Facebook muss Fake-News nicht aktiv suchen

Autor: Andre Wolf

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Das Landgericht Würzburg hat den Antrag von Anas Modamani auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Facebook auf Löschung von verleumderischen Inhalten zurückgewiesen.

Im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung wurde ausgeführt, dass das Internetportal Facebook weder Täter noch Teilnehmer der hier unstreitigen Verleumdungen sei. Damit liege weder ein „Behaupten“ noch ein „Verbreiten“ durch Facebook selbst vor.

War dieses Urteil nun überraschend? Schwer zu sagen. Zumindest kann man sagen, dass auch in Zukunft Facebooks intransparentes Meldesystem weiter ungestört fortbestehen kann, welches mutmaßlich durch Meldegruppen und quantitativem Melden eher beeinflusst werden kann, als eine einzelne qualitativ stichhaltige Meldung.

Auch bei der Urteilsverkündung war dann Facebook fein raus, denn Facebook habe sich die streitgegenständlichen Inhalte auch nicht zu Eigen gemacht, da eine Veränderung des Inhalts jedenfalls nicht vorgenommen worden sei. Laut Urteil handle es sich um fremde Inhalte der Nutzer des Portals.

Pressemitteilung durch das Landgericht Würzburg

Für fremde Inhalte sei Facebook als Host-Provider erst nach Meldung und Kenntnis gemäß § 10 Telemediengesetz verantwortlich, so die Pressemitteilung. Weiter heißt es, dass die Kenntnis  in vorliegendem Verfahren unstreitig sei. Streitig sei, in welchem Umfang der HostProvider tätig werden müsse. Nach § 10 TMG müsse der Inhalt entweder entfernt oder der Zugang zu ihm gesperrt werden. Allerdings beschränke sich ein solcher Anspruch auf das Bundesgebiet.

Die Kammer vertrete die Ansicht, dass sich Facebook jedenfalls bei einer schweren Persönlichkeitsverletzung, wie hier durch Verleumdung geschehen, unter Umständen nicht darauf berufen könne, dass ihr der Verletzte jede einzelne Fundstelle nachweisen müsse, an der sich der beanstandete Inhalt weiterhin befinde. Dies könne für den Verletzten unter Abwägung der Interessen der Parteien unzumutbar sein.

Nach der E-Commerce Richtlinie der EU sei ein Host Provider zwar nicht zur „proaktiven Suche“ möglicher künftiger zu beanstandender Inhalte verpflichtet. Hier erscheine jedoch bei einer schweren Persönlichkeitsverletzung grundsätzlich ein erhöhter Suchaufwand gerechtfertigt. Der BGH habe allerdings eine solche Verpflichtung nur dann bejaht, wenn diese technisch ohne zu großen Aufwand realisierbar und damit zumutbar sei. Diese Frage sei zwischen den Parteien streitig und letztlich in einem Eilverfahren nicht aufklärbar. Diese Frage könne gegebenenfalls in einem möglichen Hauptsacheverfahren durch Sachverständigengutachten beantwortet werden. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung sei zudem nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden, dass die gemeldeten Inhalte weiter in Deutschland von einem Durchschnittsnutzer abgerufen werden können.

Darüber hinaus bestehe keine Eilbedürftigkeit, welche für die beantragte einstweilige Verfügung notwendig sei. Die streitgegenständlichen Inhalte hätten bereits bis zur mündlichen Verhandlung, initiiert von den Prozessbevollmächtigten des Klägers, weltweite Verbreitung gefunden. Damit entfiele zwar ein Beseitigungsanspruch nicht, es sei aber andererseits nicht erkennbar, dass durch Weiterverbreitung der Inhalte dem Kläger ein weiterer Schaden drohe und ihm insoweit nicht zumutbar wäre, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten.

Das meint der Anwalt Jun

Das Landgericht Würzburg hat den Antrag von Anas Modamani auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Facebook auf Löschung von verleumderischen Inhalten zurückgewiesen. Die Presseerklärung des Landgerichts Würzburg sowie die vom Vorsitzenden Richter Volkmar Seipel heute vorgetragene nur knappe Urteilsbegründung – der Volltext der Entscheidung liegt aktuell noch nicht vor – zeigen bereits, dass Opfer von verleumderischen Falschnachrichten keine einfache Möglichkeit haben, Rechtsschutz zu erhalten.

