Alan Turing und das Apple Logo

Manche Geschichten passen so gut, dass sie einfach wahr sein müssen, oder?

Autor: Walter Feichtinger

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Die Behauptung

Der angebissene Apfel im Apple Logo ist eine Anspielung auf Alan Turing, der mit einem vergifteten Apfel Selbstmord begangen hatte.

Unser Fazit

Das Apple Logo hat nichts mit Alan Turing zu tun. Diese Geschichte wurde später hinzugedichtet. Die Gründe für das Design sind etwas banaler.

Alan Mathison Turing war ein Pionier der Informatik und Computerentwicklung. Er knackte während des Zweiten Weltkriegs die Verschlüsselung der deutschen Funksprüche (Enigma), entwickelte einen der ersten Schachcomputer und gilt als Vordenker der Künstlichen Intelligenz (Turing-Test). Wegen seiner Sexualität im England der 1950er verfolgt, musste er sich einer Hormonbehandlung unterziehen und erkrankte an Depression. Sein tragischer Tod im Jahr 1954 wirft immer noch Fragen auf. Die Polizei ging damals von einem Selbstmord mittels eines vergifteten Apfels aus.

1976 gründete Steve Jobs gemeinsam mit zwei Kollegen eines Computerclubs die Firma Apple. Ihr erster Heimcomputer war noch ein Bastlerstück mit Holzgehäuse. Aber das graue Gehäuse des Apple II von 1977 zierte bereits ein Logo, das heute als wertvollste Marke der Welt gilt: der angebissene Apfel in Regenbogenfarben. Besonders in der LGBT-Community zählte man 1 + 1 zusammen und zog den naheliegenden Schluss: Das Apple Logo spielt auf den Tod von Alan Turing an.

Alan beendete sein eigenes Leben am 7. Juni 1954. Er versetzte einen Apfel mit Zyankali und aß einen Bissen davon. Er tat dies, weil die britische Regierung ihn chemisch kastrierte, demütigte und verfolgte, weil er schwul war.

Alan ist der Grund, warum aus dem Apple-Logo ein Stück herausgebissen ist – zu Ehren von Alan Turing.

Also, was hat er getan? Er hat die Informatik erfunden und mit seinen ersten Entwürfen den Enigma-Code entschlüsselt – die maschinelle Verschlüsselung, die die Nazis und das deutsche Militär im Zweiten Weltkrieg zur gegenseitigen Übermittlung geheimer Befehle nutzten – und damit Millionen von Menschenleben gerettet und uns in das moderne Zeitalter der Informatik geführt.

Im Pride Month geht es nicht nur darum, in goldenen Hotpants auf Festwagen zu tanzen oder eine Regenbogenflagge zu hissen. Es geht darum, sich daran zu erinnern, dass jeder das Recht hat, glücklich zu sein, zu lieben, wen er lieben will, und den herausragenden Beitrag anzuerkennen, den jeder in einer Gesellschaft ohne Angst und Vorurteile leisten kann.

Der inspirierende, englische Originaltext von Bobby Waters auf Facebook wurde hunderttausende Mal geteilt und weiterkopiert, auch in anderen Sprachen und auf anderen Plattformen.

Bobby Waters war ganz bestimmt nicht der Erste, der diese Theorie aufgestellt oder zumindest verbreitet hat. Aber über Social Media hat er massiv zu ihrer Verbreitung beigetragen. Das Problem: Sie ist falsch. Waters Posting ging am 30. Juni 2022 dermaßen durch die Decke, dass Snopes noch am gleichen Tag einen Faktencheck dazu veröffentlichte. Urteil von Snopes: größtenteils richtig. Alle Aussagen zu Turing sind korrekt, aber das zentrale Detail zur Verbindung mit dem Apple-Logo? Falsch.

