Erreichbarkeit: Bimmelt es nicht ein wenig zu viel?

Autor: Andre Wolf

Artikelbild: Shutterstock / Antonio Guillem / Amai House
Artikelbild: Shutterstock / Antonio Guillem / Amai House

Lehne dich einmal ein wenig zurück. Atme tief durch. Schließe ein paar Sekunden deine Augen und dann denken wir mal über die Erreichbarkeit nach.

Ich bin in den 70er Jahren geboren. Als Musik noch von LPs und Kassetten zuhause abgespielt wurde. Damals, als Erreichbarkeit noch gelbe Telefonzellen, Briefe oder teure Telefonate bedeutete.

Ja, ein Telefonat war mit dem Festnetz gekoppelt und man unterschied zwischen Ortsgespräche und Ferngespräche. Oder gar Auslandsgespräche. Alles kostete Geld, daher überlegte man, wie lange und wie häufig man jemanden anrief.

Spannend war natürlich der Brief, den man gerne und direkt gelesen hat. Gut, die Erreichbarkeit bei einem Brief war natürlich eine ganz spezielle. Ein Brief ist halt nicht so superschnell und so häufig gab es jetzt auch nicht Briefe, vor allem keine privaten Briefe.

Damals hatte man Brieffreundschaften. Das war spannend. Ich hatte zusammen mit einem guten Freund in den frühen 90ern zwei Brieffreundinnen in Prenzlau. Da war jeder Brief ein Happening.

Es war halt so eine Sache mit der Erreichbarkeit. Man war halt nicht immer erreichbar. Und man hat nicht sofort eine Information bekommen, wenn eine Nachricht eingeht. Klar, das Telefon hat geklingelt. Aber wenn man nicht in der Nähe war, hat man es nicht klingeln gehört.

Erreichbarkeit heute

Heute ist das anders. Die meisten Menschen sind jederzeit erreichbar. Und damit man keine Nachrichten, Anrufe, Messages oder was auch sonst noch verpasst, kann ein Smartphone klingeln, vibrieren, blinken auf dem Display eine Vorschau geben. Am Ende sind es kleine weiße Zahlen in roten Kreisen an den jeweiligen Apps, die uns an ungelesene Nachrichten erinnern. Meistens passiert das alles gleichzeitig, weil viele Menschen gar nicht wissen, wie man diese Einstellungen ändert.

Wenn ich früher einen Anruf verpasst habe, dann war das so. Der Anrufer hat erneut angerufen oder mir ein paar Tage später gesagt, dass er angerufen hat. Pech gehabt. Aber heute kommt man mit der „Anruf verpasst“ Nummer nicht mehr durch. Das Smartphone hat man bei sich. Selbst wenn man einen Anruf nicht entgegennehmen kann, so steht auf dem Display, dass ein Anruf eingegangen ist.

Ja, wir sind ständig und immer erreichbar. Für alle, die das gleiche Kommunikationsmedium nutzen. Es rappelt. Es bimmelt. Es blitzt. Manche Klingeltöne können am Ende gar nerven.

Digitaler Stress

Wir reden hier von digitalem Stress. Dieser Moment, an dem das eigene Smartphone einen Laut von sich gibt und man sofort reagiert. Ein Blick aufs Display, unterbrochene Gespräche und die Priorität für die Message oder den Anrufer (warum eigentlich).

Warum erlangt eine Nachricht oder ein Anruf eine höhere Priorität als ein Gesprächspartner gegenüber? Das gilt jetzt nicht universell, aber lässt sich häufig beobachten.

Sender und Influencer

Aber es ist ja nicht nur die Erreichbarkeit, sondern auch jene die in der Welle der Erreichbarkeit leben. Kommunikation besteht nicht nur aus einem Anruf oder einer Nachricht, sondern auch im Konsum von Inhalten, für die man jederzeit erreichbar ist. Auch das hat sich im Laufe der Jahre verändert. Ich blicke wieder auf meine Jugend: Um Inhalte zu empfangen, musste ich zu einer gewissen Uhrzeit einen gewissen Sender hören/anschauen. Ich war gebunden an ein Radio oder TV-Gerät.

