Der Tunnel der Angst!

Autor: Andre Wolf

Artikelbild Tunnel Pixabay, NymnWales / 2 Bilder
Artikelbild Tunnel Pixabay, NymnWales / 2 Bilder

Unterirdische Tunnel oder Höhlen. Das sind wiederkehrende Elemente und Symbole in vielen Geschichten und Mythen.

Unterirdische Tunnel und Höhlen tauchen recht häufig in Verschwörungsmythen und Legenden auf. Doch warum gerade Tunnel und Höhlen? Worum geht es überhaupt bei dieser Symbolik?

Zum ersten Mal ist mir das in der Adrenochrom-Legende aufgefallen. Da hat es geheißen, dass Kinder in unterirdischem Tunneln gefangen gehalten werden. Wir haben häufig darüber berichtet, und auch die verschiedenen Bilder dazu aufgeklärt. Der wohl spannendste Faktencheck dazu drehte sich um ein Foto, dass die vermeintlich gefangen gehaltenen Kinder zeigen soll, jedoch aus einer Fernsehserie stammt (siehe hier).

Wo genau diese Tunnel und Höhlen sind, ist nicht unbedingt immer fest definiert. Aber eine weitere moderne Erzählung behauptet, dass diese Tunnel unter dem Central Park in New York sind. Auch hier haben wir erklärt, warum ausgerechnet New York untertunnelt sein soll und dort Kinder gefangen gehalten werden (vergleiche).

Doch das sind nicht die einzigen Tunnel-Legenden. Geschichten um Tunnel sind in der Vergangenheit immer wieder aufgetaucht. Manche sind total absurd, wie z. B. die Geschichte vom untertunnelten Österreich.

Tunnel unter ganz Österreich?

Diese Geschichte ist echt verrückt. Sie stammt aus dem Telegram-Kanal von Xavier Naidoo. Und zwar handelt es sich um einen Beitrag aus dem Mai 2020. In diesem Beitrag können wir lesen, dass unter Österreich angeblich schmale langgezogene Tunnel zu finden sind. Diese seien glatt und gleichmäßig, als ob sie mit einem Laserstrahl gebohrt wurden (vergleiche hier). Der Text besagt, dass es sich angeblich um eine überlegene Technik handeln würde, die nicht unbedingt von Außerirdischen stammen muss. In den Tunneln würden sich angeblich Roboter und Klone brutale Schlachten liefern.

Und nun kommt die Verbindung zu den parallel auftauchenden Tunnel-Erzählungen: Angeblich würde einer dieser österreichischen Tunnel bis nach New York reichen. Wir bemerken also an dieser Stelle, dass die modernen Erzählungen irgendwie immer miteinander verknüpft sind, sodass ein ganzes Erzähluniversum entsteht. Also die Plausibilität des Tunnels stützt sich auf eine andere Erzählung, in der bereits von Tunneln oder Höhlen gesprochen wird.

Warum nun das Ganze?

Wie komme ich nun auf die Idee, etwas über Tunnel und Höhlen in Verbindung mit Mythen und Legenden zu schreiben? Nun, vor wenigen Tagen ist eine Grafik auf Social Media aufgetaucht, die sehr ähnlichen Tunnelsysteme quer unter Nordamerika darstellt. Auch hier wird davon gesprochen, dass eine höhere Intelligenz diese langen geraden Tunnel hergestellt hätte. Es sind angeblich teilweise uralte unterirdische Wassertunnel. Ebenso lesen auch eine Andeutung, dass es unterirdisch Bomben und Explosion geben würde. Hier ein Screenshot dieser Grafik:

Tunnel unter Nordamerika
Tunnel unter Nordamerika

Natürlich ist diese Darstellung völliger Quatsch. Zigtausende von Kilometern Tunneln sind eine utopische Dimension. Vor allem so gezeichnet auf dem nordamerikanischen Kontinent kreuz und quer in reichlich geologisch aktiven Regionen. Allein schon aufgrund der Plattentektonik müssten die Tunnel permanent gewartet und korrigiert werden.

