Kann man vom Mond aus die Chinesische Mauer sehen? – Ein Mythos entzaubert

Autor: Ralf Nowotny

Die Chinesische Mauer ist eines der gewaltigsten Bauwerke der Menschheitsgeschichte. Sie soll sogar so gewaltig sein, dass man sie angeblich als einziges von Menschen geschaffenes Bauwerk vom Mond aus sehen kann. Zumindest hält sich dieser Mythos hartnäckig.

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Bildquelle: DLR

Die schnelle Antwort

Oben sehen wir einen Blick auf die Erde vom Weltall aus. Und tatsächlich sehen wir hier, in Orange markiert, die Chinesische Mauer. Allerdings muss man dafür schon ein gutes Auge haben, denn unmarkiert muss man schon sehr genau schauen und wissen, wo man schauen muss, um sie zu erkennen.

Hier einmal unmarkiert zum Vergleich:

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Problem: Das Bild wurde nicht etwa vom Mond aus aufgenommen, sondern aus 348 Kilometer Höhe. Der Mond allerdings ist etwa 384.400 Kilometer entfernt, also 1.000x weiter entfernt. Das sieht dann so aus:

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Bildquelle: DPA

Somit sollte offensichtlich sein, dass man mit bloßem Auge die Chinesische Mauer ganz sicher nicht vom Mond aus sehen kann.

Die ausführliche Antwort

Der Astronaut Prof. Ulrich Walter gab der „Welt“ dazu eine sehr ausführliche und wissenschaftliche Antwort:

„Es gibt in der Fovea centralis, also dem Bereich des schärfsten Sehens auf der Netzhaut, etwa 200.000 Zäpfchen pro Quadratmillimeter was bei typisch hexagonaler Anordnung einem Abstand von 1,4 µm (für genau Nachrechner: 1,4 µm = sqrt(1/(200000*6)*4/sqrt(3) [mm**2]) entspricht. Da die Fovea einen Abstand von etwa 22 mm zur Linse des Auges hat, beträgt die theoretisch erreichbare minimale Winkelauflösung des Auges 0,0014/22 = 0,000063 rad = 13“ (Bogensekunden). Dieser Wert passt recht gut zur gemessenen minimalen Winkelauflösung von 14“ bei hohem Kontrast (Hecht et al., 1942). Messungen der Sehschärfe von Astronauten im Weltraum ergaben (bei nicht hohem Kontrast) einen maximalen Fernvisus von et 2,0, was einer Winkelauflösung von 1’/2,0 = 30“ entspricht, also etwa halb so gut wie bei hohem Kontrast. 14“ – 30“ ergeben in 300 km Flughöhe eines Shuttles eine Bodenauflösung von 20 – 44 Meter.“

Kurz gesagt: Das menschliche Auge hat eine viel zu geringe Auflösung, um die Chinesische Mauer aus dieser Entfernung sehen zu können.

Aber woher kommt dieser Mythos?

Zu Zeiten der Apollo-Missionen berichteten die ersten Astronauten, dass sie tatsächlich die Chinesische Mauer vom Weltall aus („from space“) sehen konnten, und dies entspricht ja auch der Wahrheit, wie wir oben schreiben: Mit gutem Auge kann man sie auch in großer Höhe noch erkennen. Nun ist der Begriff „vom Weltall aus“ aber sehr dehnbar. Die US-Air Force definiert den Beginn des Weltraums mit 80 Kilometern über der Meeresoberfläche, wie der BlogScienceblogs“ schreibt, und zieht sich in unendliche Weiten hinaus. So gesehen sieht man die Mauer schon „vom Weltall aus“, solange man sich nicht allzu weit in jenem befindet.

Erstmals tauchte diese Behauptung wahrscheinlich in dem Buch „The Peoples and the Politics of the Far East“ von Henry Norman auf. Das war allerdings im Jahr 1904, also zu einer Zeit, als es noch gar keine Weltraumfahrt gab. Er schreibt dort:

„Neben ihrem Alter hat sie außerdem den Ruf, als einziges von Menschen gemachtes Gebäude vom Mond aus sichtbar zu sein“.

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Auch in dem Buch „Richard Halliburton’s Second Book of Marvels: The Orient“ von 1938 wird diese Behauptung aufgestellt:

„Astronomen sagen, dass die Große Mauer das einzige von Menschen erbaute Gebilde ist, welches mit bloßem menschlichen Auge vom Mond aus zu sehen ist.“

Fazit

Nein, die Chinesische Mauer ist nicht vom Mond aus sichtbar. Auch wenn dies gerne zu Anfang des 20. Jahrhunderts behauptet wurde, so ist die Auflösung des menschlichen Auges viel zu unscharf, um in einer solchen Entfernung noch solche Details erkennen zu können. Man darf davon ausgehen, dass jene Beschreibungen aus den oben genannten Büchern darauf abzielten, die Großartigkeit jener Mauer zu unterstreichen.

Im Endeffekt ist sie zwar wirklich sehr groß… jedoch in der Unendlichkeit des Weltalls bereits in mehreren Hundert Kilometer Höhe nur noch verschwindend klein.

Artikel Vorschaubild: Songquan Deng / Shutterstock.com

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