Faktencheck: Blockieren Berlin und die EU eine Corona-Heilpflanze?

Autor: Ralf Nowotny

Faktencheck: Blockieren Berlin und die EU eine Corona-Heilpflanze?
Faktencheck: Blockieren Berlin und die EU eine Corona-Heilpflanze?

In einem abfotografierten Zeitungsausschnitt steht, dass es bereits ein pflanzliches Heilmittel gegen COVID-19 gäbe, die EU und die Bundesregierung diese aber verboten habe.

In dem kleinen Artikel, bei dem es sich wahrscheinlich von der Aufmachung her um einen Leserbrief handelt, wird von einem Tee aus der Pflanze Artemisia annua berichtet, der laut aktueller Forschung auch gegen COVID-19 wirksam sein soll, der Tee aus jener Corona-Heilpflanze sei jedoch seit Ende 2019 in der EU verboten.

Um diesen Zeitungsausschnitt handelt es sich:

Verbot einer Corona-Heilpflanze?
Verbot einer Corona-Heilpflanze?

„Der Pharmazeut Dr. Hirt, geboren in Winnenden, hat in langjähriger Forschungsarbeit Heilpflanzen nutzbar gemacht, insbesondere die schon im alten China bekannte Artemisia annua. […] Laut aktueller Forschung ist Artemisia auch gegen Corona wirksam (siehe anamed-edition.com).
Aber seit Ende 2019 verbieten EU und Bundesregierung die Verbreitung von Artemisia-Tee, zugelassen wird nur noch das industriell aus der Pflanze gewonnene Artemisin: ein noch zu entwickelndes teures Medikament, mit dem die Pharmaindustrie künftig schöne Profite zu machen hofft.
[…]
Statt in der tödlichen Corona-Krise die Anwendung der Heilpflanze mit allen Mitteln zu fördern, blocken EU und Berlin im Interesse von Big Pharma und Big Money – unfassbar!“

Kurz gesagt: Ein einfacher Tee aus einer bestimmten Pflanze soll bereits gegen COVID-19 wirksam sein, wird aber blockiert – so wird behauptet. Hinter dem Verbot soll die WHO stecken, welche zu 80 Prozent von Pharma-Konzernen finanziert werde.

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Die erste Fragen, die sich uns stellen

Nun handelt es sich bei der Corona-Krise ja nicht um eine örtlich begrenzte Epidemie, sondern um eine weltweite Pandemie. Warum hört man dann nicht aus anderen Teilen der Welt von diesem Tee? Oder reicht die Macht der WHO so weit, dass der heilende Tee weltweit verboten wurde? Was steckt also genau hinter der Geschichte?

Artemisia annua – tatsächlich eine Pflanze mit Heilwirkung

Der deutsche Apotheker Hans-Martin Hirt berichtete 2010, dass er bereits tausenden erkrankten Afrikanern wieder auf die Beine geholfen habe, die an Malaria erkrankt waren. Sein Medikament: Ein Tee aus Blättern des afrikanischen Beifußes Artemisia annua.

Mit Hilfe von afrikanischen Medizinmännern entdeckte Hirt die Heilkräfte der Pflanze, fertigte in den 1990er Jahren eine spezielle Züchtung an und erreichte mit dem daraus gemachtem Tee augenscheinlich beachtliche Heilerfolge. Und tatsächlich: Die Wirkstoffe des Tees erweisen sich als wirksam gegen Malaria-Parasiten.

Es gibt aber auch Kritik

Jürgen May vom Hamburger Institut für Tropenmedizin bestätigte die Wirksamkeit der Heilpflanze, gibt aber auch zu bedenken, dass ein Tee daraus zwar 99,9 Prozent der Malaria-Parasiten abtöte, bei einigen Milliarden (!) Parasiten sind das dann aber trotzdem noch einige Hundert, die überleben und gegen die Wirkstoffe resistent werden – Fälle aus Asien haben gezeigt, dass die Krankheit dann wieder ausbreche.

