Faktencheck: Ein Unternehmen verkauft Grippe-Taschentücher?

Autor: Ralf Nowotny

Artikelbild: Shutterstock / Von Toranico
Artikelbild: Shutterstock / Von Toranico

Es ist wieder Grippesaison und eines ist lästig daran: Man weiß nie, ob und wann man erkrankt.

Ein Startup-Unternehmen verspricht, dass es nun für jedermann möglich sei, seine Grippe-Erkrankung selbst zu planen: Für 80 Dollar werden gebrauchte Taschentücher online angeboten, die mit Grippeviren kontaminiert sein sollen. So kann man damit nun selbst bestimmen, wann man krank wird, für den Rest der Grippesaison habe man dann quasi Ruhe.

Vaev Tissue“ nennt sich das Unternehmen. „Vaev“ ist dänisch, „tissue“ ist englisch, beides bedeutet „Taschentuch“. Dies hat einen einfachen Grund: Das Unternehmen hat zwar seinen Sitz in Los Angeles, Gründer Oliver Niessen kommt aber aus Dänemark.

Faktencheck 1: Der Online-Auftritt

Dazu schauen wir uns mal online um. Die Homepage von „Vaev Tissue“ präsentiert sich elegant, gibt aber nicht viele Infos preis. Es gibt einen Online-Shop, der nur ein Produkt anbietet: Die speziell präparierten Taschentücher zum Preis von $ 79.99.

Die Beschreibung der Seite lässt ein wenig erahnen, in welche Richtung die Seite schwenkt:

„Wir glauben, dass Sie in der Grippesaison zu Ihren Bedingungen krank werden sollten. Bei Vaev geht es nicht um Chemikalien oder verschreibungspflichtige Medikamente. Wir glauben, dass die Verwendung eines Taschentuches, in welches ein Mensch nieste, sicherer ist als Nadeln oder Pillen.“

Es geht also um eine „natürliche“ Ansteckung mit Grippeviren zu einem geplanten Zeitpunkt, aber auch darum, sich dagegen zu immunisieren und nicht auf „Chemikalien, Medikamente und Pillen“ angewiesen zu sein.
Vielleicht ahnt ihr es schon: Dies erinnert schon sehr an „Masernparties“, die gerne von Leuten veranstaltet werden, die von Impfungen nichts halten. „Machen wir uns einfach jetzt krank, dann kann uns nichts mehr passieren“.
Das dies allerdings gar nicht mit der Grippe funktionieren kann, werden wir weiter unten noch erläutern!

Wer dort jetzt trotzdem so ein Taschentuch erwerben möchte, wird enttäuscht werden:
Das Produkt ist ausverkauft, und wir zweifeln an dieser Stelle schon einmal daran, dass es je erhältlich sein wird.

Ansonsten gibt es keine wirklichen Infos auf der Seite. Ein Impressum existiert nicht, unter „Contact“ findet man nur ein Online-Formular. Werfen wir also mal einen Blick auf den Domain-Inhaber:

Screenshot: mimikama.org
Screenshot: mimikama.org

Da stoßen wir auf das nächste Hindernis: Die Whois-Abfrage zeigt uns, dass der Inhaber der Seite sich über ein kanadisches Unternehmen hat anonymisieren lassen, was nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit des Unternehmens beiträgt.

Aber schauen wir weiter, schließlich sind auf der Seite auch Instagram und Twitter verlinkt. Diese Accounts sind dann auch schon ein wenig aufschlussreicher!
Während sich auf Instagram nur 45 Bilder befinden, die als Ganzes große Bilder von Menschen mit Taschentüchern bilden, zeigt sich auf Twitter eine Tendenz:
Neben Werbung für das eigene Produkt wurde auch ein Beitrag retweetet, der auch gerne von Impfgegnern propagiert wird:

Zusätzlich werden Artikel über Grippeviren und Impfungen getweetet, immer mit dem Hinweis, dass es noch nicht zu spät sei, „Vaev Tissue“ zu erwerben.


Zwischenfazit:
Der Online-Auftritt von „Vaev Tissue“ gibt sich bedeckt. Infos über den Inhaber der Seite sind nicht ersichtlich, Impressum gibt es ebenfalls keines, auch die Auftritte auf Twitter und Instagram geben keine genaueren Infos, weder über die Person oder Personen hinter dem Unternehmen noch über das Produkt selbst, außer dass es mit Grippeviren kontaminierte Taschentücher sein sollen.

Faktencheck 2: Der Unternehmer

Bereits weiter oben erwähnten wir den Namen des Unternehmers, welcher auf der Homepage nur als „Oliver & the Vaev Team“ steht: Oliver Niessen.
Der Grund, warum zumindest der Name bekannt ist: Niessen sandte der „Time“ unaufgefordert das Produkt zu und gab der Zeitschrift ein telefonisches Interview.
In diesem Interview sagte er:

„Die einfache Idee ist, dass Sie sich jetzt entscheiden, krank zu werden, mit der Absicht, dass Sie nicht mit derselben Erkältung später krank werden. Sie wischen sich zum Beispiel ein paar Tage vor dem Urlaub die Nase mit einem Vaev-Tuch ab und können sich vor Ihrer Reise erkälten.
Diese Art von Freiheit, diese Art von Luxus zu wählen – ich meine, wir passen alles in unserem Leben an und haben alles so, wie wir es uns wünschen. Warum gehen wir also nicht auch so mit Krankheiten um?“

Laut Niessen (ja, der Name lädt in Sachen Erkältung zu Niesen-Witzen ein) hat das Unternehmen einen „Stamm“ von zehn erkälteten Menschen, die teilweise online angeworben wurden. Es würde überprüft werden, ob eine Person wirklich krank sei und nicht nur eine Allergie habe. Daraufhin niesen diese Personen in mehrere Taschentücher, die dann verpackt und per Post verschickt werden.