Auch ohne diese ständigen Nachbearbeitungen würden die erstmaligen Baukosten das weltweite jährlich verfügbaren Staatshaushaltsmitteln sprengen. Zum Vergleich: Der Gotthard-Basistunnel. 57km Länge, 12 Milliarden Franken Baukosten, Bauzeit 15 Jahre.
Rechnen wir das mal auf die ca. 30 000 km in der obigen Grafik hoch und reduzieren die Baukomplexität und somit die Baukosten großzügigerweise auf die Hälfte des Gotthard-Basistunnels pro Kilometer, sprengen die Baukosten immer noch locker das Jahreshauhalt aller Länder der Erde zusammen! So eine Behauptung kann überhaupt keinen Sinn ergeben. Aber was komm ich denn hier mit Fakten.

Bei Tunneln und Höhlen geht es nicht um Fakten!

Doch es geht hier gar nicht um Logik oder um Fakten. Es geht um Gefühle, vor allem Ängste. Es geht um den mystischen Schleier, der Tunnel und Höhlen einhüllt. Es geht um die narrative Wirkung des Tunnels innerhalb einer Geschichte. Diese Tunnel erwecken Urängste. Sie erscheinen geheimnisvoll, da sie sich nicht an der Oberfläche befinden. Sie sind im Untergrund, verborgen und dunkel. Dementsprechend sind Tunnel-Legenden auch häufig mit dem Motiv einer Kinderentführung verbunden.

„Kinder entführen“ ist eines der ältesten Narrative der Menschheit und spielt mit unseren Urängsten. Einige dieser Entführungen finden sich bereits in keltischen Mythen (z.B. in die Anderswelt „Tír na nÓg„). Diese Erzählungen können jedoch unterschiedlich ausfallen.

Hier gibt es auch eine gewisse Verwandtschaft mit den Mythen rund um die Wechselbälger. Das sind Geschichten über einen dämonenhaften Austausch von Kindern.  Das eigentliche Motiv in diesen tradierten Geschichten dürfte eine Art verklausulierter Taufbefehl sein, denn der Austausch der Kinder würde sich nicht mehr lohnen, wenn die Kinder geimpft sind. Doch hier schweifen wir in einen anderen, ebenfalls interessanten Themenbereich ab.

Ziurück zu alten Tunnelgeschichten. Denn da gibt es natürlich noch den Rattenfänger von Hameln. Auch hier Tunnel. Wobei diese Sage eigentlich wahrscheinlich ein Hybrid von zwei Sagen ist: Der Rattenplage und dem Kinderauszug, welcher wahrscheinlich erst im 17. Jahrhundert mit der ursprünglichen Sage verknüpft wurde. Dennoch gibt es in der Rattenfängergeschichte auch das Motiv eines Tunnels.

Dieser Tunnel soll angeblich in Siebenbürgen, also im heutigen Rumänien enden. Davon abgesehen, wenn man auf die eigentlichen ostbesiedlungen zu diesem Zeitpunkt schaut, fanden diese Besiedlung eher im brandenburgischen Raum bis nach Ostpreußen statt, anstatt in Siebenbürgen (siehe hier). Insofern ist ausgerechnet die Geschichte des Tunnels bis nach Siebenbürgen noch zu interpretieren. Haben wir es hierbei vielleicht mit einem Einfluss des sogenannten „Zigeuner-Mythos“ zutun?

Auch hier wäre eine Querverbindung zu den (meist neueren) Entführungsgeschichten mit weißen Lieferwagen /der Lieferwagen als Höhle?) nicht undenkbar. Zumindest auf narrativer Ebene interessant. Denn die Geschichte vom weißen Lieferwagen ist eine moderne Interpretation einer alten Geschichte, in der Sinti oder Roma („traditionelle Täter“ in vielen Narrativen) Kinder entführen.