Man kann sich mit dem Ergebnis abfinden, um Plattformbetreiber nicht über Gebühr mit Regulierung zu belasten. In diesem Fall könnte man sich darauf beschränken, wie es die Bundeswirtschaftsministerin vorsieht, Vorschläge für freiwillige Maßnahmen an die Plattformbetreiber zu richten, oder die Errichtung einer globalen Rechtsordnung abwarten. Wollte man stattdessen durchsetzen, dass rechtswidrige Inhalte auf sozialen Netzwerken wirksam und nachhaltig entfernt werden, muss die Gesetzeslage verändert werden. Der Auftrag an den Gesetzgeber ist dabei nicht nur an Berlin, sondern auch an Brüssel gerichtet, insbesondere dem technischen Fortschritt im Bereich der neuen Medien Rechnung zu tragen und insofern nicht mehr zeitgemäße Regulierungsrahmenbedingungen – hier die sog. E-CommerceRichtlinie – zu überarbeiten. Doch auch im Rahmen bestehender Rahmenbedingungen gibt das Landgericht Würzburg in seiner Presseerklärung zumindest einen Lichtblick: Nach der ECommerce-Richtlinie sei ein Hostprovider zwar nicht zur proaktiven Suche möglicher künftiger zu bestandener Inhalte verpflichtet. Im vorliegenden Verfahren erscheine jedoch bei einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung grundsätzlich ein erhöhter Suchaufwand gerechtfertigt, dies allerdings nur, wenn es technisch ohne zu großen Aufwand realisierbar und damit zumutbar sei.

Ob Facebook tatsächlich die Entwicklung der „Wundermaschine“ zum Aufspüren rechtsverletzender Inhalte – wenn es sie nicht ohnehin schon gibt – technisch und wirtschaftlich zumutbar ist, kann nach Auffassung des Landgerichts Würzburg nicht im Eilverfahren, sondern nur in einem möglichen Hauptsacheverfahren durch Gutachten geklärt werden. Wir sehen daher die heutige Entscheidung nicht nur als Niederlage, sondern auch als Chance in diesem bisher zu wenig von der Rechtsprechung beleuchteten Bereich.

Der Kläger im vorliegenden Fall mag durch die empathische Berichterstattung über seinen Fall eine gewisse öffentliche Wiedergutmachung durch die Medien erfahren haben. Mit einer solchen öffentlichen Wirkung kann normalerweise jedoch kein Opfer rechnen.

Wenn das Gericht dem Antragsteller vorwirft, er habe durch die öffentliche Berichterstattung seinen Rechtsschutz verloren, wirkt dies nicht nur auf den ersten Eindruck zynisch. Hätte der Kläger nicht über Facebook über seinen Fall informiert, hätte sich Facebook dem Verfahren erst gar nicht gestellt. In der mündlichen Ver- handlung am 06.02.2017 erklärte der vorsitzende Richter, dass die Zustellung nach Irland bis heute nicht bestätigt worden war und auch nicht zeitnah erwartet wird. Der Prozess kam nur dadurch zustande, dass Facebooks Anwälte am 11.01.2017, noch vor einer Zustellung, aufgrund der Berichterstattung eine Kopie der Antragsschrift angefordert und dabei notgedrungen auch die Vertretung angezeigt hatten.

Der Rechtsstreit hat bisher ungeklärte Rechtsfragen aufgeworfen. Anhand des Ergebnisses kann der Gesetzgeber überprüfen, ob die Rechtsprechung zu den Ergebnissen kommt, die sich der Gesetzgeber vorgestellt hat, oder ob Anpassungen erforderlich sind. Wir haben gesehen, dass eindeutig verleumderische Falschnachrichten weder freiwillig, noch durch gerichtlichen Zwang entfernt wurden. Damit kann man sich abfinden, wenn man internationale Plattformbetreiber in ihren geschäftlichen Interessen nicht über Gebühr beanspruchen will. Wenn jedoch Parlament und Gesetzgeber dieses Ergebnis für unbefriedigend halten, braucht es gesetzliche Änderungen. Konkrete Vorschläge hierfür hatten wir bereits an den Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz sowie die Bundesministerin für Wirtschaft übermittelt.

Eine konkrete Maßnahme wäre, das Notice-and-Take-down Verfahren gesetzlich stärker zu verankern und Plattformbetreiber wie Facebook zu verpflichten, bei persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalten, die sich nicht ohne weiteres aufdrängen, in die Rolle des Moderators zu zwingen, sowie offensichtlich rechtsverletzende Beiträge binnen einer Frist von 24 Stunden zu löschen oder zu sperren. Sofern der Plattformbetreiber das Notice-and-Take-down Verfahren nicht praktiziert, käme auch die Verhängung von empfindlichen Bußgeldern in Betracht.