Ansonsten, so berichtet „Time„, findet sich online eigentlich nichts über Oliver Niessen, was merkwürdig für einen Unternehmer ist, der seine Idee vermarkten will. Niessen wollte auch gegenüber „Time“ seine Identität nicht weiter diskutieren, außer dass er früher als Video-Redakteur bei einer pharmazeutischen Marketingfirma in Philadelphia arbeitete.
Auch die Telefonnummer, unter der der Redaktuer mit Niessen Kontakt aufnahm, gab Rätsel auf: Auf der Mailbox meldet sich ein „Mikey“. Niessen begründete das damit, dass mehrere Mitglieder des Unternehmens sich eine Telefonleitung teilen würden.

Auch Fragen zu seinem Unternehmen beantwortet Niessen nicht, die wenigen Angaben scheinen falsch zu sein.
Er nennt dem „Times“-Redakteur nicht den genauen Namen der eingetragenen Firma, sagt aber, dass der Sitz in Los Angeles ist. Eine Online-Suche nach in Kalifornien beheimateten Unternehmen führt jedoch ins Leere: Es findet sich kein Unternehmen mit dem Namen „Vaev Tissue“. Somit ist fraglich, wie das Unternehmen genau heißt und ob es überhaupt irgendwo in den USA registriert ist.

Zwischenfazit:
Zumindest an ein Medium wandte sich der Gründer des Unternehmens, um sein Produkt zu promoten. Außer für sein Produkt zu werben, macht Oliver Niessen keinerlei oder nur sehr vage Angaben zu seinem Unternehmen. Es kann sogar angezweifelt werden, ob Oliver Niessen der richtige Name des Unternehmers ist.

Faktencheck 3: Kann das funktionieren?

Geplant ein gebrauchtes Taschentuch benutzen, schon wird man krank und ist für den Rest der Grippesaison immun, so die einfache Philosophie des Unternehmens.
Doch ist es mehr als fraglich, ob es so einfach ist, und das wollen wir hier erläutern!

Die „Times“ befragte dafür Charles Gerba, Professor für Mikrobiologie und Umweltwissenschaften an der University of Ariona, der deutliche Worte dafür hat:

„Das Problem ist, dass Viren so nicht funktionieren. Es gibt mehr als 200 Arten von Rhinoviren. Sie müssten also etwa 200 Taschentücher benutzen, die je mit einem anderen Virus kontaminiert sind, um komplett immun zu sein. Ein Taschentuch schützt sie vielleicht durch die körpereigene Immunisierung vor einer Variante, aber nicht vor allen anderen.
Deswegen gibt es auch keinen Impfstoff gegen Erkältung: Wie soll man einen Impfstoff gegen 200 verschiedene Viren entwickeln?“

Bevor nun jemand fragt „Aber es gibt doch Grippeimpfungen?„, dem sei gesagt, dass es bei den Impfungen um die „echte Grippe„, also die Infektion mit Influenzaviren, geht, nicht um einfache Erkältungen, also die Infektion mit Rhinoviren. Dies also bitte nicht verwechseln!

Zudem bergen die Nutzung solcher kontaminierten Taschentücher noch andere Gefahren. Man weiß beispielsweise nicht, wie bestimmte Person auf eine Vireninfektion reagieren. Für ältere Personen kann eine für durchschnittlich gesunde Menschen harmlose Infektion tödlich sein, auch Personen mit einer Immunschwäche oder Atemproblemen, die vielleicht gar nicht mal bekannt sind, setzen sich damit einer unnötigen Gefahr aus.

Zudem ist Käufern jener Tücher auch nicht bekannt, welche Arten von Rhinoviren sich in dem Taschentuch befinden. Möglicherweise sind die Viren auch gar nicht mehr aktiv, da solche Tücher gekühlt und mit einem Konservierungsmittel behandelt sein müssten, um den Transport per Post überhaupt zu überstehen. Möglich ist auch, dass sich nicht etwa Rhinoviren, sondern Influenzaviren, die die „echte Grippe“ auslösen, in einem Taschentuch befinden.
Es müsste also in dem Unternehmen eigentlich ein „Screening-Verfahren“ existieren, welches feststellt, welche Viren in den zu verschickenden Taschentüchern vorhanden sind. Fragen dazu lehnte Oliver Niessen allerdings ab.

Zu guter Letzt bleibt noch das Problem des Versands!
Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben seinen Sitz in den USA. Allerdings ist der Versand von infektiösen Stoffen nur zulässig, wenn diese für „medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke, Forschung oder Laboruntersuchungen im Zusammenhang mit der öffentlichen Gesundheit bestimmt sind“. Zudem müssen die Pakete gesondert vor Erschütterungen, Luftdruckänderungen und anderen Bedingungen geschützt sein.
Niessen meinte dazu nur, dass sein Anwalt bestätigte, dass die Pakete den Bestimmungen entsprechen würden.

Fazit

Von den Online-Auftritten über den Unternehmer bis zu der Technik scheint alles an dem Produkt schief zu sein. Zwar ist es möglich, sich mit einem kontaminierten Taschentuch zu infizieren, man wird aber dadurch nicht automatisch immun gegen alle anderen Arten von Grippeviren.
Die mangelnde Offenheit des Unternehmers, die spärlichen Informationen auf der Seite und die mehr als fragliche Funktionsweise der Taschentücher lassen den Schluss zu, dass es sich bei dem ganzen Unterfangen um einen Hoax handelt. Selbst wenn diese Taschentücher tatsächlich erhältlich sein werden, wird es nicht so funktionieren, wie der Unternehmer und die Kunden sich es vorstellen.

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