Moderne Tunnel und Höhlen

Eine unwahrscheinlich große Häufung von Tunneln und Höhlen haben wir natürlich in den QAnon Geschichten. Diese verbinden sich, wie bereits erwähnt, zu ganzen Erzähluniversen. Speziell was QAnon angeht, so basieren die Geschichten, besonders in Verbindung mit Adrenochrom, teilweise auf Ritualmordlegenden, nach denen Juden mit dem Blut christlicher Kinder Magie betrieben und Brot gebacken haben sollen. Hier tauchen immer wieder Tunnel und Höhlen auf.

Allerdings ist QAnon auch schwierig zu „deuten“, weil es eigentlich ein Potpourri aus Creepy Pasta, alten Mythen und einem großen Anteil Popkultur ist. Tunnel und Höhlen, das finden wir in dem damit verbundene „White Rabbit“ Motiv ebenfalls. Den weißen Hasen kennen wir sowohl aus Alice im Wunderland, als auch auf der Metaebene in Matrix, wo Neo diesem folgen soll. Der Tunnel als narratives Element taugt also auch wunderbar in der Filmwelt. Gerade in der Matrix, bzw. eher außerhalb der Matrix, bewegen sich die Menschen mit ihren Hovercrafts durch Tunnel. Tunnel, die sich zwar unterirdisch, jedoch über den gesamten Erdball erstrecken.

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Regionale Erzählungen

Das Tunnelmotiv an sich dürfte wohl keine eigene Geschichte sein, jedoch als Stimmungsmittel dienen. Tunnel sind damit also generell mit Unfreiheit der Bewegung (nur zwei Richtungen), Verborgenheit, Geheimnissen, Spukgeschichten, Dunkelheit, etc. konnotiert. Daher finden wir Tunnel in vielen Erzählungen. So wie in der „unterirdischen Havelregion„. In dieser Legende lautet es:

Man erzählt sich, dass es im Dom einst ein gewaltig tiefes Loch gab, in das ein zum Tode verurteilter hinab gelassen wurde. Um den Bauch trug er eine Trommel. Während er in einem horizontalen Tunnel unter der Erde lief, trommelte er. Die ängstlichen Menschen an der Oberfläche lauschten, konnten so die Richtung des Tunnels nachvollziehen, bis das Trommeln plötzlich verstummte. Das Loch wurde schleunigst zugeschüttet.

Ebenso spielt in der Geschichte um die Belchenfrau die Tunnelsymbolik eine Rolle, so wie auch der Silwinger Tunnel den Beinamen „Das Tor zur Hölle“ trägt. Hier sieht man sehr schön, dass eigentlich alle unheimlichen Geschichten auch mit Tunneln sehr gut „funktionieren“. Und blicken wir zu Verschwörungsideologien, so ist der Denver Airport ein Paradebeispiel, der neben verschiedenen unbelegten Aussagen auch der Eingang zur Hohlerde sein soll.

Wir erkennen ….

Tunnel und Höhlen sind zwar keine Verschwörungserzählungen für sich selbst, sie beiten jedoch eine ziemliche Steilvorlage für Creepy Pasta und Legenden. Gleichzeitig sind sie verbindende Elemente für ganze Erzähluniversen. Und dass das eigentlich immer funktioniert, sieht man ja.

  • https://www.mimikama.org/aktuelles/fake-das-foto-der-kinderfarmen-fuer-adrenochrome/
  • https://www.mimikama.org/aktuelles/kinder-new-york/
  • https://www.derstandard.at/story/2000117602804/warumxavier-naidoo-staendig-von-adrenochrom-redet
  • https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%ADr_na_n%C3%93g
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Wechselbalg
  • https://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/begriffe/mittelalterlicher-landesausbau-ostsiedlung
  • https://mittelalter.hypotheses.org/5242
  • https://www.moz.de/lokales/rathenow/unterirdische-havelregion-48577148.html
  • https://www.bazonline.ch/basel/land/die-belchenfrau—eine-begegnung-der-dritten-art/story/21158483
  • https://www.zauberspiegel-online.de/index.php/mythen-aamp-wirklichkeiten-mainmenu-288/aberglaube-mainmenu-294/8079-das-saarland-mythen-und-sagen-teil-47-urban-legends-11
  • https://youtu.be/nY5AOx6sKqM?t=5385
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