Der Bankencrash Islands 2008 – ein Vorbild für Deutschland?

Autor: Ralf Nowotny

Island und seine Fans waren während der EM 2016 ein Vorbild an Eintracht und Freude. Im Zuge dessen kursiert derzeit ein Meme, welches suggeriert, dass man sich Island auch als Vorbild bei Bankenkrisen nehmen sollte. Inwiefern ist das realistisch?

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ISLAND verurteilte nun 26 Top-Manager und Banker zu insgesamt 74 Jahren Haft wegen der Manipulation der heimischen Märkte und ihrer Mitschuld an der Finanzkrise im Jahr 2008. In Gegensatz zu den EU-Staaten ließ Island die Zocker-Banken einfach Pleite gehen und rettete sie nicht mit Steuergeldern. Island wiederruf 2015 freiwillig seinen Beitrittswunsch zur EU, trotz laufender Eingliederung. Das Land erholte sich bereits nur wenige Jahre nach der Krise spürbar und genießt heute einen souveränen Status. Ist das nicht seltsam, dass es auch ohne die Rettung „systemrelevanter“ Banken funktioniert?



Was ist da dran?

Zu Beginn können wir gleich sagen, dass auf dem Meme nichts Falsches behauptet wird., die Betrachtung jedoch sehr einseitig ist. Tatsächlich rettete 2007 Islands Regierung noch die angeschlagene Íslandsbanki, griff nach dem Bankencrash 2008 aber hart durch und verurteilte die Banker und Manager teilweise zu Höchststrafen. Trotzdem müssen einige der Punkte differenziert betrachtet werden:

Ließ Island die Zocker-Banken einfach Pleite gehen?

Das wäre fatal gewesen. Stattdessen handelte die isländische Regierung aber schnell, verabschiedete ein Eilgesetz und stellte die drei Großbanken Landsbanki, Kaupthing und Glitnir unter staatliche Zwangsaufsicht. Das machte es möglich, einen kontrollierten Konkurs einzuleiten: So konnte sichergestellt werden, dass Banker kein Geld mehr privat aus der Pleite abzwacken sowie zumindest einen Teil des Privatvermögens der Isländer zu schützen.


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Island widerrief 2015 freiwillig seinen EU-Beitrittswunsch?

Ganz so freiwillig war das auch nicht. Nach dem Finanzkollaps 2008 gab es 2009 erste Verhandlungen über einen EU-Beitritt, 2010 wurde die Kandidatur offiziell eingereicht. Seit 2013 gab es aber keine Verhandlungen mehr. Grund: Die EU-skeptische Mitte-Rechts Regierung Islands. Jene entschied im Februar 2014 eigenständig, den Beitrittsantrag zurückzuziehen, obwohl es eigentlich vorher ein Referendum hätte geben sollen, wofür sich auch 80% der Isländer aussprachen . Umfragen unter Islands Bevölkerung im Februar 2014 zeigten auch, dass mehr als die Hälfte der isländischen Bevölkerung dafür war, die Verhandlungen über einen Beitritt Islands zur EU fortzuführen, wie „Iceland on Review“ berichtete.

Wie ging es Island nach dem Crash?

Hier kommen wir zu einem Punkt, der in dem Meme vollkommen vernachlässigt wird: Wie sich die Krise auf jeden Isländer und auf die Wirtschaft spürbar auswirkte. Deutschland rettete die Banken mit Steuergeldern, natürlich war da die Empörung groß. Das bewirkte aber auch, dass man als Otto Normalverbraucher kaum bis gar nichts von dem Bankencrash spürte: Es ging immer noch allen gut, der Euro blieb stabil, die Waren wurden nicht teurer.

Ganz anders hingegen in Island:
Erst einmal wurden sämtliche Gelder der Banken eingefroren. Privataktionäre und ausländische Kapitalanleger, die an die immens hohen Zinsen der isländischen Banken glaubten, werden ihr Geld wohl nie mehr wiedersehen. Stattdessen bekamen die isländischen Spareinleger ihr Geld bis maximal 20.000 € zurück, auch deutsche Sparer wurden später entschädigt. Soweit so gut.

Als Nächstes wurde jeglicher Kapitaltransfer ins Ausland unterbunden und der Aktienhandel ausgesetzt. Es gab Steuererhöhungen, Sozialleistungen wurden gekürzt oder fielen komplett weg, Staatsbedienstete wurden entlassen oder bekamen eine Gehaltskürzung von 20 Prozent, die Arbeitslosigkeit stieg von 1 Prozent auf 10 Prozent. Ebenso wurde die isländische Währung, die Krone, massiv herabgesetzt: Vor der Krise gab es für 89 Kronen = 1 Euro, nach dem Crash musste man schon 305 Kronen für 1 Euro hinblättern.

