viel sie rauchen. Auch die Essgewohnheiten wurden nur ungenügend in die Studie miteinbezogen.

Problem: Krebshäufigkeit
In der Provinz Golestan (dem Teil des Iran, in dem die Studie durchgeführt wurde) ist das Risiko für Speiseröhrenkrebs signifikant hoch.  Überhaupt ist das Risiko für Speiseröhrenkrebs  in Afrika und Asien höher als in unseren Breitengraden.
Insofern ist es schwierig, in solchen Ländern den Tee als alleiniges Krebsrisiko zu verifizieren, da offensichtlich noch andere Faktoren eine Rolle spielen.

Absolut vs. Relativ

Ganz wichtig ist, dass die Kernaussage der meisten Artikel, nämlich dass „heißer Tee das Risiko auf Speiseröhrenkrebs um 90% erhöht“ ein relatives Risiko beschreibt, kein absolutes Risiko!

90% klingt nach einem gewaltigen Wert. Allerdings bezeichnet er nicht die Wahrscheinlichkeit, allgemein (also absolut) Krebs zu bekommen, sondern „nur“ die Wahrscheinlichkeit im Vergleich zu einer gleichwertigen anderen Gruppe von Teilnehmern.

Klingt verwirrend? Na gut, dann mal hier ein kleines Beispiel:
Nehmen wir ein normales Kartendeck mit 52 regulären Karten.
Die absolute Wahrscheinlichkeit, eine Karte mit einem Kreuz zu ziehen, liegt bei etwa 25%. Die absolute Wahrscheinlichkeit, das Kreuz As zu ziehen, liegt bei unter 2%.
Die Wahrscheinlichkeit, eine Kreuzkarte zu ziehen, liegt also relativ gesehen mehr als zehn Mal höher als die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte einzelne Karte zu ziehen.

Auf die Teetrinker bezogen bedeutet das, dass unter Teetrinkern in der Provinz Golestan im Iran die relative Wahrscheinlichkeit, an Speiseröhrenkrebs zu erkranken, signifikant höher zu liegen scheint, wenn der Tee sehr heiß getrunken wird.
Es handelt sich nicht um eine absolute Wahrscheinlichkeit, bedeutet also nicht, dass Teetrinker von heißem Tee zu 90% Speiseröhrenkrebs bekommen!

Welchen Schluss kann man nun aus der Studie ziehen?

Erst einmal, dass im Iran lebende Menschen ein signifikant höheres Risiko an Speiseröhrenkrebs haben. Heißer Tee wird dort ohnehin viel getrunken, so dass man ihn nur schlecht als alleinige Ursache für Speiseröhrenkrebs bezeichnen kann.
Zudem wird dort meist nur schwarzer oder grüner Tee konsumiert. Teetrinker in Großbritannien aber fügen beispielsweise gerne Milch hinzu, was den Tee schnell abkühlen lässt.

Auch in der Studie selbst wird darauf hingewiesen, dass die meisten Menschen in den westlichen Ländern ihren Tee mit gemäßigteren Temperaturen bevorzugen – besonders, wenn sie sich mal Lippen oder Zunge verbrannt haben.

Fazit: Niemand muss auf seinen Tee verzichten!

Jeder Teetrinker kann auch noch andere Maßnahmen ergreifen, um das Risiko auf Speiseröhrenkrebs zu minimieren. Die Studie ist leider nur lokal sehr begrenzt durchgeführt worden und lässt sich nicht so einfach auf die Teegewohnheiten hierzulande übertragen.

Wer aber trotzdem beunruhigt ist, kann seinen Tee einfach etwas weinger heiß trinken, nicht rauchen, sich fit halten und auf die Essgewohnheiten achten: Faktoren, die viel deutlicher und vor allem eindeutig und erwiesenermaßen das Krebsrisiko beeinflussen.

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