Die Geschichte hinter dem Apple Logo

Bevor wir einen Blick auf das Logo-Design werfen, noch kurz zur Frage des Namens der Firma. Auch darum ranken sich einige moderne Mythen. Einer davon ist der Apfel, der Newton auf den Kopf gefallen sein soll. Oder die Frucht vom biblischen Baum der Erkenntnis, die Eva an Adam weiterreichte. Beides sind schöne Geschichten, aber Steve Jobs bestätigte in einem alten Video-Interview, dass die Gründe viel banaler waren: „Zum einen, weil ich Äpfel sehr mag, und zum anderen, weil Apple im Telefonbuch vor Atari steht und ich früher für Atari gearbeitet habe.“

Und wie ist es mit dem Apple Logo? Der erste Entwurf von Ronald Wayne war ziemlich kompliziert und im Stil eines barocken Kupferstichs gehalten: Isaac Newton unter einem Apfelbaum. Der zugehörige Slogan „Newton… A Mind Forever Voyaging Through Strange Seas of Thought … Alone” nicht weniger komplex. Steve Jobs war dagegen und der Mitbegründer von Apple, Ron Wayne ohnehin nur ganze elf Tage im Unternehmen.

Den zweiten Entwurf zeichnete Rob Janoff. Er hatte dabei sehr freie Hand. Die einzige Vorgabe von Steve Jobs war: „Don’t make it cute“ – Mach es nicht niedlich. Das Ergebnis: der angebissene Apfel (und eine zweite Variante ohne Bissspur, falls das zu „niedlich“ wäre) in verschiedenen Varianten: einfarbig, metallic und mit Farbstreifen. Der Version mit den Farbstreifen stellte sich als die beste heraus, denn der Apple II sollte einen Farbmonitor haben.

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Apple II mit dem Logo von Rob Janoff | Narnars0, CC BY-SA 3.0

In einem Interview mit Rob Janoff von 2009 erzählt dieser die ganze Geschichte hinter dem Logo-Design. Der angebissene Apfel ist keine Anspielung auf den Computerbegriff byte (das Homonym bite bedeutet Biss). Auch Newton und Eva hatten nichts damit zu tun. Und die Verbindung mit Turing?

Ich habe gehört, dass eine der Legenden besagt, dass das farbige Logo eine Hommage an ihn sei. Die Leute denken, ich hätte die farbigen Streifen wegen der schwulen Flagge gemacht. Und das war etwas, worüber ich wirklich lange nachgedacht habe. Der andere wirklich coole Teil war, dass er sich offenbar mit einem mit Zyanid versetzten Apfel umgebracht hat. Und dann habe ich herausgefunden, dass Alan Turings Lieblingsgeschichte aus seiner Kindheit Schneewittchen war, in der sie nach dem Verzehr eines vergifteten Apfels für immer einschläft und von dem hübschen Prinzen geweckt wird. […]

Ich habe ihn mit einem Biss als Maß für die Größenordnung entworfen, damit die Leute verstehen, dass es sich um einen Apfel und nicht um eine Kirsche handelt. Außerdem war das Abbeißen in einen Apfel irgendwie symbolträchtig. Etwas, das jeder erleben kann. Das gilt für alle Kulturen. Wenn jemand jemals einen Apfel gegessen hat, hat er wahrscheinlich in ihn hineingebissen und das ist es, was man erhält.

Rob Janoff im Interview mit CreativeBits, 2009

Auch wenn das Wortspiel mit byte zunächst nicht beabsichtigt, sondern reiner Zufall war, wurde es doch sofort für die Vermarktung des Apple I verwendet. Eine frühere Version dieser Anzeige war noch ohne den Slogan „Byte into an Apple“ ausgekommen.

MIMIKAMA
Ausschnitt einer Anzeige für den Apple I, Oktober 1976

Auf der Spur einer Urbanen Legende

Die Verbindung von Turing mit dem Apple Logo stimmt also nicht. Aber woher kommt die Idee? Wer wusste über die Details des tragischen Todes von Turing Bescheid? Sehr viele Leute. Der Film Enigma (2001) erzählt sehr frei die Geschichte der Codeknacker in Bletchley Park, England. Und der spätere Blockbuster The Imitation Game (2014) mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle basiert direkt auf dem Leben von Alan Turing.

The most famous actual resident of Bletchley Park was the infamous mathematician genius Alan Turing (also considered the father of computers that even inspired Apple computer’s logo with his morbid suicide from an arsenic laced apple), but he’s not a part of this particular bit of history mixed with romanticism- „he would have required an entire other film“ director Michael Apted informed.