Das Konzept war also radikal für alle Isländer, aber das Konzept ging auf, die rund 320.000 Isländer murrten zwar, aber sahen ein, dass diese Krise nur gemeinsam gestemmt werden kann. Wie auch sonst: Eine Bankenrettung von staatlicher Seite hätte niemals funktionieren können: Das Vermögen der Banken betrug das Zehnfache (!) des Bruttoinlandproduktes Islands.

Wieso funktionierte Islands Rettung?

Der Internationale Währungsfond (IWF) war nicht glücklich darüber, dass die Regierung die Banken in einen kontrollierten Konkurs schickte, schließlich gaben sie ihnen gerade erst 5 Milliarden Euro an Notkrediten. Jedoch hatte das kleine Island einige Vorteile:

Importe wurden zwar teurer, aber der Fischfang florierte, damals Island größte Einnahmequelle. Island wurde als Urlaubsort interessant, da günstig: seit 2008 (500.000 Touristen) verdoppelte sich die Anzahl der Urlauber (1 Millionen). Tourismus ist nun Einnahmequelle Nr. 1.

Ist die Krise Islands überstanden?

Dazu sagt der Autor Arthúr Bollason, einer der Repräsentanten des Landes und Sprecher der halbstaatlichen Fluggesellschaft Icelandair: „In Wahrheit überstehen wir sie immer noch!“. Und damit hat er nicht unrecht. Island hat zwar nun ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent und einen Eurokurs von 1:150 sowie eine Arbeitslosenquote von 4 Prozent, jedoch sind die ausländischen Kredite und Kapitaleinlagen noch lange nicht wieder zurückgezahlt. Die Isländer leben also immer noch auf Sparflamme, wen auch längt nicht mehr so stark wie kurz nach dem Bankencrash.

Kann sich Deutschland an Island ein Beispiel nehmen?

Jein. Wie sich Island aus der Krise stemmte, ist schon vorbildlich, jedoch werden hier 320.000 Einwohner mit 80 Millionen Einwohnern verglichen, deren Mentalitäten sich in vielen Punkten unterscheiden. Als Beispiel nehmen wir einfach mal die Flüchtlingskrise: In Deutschland wurden 16,8 Milliarden Euro an Steuergeldern für die Rettung der Banken ausgegeben, die Empörung darüber hielt sich in Grenzen. Warum auch, es berührte den normalen Bürger nicht. Die Flüchtlingskrise hingegen berührt fast jeden Bürger, irgendwer hat immer irgendwas über Flüchtlinge zu erzählen, wobei gerade die negativen Äußerungen überwiegen. Dem Deutschen ist sein Haus, sein Auto und sein Geld wichtig, jeglicher Eingriff wird persönlich genommen. Wie hätten die Deutschen reagiert, wenn die Bundesregierung den Bankenkollaps in Deutschland genauso geregelt hätte?

Island hingegen ist ein „Wir halten zusammen“-Völkchen, was man am Schönsten an den Fans während der EM 2016 beobachten konnte. Ursprünglich wollte das Land mit seinen 320.000 Einwohnern ganze 50 Syrer aufnehmen, wie der „Daily Telegraph“ berichtete. Den Isländern war das zu wenig: Lt. einem Facebook-Event der Schriftstellerin Bryndis Bjorgvinsdottir sind über 18.000 Isländer bereit, Flüchtlinge privat aufzunehmen, über 10.000 Isländer boten dem „Daily Telegraph“ alle möglichen Formen von Hilfe an, worauf die isländische Regierung beschloß, die konkreten Angebote der Isländer zu prüfen und ggf. mehr syrische Flüchtlinge ins Land zu lassen.

Fazit

Das Meme ist nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. Die Rettung aus der Finanzkrise Islands wird hier romantisiert. Es wird zwar aufgezeigt, dass es Island trotz Bankencrash aus der Krise schaffte (zumindest zum größten Teil), der Preis dafür wird aber verschwiegen. Was im kleinen Island möglich war, wäre in Deutschland nicht möglich gewesen, ohne dass das Volk mit Fackeln und Mistgabeln vor die Regierungsgebäude gezogen wäre.

Die Rettung Islands ist zum großen Teil auch der Mentalität der Isländer zu verdanken, die ein ausgesprochenes Einheitsgefühl besitzen. In Deutschland hingegen herrscht eher die Mentalität „Ich zuerst, dann lange nichts, dann erst der Rest“. Eine isländische Lösung in Deutschland hätte jeden Einzelnen finanziell getroffen, und da sind Deutsche besonders empfindlich.

Können wir also von Island was lernen? Ja. Deren Mentalität, deren unbändiger Wille, auch Krisen zu schaffen, deren Glauben an das Unglaubliche. Jeder konnte das an den isländischen Fans und der Mannschaft während der EM 2016 sehen. So sind sie, die Isländer.

Weniger jammern. Mehr zum Wohle aller auch persönliche Einschränkungen ertragen. Dann würde die Lösung einer Finanzkrise á la Island auch in Deutschland funktionieren.

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