Der Gesetzgeber hat zudem die folgenden Optionen:

  1. Beibehaltung bisheriger Haftungsregeln bei effektiverer Durchsetzung Man könnte das bisherige Haftungsregime aus Artikel 14 der E-CommerceRichtlinie und § 10 TMG beibehalten, geringfügig konkretisieren und deren Durchsetzung effektiver gestalten. Plattformbetreiber müssten damit erst nach Kenntniserlangung tätig werden, müssten jedoch mit empfindlichen Sanktionen rechnen, wenn die von den Plattformbetreibern installierten Systeme unzureichend funktionieren, wie es derzeit der Fall ist. Schon diese Maßnahmen würden eine erhebliche Verbesserung darstellen und hätten im aktuellen Prozess dazu geführt, dass wenigstens die gemeldeten Bilder verschwinden würden.
  2. Verschärfte grundsätzliche Beibehaltung des Haftungskonzepts mit zeitgemäßen konkreten Handlungsanweisungen Man würde bei dem Grundsatz bleiben, dass Plattformbetreiber erst ab Kenntnis haften. Die Begriffe der Kenntnis und die genaue Rechtsfolge würde jedoch konkret ausgestaltet werden. So könnten Plattformbetreiber beispielsweise verpflichtet werden, benutzerfreundliche Melde-Tools bereitzuhalten und innerhalb bestimmter Fristen zu reagieren. Auch die Reaktion kann gesetzlich geregelt werden, beispielsweise der Umfang der Löschung oder vorübergehende Sperrungen für die europäische Union oder nur für einzelne Länder. Zugleich werden effektive und empfindliche Sanktionen für den Fall angedroht, dass die Plattformbetreiber ihren vorgenannten konkreten Verpflichtungen nicht nachkommen. Dies können beispielsweise Bußgelder sein, wie sie in der neuen Datenschutzgrundverordnung vorgesehen sind (Bußgelder in Abhängigkeit des Unternehmensumsatzes). Noch effektiver wäre es, über das Steuerrecht vorzugehen. So könnte beispielsweise der Betriebskostenabzug für Werbemaßnahmen auf illegalen Plattformen versagt werden. Wer dann auf einem illegalen Portal Werbung schaltet, darf die dabei entstehenden Kosten genauso wenig steuerlich geltend machen wie Bestechungsgelder oder Fahrzeugkosten ohne Fahrtenbuch.
  3. Verschärfung der Haftungsregeln Man könnte bestimmte Plattformbetreiber wie Medienunternehmen behandeln, die bestimmte Sorgfaltspflichten bei der Verbreitung von Nachrichten anwenden müssen und bei deren Verletzung haften. Einige Politiker hatten in den letzten Monaten gefordert, dass die Verbreitung von Falschnachrichten unter Strafe gestellt werden soll, selbst wenn keine Beleidigung oder üble Nachrede vorliegt. Im Zuge dieser Diskussion entstehen immer wieder Vorschläge, die zu einem erheblichen Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit führen würden. Derartige Übertreibungen sind zu vermeiden, gleichwohl spricht nichts dagegen, Facebook mit den gleichen Maßstäben wie Medienunternehmen zu messen. Dies muss jedoch der Gesetzgeber entscheiden. Wir möchten uns darauf beschränken, die Zweckmäßigkeit von Vorschlägen für einen angegebenen Zweck zu bewerten. Würde man jedoch auf die Konkretisierungen in Option c) verzichten, bräuchte es noch eine Vielzahl von Grundsatzentscheidungen, bis die genauen Auslegungen des geltenden Haftungssystems hinreichend konkretisiert sind um Rechtssicherheit für Benutzer und Plattformbetreiber zu schaffen. Gegen jede Art von rechtlichen Veränderungen sprechen allenfalls das ökonomische Interesse der Plattformbetreiber und die Rücksichtnahmepflichten der Bundesregierung.

Weitere Schritte

Anas Modamani kann gegen das Urteil Berufung zum OLG Bamberg einreichen oder eine Hauptsacheklage vor einem Landgericht erheben. RA Jun erklärte heute, dass er das kommende Verfahren jedoch nicht anwaltlich vertreten werde. „Das zurückliegende Verfahren war ungewöhnlich aufwändig. Das lag einerseits an den persönlichen Angriffen gegen mich durch Facebook, zum anderen aber auch an den Bedrohungen von Unbekannten, die verlangten, das Verfahren zu beenden. Ich hatte mich dazu entschlossen, diese Instanz zum Ende zu bringen, werde Modamani jedoch darin unterstützen, einen anderen Anwalt zu finden, der möglichst pro bono den Fall weiter betreut und erläutert.“

Hierzu verweisen wir auch auf unseren Kommentar:

Helden dürfen keine Familie haben – Helden müssen einsam sein. Denn nur so haben sie kein Kryptonit. Das ist leider die traurige Erkenntnis, wenn ein Mann zurecht für einen anderen in die Bresche springt und ihn gegenüber Hass, Verleumdungen und einem Weltkonzern verteidigt.

Quellen:

Pressemitteilung Landgericht Würzburg
Pressemitteilung Jun Rechtanwälte

Artikel Vorschaubild: icedmocha / Shutterstock.com

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