Filmkritikerin Emily Blunt über Enigma

The Imitation Game basiert auf der Biografie Alan Turing: the enigma von Andrew Hodges (1983). Im Buch wird über den Selbstmord von Turing spekuliert und mit der Apfelszene aus dem Disney Film Schneewittchen in Verbindung gebracht. Der Film hat dieses Ende nur angedeutet. Die bereits gedrehten Szenen, die den Selbstmord und das Auffinden der Leiche zeigen, fielen letztendlich dem Schnitt zum Opfer. Auch wenn Regisseur Morten Tyldum auf das bittere Ende verzichtet hatte, wollten viele Leute wissen, was mit Alan Turing wirklich geschehen war. Benedict Cumberbatch erklärte bei einer Talkveranstaltung erst das ursprüngliche Ende und dann jenes, das es in die Kinofassung geschafft hatte:

He walks in the door frame and looks at the machine, which is the embodiment of the love of his life, Christopher. He smiles, and in my mind, what I was saying was, ‘I’m coming to see you now.’ He turns off the light, walks into the darkness, and that’s it. That’s what you see. I thought [Tyldum] was spot-on in his judgment of that.

Benedict Cumberbatch im November 2014 im 92Y, New York

Dass einige Leute lange vor beiden Filmen mit der Turing-Biografie von Hodges vertraut waren, zeigt eine Stelle aus dem Buch Zeros and Ones (1997) von Sadie Plant. Das ist auch die älteste, schriftliche Quelle der Urban Legend, die wir finden konnten:

Zwei Jahre später war er tot. Der Gerichtsmediziner meldete Selbstmord, aber seine Mutter war überzeugt, dass es sich um einen Unfalltod handelte: Sie sagte ihm immer, er solle sich die Hände waschen, wenn er mit Zyanid spielte. „Neben dem Bett lag ein halber Apfel, in den er mehrmals hineingebissen hatte. Und diese seltsame Geschichte endet hier noch nicht. Auf jedem Apple Macintosh-Rechner sind Regenbogenlogos mit Turings fehlenden Bytes zu sehen.

Übrigens: Es ist extrem unwahrscheinlich, dass die amerikanischen Studenten Steve Jobs und Steve Wozniak 1976 überhaupt von Alan Turing wussten. Dass die Briten es geschafft hatten, den Enigma-Code zu knacken, wurde erst Mitte der 1970er öffentlich bekannt. Sogar in Großbritannien kannte damals niemand Turing. Lange vor dem Internet, Details über eine Person aus der britischen Militärgeschichte und das in Amerika? Das geht sich einfach nicht aus.

Fazit

Eine schöne Geschichte, aber leider nur eine Legende. Der Schauspieler Stephen Fry fragte seinen guten Freund Steve Jobs einmal direkt, ob es stimmen würde, dass das Apple Logo auf Alan Turing anspielt. Dessen Antwort: „Es ist nicht wahr, aber Gott, wir wünschten, es wäre so!“

https://www.snopes.com/fact-check/alan-turing-facebook-post
https://web.archive.org/web/20121030084636/http://www.youtube.com/watch?v=qzzOwRx3D1E&gl=US&hl=en (Steve Jobs erzählt, wie es zum Namen Apple kam)
https://blog.leoprinting.de/blog/die-geschichte-vom-apple-logo
https://creativebits.org/interview/interview_rob_janoff_designer_apple_logo
http://www.macmothership.com/gallery/gallery1.html (Archiv von Apple Broschüren und Anzeigen)
https://www.imdb.com/title/tt0157583 (Enigma in der Internet Movie Database)
https://www.imdb.com/title/tt2084970 (The Imitation Game)
https://www.hollywoodreporter.com/news/general-news/imitation-game-benedict-cumberbatch-explains-749513
http://universal-machine.blogspot.com/2011/12/qi-xl-turing-and-apple-logo.html (Stephen Fry zitiert Steve Jobs)
Hodges, Andrew (1983). Alan Turing : the enigma. London: Burnett Books. ISBN 978-0-09-152130-1.
Plant, Sadie (1997): Zeroes + Ones : Digital Women and the New Technoculture. New York, Doubleday. ISBN0-385-48260-4

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