Das Problem bei einem Tee aus Pflanzenblättern bestehe zudem darin, dass es zu einer Unterdosierung kommt, so Emil Reisinger, Dekan der Medizin-Fakultät der Universität Rostock, da man nie genau weiß, wieviel von den Wirkstoffen denn nun in einer Tasse sind. So lässt sich dann objektiv nicht bestimmen, wieviele Tassen man wie lange trinken müsse, bis ein Patient geheilt wäre.

Hirt ließ sich dadurch aber nicht von seinem Vorhaben abbringen und setzte (leider) noch etwas drauf, was ihn leider unseriös wirken lässt: Er wollte den Tee auch als Wunderwaffe gegen Krebs und AIDS einsetzen, was dann, wie Emil Reisinger sagt, „das Niveau eines Buschmannes ist“.

Artemisia annua gegen COVID-19?

In dem Leserbrief wird nun behauptet, dass die Artemisia-Heilpflanze auch gegen COVID-19 wirksam sei, der Beweis dafür stünde auf den Seiten der Anamed-Stiftung. Jene Stiftung wurde von dem bereits oben genannten Hans-Martin Hirt gegründet, über jene Seite vertreibt er auch Samen jener Pflanze.

Aber: Auf der Seite steht nicht, dass der Tee als wirksam gegen COVID-19 erachtet wurde! Korrekterweise steht dort aber, dass das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung die Wirkstoffe der Pflanze gegen COVID-19 untersucht.

Wortwörtlich steht auf der Seite, dass Artemisia annua von seinen Inhaltsstoffen her eventuell eine Prophylaxe und Therapie in der Corona Pandemie bieten kann.

Was hat es mit dem angeblichen Verbot auf sich?

Die Faktenchecker der dpa fragten diesbezüglich beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit an, die ihnen mitteilten, dass Artemisia annua in Deutschland nicht grundsätzlich verboten sei. Es darf sich also jeder, der möchte, solche Samen bestellen, züchten und sich daraus einen Tee machen.

Was allerdings verboten ist: Die Pflanze darf nicht als Arzneimittel mit dem Ziel der Behandlung oder Vorbeugung einer Krankheit vertrieben werden, dazu bedarf es einer Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz. Dazu müssen sehr umfangreiche Unterlagen zur Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit einer Heilpflanze vorliegen.

Kurz gesagt: Es gibt kein Verbot, sie darf bloß (noch nicht) als Arzneimittel vertrieben werden.

Auch ist es nicht so, dass die WHO die Nutzung der Pflanze grundsätzlich ablehnt, steht dem aber sehr kritisch gegenüber, da sich durch die rein pflanzliche Nutzung nur schwer der Wirkstoffgehalt und die Qualität der Pflanzenteile bestimmen lassen – auch innerhalb einer Zucht können diese Werte stark schwanken.

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Fazit

Die Nutzung von Artemisia annua ist nicht grundsätzlich verboten, aufgrund des ungewissen Gehaltes von Wirkstoffen besteht aber die Gefahr einer Unterdosierung – es ist also ein Lottospiel, ob und wie gut die Heilstoffe wirken.

Exakt aus diesem Grund forscht ja das oben bereits erwähnte Max-Planck-Institut daran, wie die Wirkstoffe eventuell optimal und mit absoluter Wirkung verabreicht werden könnten um eventuell zu helfen, zu dem wird auch von einem Unternehmen an einer optimierten Züchtung geforscht.

Wir haben also viel „vielleicht“ und „eventuell“ hier noch. Die Heilpflanze erwies sich als wirksam gegen Malaria, eventuell hilft sie auch gegen COVID-19, aber das ist noch Gegenstand der Forschung. Das hat dann auch nichts mit „Pharma- und Money-Mafia“ zu tun, niemand möchte etwas einnehmen, was vielleicht, vielleicht aber auch nicht wirkt.

Wer sich also die Samen bestellen will, um die Heilpflanze zu züchten: Kein Problem. Doch absolut verlässlich gegen COVID-19 ist sie nach bisherigen Erkenntnissen nicht wirklich.

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