Wer Informationen gelesen hat, musste sich zuvor das Medium kaufen oder eben temporär in Besitz eines Printmediums sein. Es war halt ein anderes Verhältnis zwischen Sender und Empfänger. Als Empfänger war ich Ort- und Zeitgebunden und wer gesendet hat, musste meist hohe Hürden überwinden, um mich überhaupt erreichen zu können.

Das ist heute anders. Jeder von uns ist über Social Media zum Sender geworden, zudem haben Empfänger jederzeit die Möglichkeit, Inhalte abzurufen.  Dadurch haben sich auch völlig neue Sender entwickelt. Sender, die mit geringem finanziellen und technischem Einsatz auf einmal eine breite Bühne bekommen. Gleichzeitig verschwindet auch die Gatekeeper-Funktion des Journalismus, denn diese vielen neuen Sender können jegliche Art von Inhalt senden, unabhängig davon, ob das Thema eine echte Relevanz hat oder am Ende gar der Wahrheit entspricht.

Daraus hat sich eine andere Form der Kommunikation entwickelt, die eine Interaktion zulässt und teilweise auch erfordert. Diese Interaktionen werden von Kommunikationsplattformen sogar gezielt gefördert. Snapchat verteilt beispielsweise Punkte und Trophäen, je mehr man die App nutzt (vergleiche). Facebook setzt seit Monaten auch auf ein „Top-Fan“ System, um Nutzer zur Kommunikation zu animieren (siehe hier). Die einzelnen Kanäle werden an der Anzahl der Fans gemessen. Menschen bekommen auf einmal eine „Gewichtigkeit“, je mehr Fans ihre Kanäle haben (böse Zungen reden von digitalem Schwanzvergleich).

Es geht am Ende auch um Geld. Um viel Geld. Denn viele große Influencer-Kanäle nutzen diese Erreichbarkeit natürlich um – der Name sagt es ja – Menschen zu beeinflussen. Einfluss auf das Kaufverhalten, Einfluss auf das Verhalten im Miteinander, Einfluss auf das politische Verhalten.

Du und deine Erreichbarkeit mittendrin

Und inmitten dieser Szenerie sitzt du. Und ich. Und viele andere Menschen. An manchen Tagen fehlt mir die Luft für all die viele Kommunikation. Da fühle ich mich leicht gereizt und mag niemandem antworten, niemanden hören oder sehen. An anderen Tagen dagegen habe ich einen Riesenspaß daran, Selfies mit einem Engelchen-Filter oder ähnliches zu posten.

Ja, man ist drin in diesem Spiel. Man ist ständig erreichbar, man ist für eine Kommunikation erreichbar, aber auch für Inhalte empfänglich. Ich bin jetzt nicht der große Verfechter von „Digital Detox“. Ich finde den einen anderen Ansatz wesentlich interessanter.

Befreien wir uns von den Alarmmechanismen der Erreichbarkeit. Ton ausstellen, Blinklichter deaktivieren, Vibration aus. Lassen wir nicht das Smartphone um Aufmerksamkeit betteln, sondern geben wir dem Gerät die Aufmerksamkeit, wenn wir es wollen. Es geht darum, den Informationskonsum und die Erreichbarkeit selbst und bewusst zu steuern.

Nehmen wir uns einfach täglich gewisse Zeiträume, in denen Erreichbarkeit keine Rolle spielt und man entsprechend nicht erreichbar ist. Dann warten halt gewisse Dinge. Konzentrieren wir uns in diesen Momenten auf das, was wir wollen. Auf Gesprächspartner, das Leben um uns herum, ja von mir aus auch die Arbeit. Denke dran: Du hast die Chance, deine Erreichbarkeit zu steuern. Nutze sie!

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