Der gestohlene Einkaufszettel–Eine “Urban Legend”

Autor: Ralf Nowotny

Es gibt Geschichten und Gerüchte, die scheinbar ganz neu sind, aber einem doch irgendwie bekannt vorkommen. Insbesondere, was Ausländer angeht, geht mal wieder eine Story viral, welche man schon vor Jahrzehnten hörte, nur diesmal sind es, Überraschung, Flüchtlinge, die angeblich diesen Trick anwenden: Der gestohlene Einkaufszettel.

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In verschiedenen Variationen findet sich dieser Test so oder so ähnlich auf vielen Facebook-Profilen, als Beispiel nehmen wir jenen, über 5000x geteilten Text:

„Achtung!!Achtung!! Flüchtlinge Lauern Bei Lebensmittel Discont Hofer Und wen Du die Rechnung Im Einkaufswagen Vergist Nehmen die die Rechnung und Behaupten das Der jenige Den Einkaufswagen von Ihnen Gestohlen Hat! , Bitte teilen !!!!!!!!!!!“

Die Behauptung

Das Prinzip klingt einleuchtend: Wer im Besitz des Kassenzettels ist, dem gehört die Ware. Neu ist die Idee des Diebstahls mit „Kassenzettelversicherung“ nicht, denn tatsächlich gibt es zumindest in den USA sogar offizielle Warnungen der Polizei, dass Diebe z.B. weggeworfene Kassenzettel nehmen, genau jene Waren stehlen und sie an der Kasse für Bares umtauschen wollen. So weit hergeholt ist die Methode also nicht.

Hier geht es nun allerdings nicht um einzelne teurere Artikel, sondern ganze Einkaufswagen voll mit Lebensmitteln, die gemäß der Behauptung von Flüchtlingen beansprucht werden. Bereits im Februar 2015 berichteten wir von jener angeblichen Methode. Damals lautete ein weit verbreiteter Text:

„Hab gerade gehört, dass unsere netten ausländischen Mitbürger eine neue Masche haben um uns ganz legal auszurauben.
Eine Frau hat am Kaufland ihre Einkäufe in ihren Kofferraum geladen und ging dann den Einkaufswagen wegschaffen.
Eine ausländische Mitbürgerin kam auf sie zu und beschuldigte sie, sie habe ihre Einkäufe gestohlen. Die Frau verneinte und fragte sie die darauf kommt.
Darauf zückt die Ausländerin den Kassenzettel auf dem alles stand was im Kofferraum zu finden war.
Darauf ging die Frau mit der Ausländerin an die Kasse, wo die Kassiererin bestätigte, dass die Deutsche die Sachen gekauft hat.
Das bewegte die Ausländerin keineswegs zum aufgeben und es wurde die Polizei gerufen. Die lies sich die Einkäufe zeigen und da die Ausländerin den Kassenzettel hatte, musste die Frau tatsächlich ihren Kofferraum ausräumen und die Sachen der Ausländerin übergeben!
Das war wohl kein Einzelfall.“

Die Beweise


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Da haben wir schon mal ein Problem: Es gibt keine. Wenn man mal davon liest, heißt es immer nur „habe ich gehört“ oder „wurde mir zugespielt“. Wir konnten bei aller Recherche keinen einzigen Hinweis darauf finden, dass sich dies wenigstens einmal so zugetragen hat.

Das alleine will natürlich nichts heißen, denn vorstellbar ist dieser Trick schon. Es gibt da allerdings noch ein paar Stolperfallen bei dem Ganzen, die wir hier einmal aufzählen möchten.

Die Wahrscheinlichkeit

Um so ein Manöver durchzuführen, bedarf es schon krimineller Energie. Die setzen wir einfach mal bei einem Trickdieb voraus, allerdings ist so ein Diebstahl nicht so einfach durchzuführen, wie es den Anschein hat, was die tatsächliche Anwendung deses Tricks sehr unwahrscheinlich macht.

  • Der Kassenzettel
    „Brauchen Sie den Kassenbon?“ wird man in 99% aller Lebensmittelläden gefragt. Verneint man dies, wandert der Zettel direkt in einen Mülleimer neben der Kassiererin. Unmöglich, aus Jenem einen Zettel herauszufischen.
    Manche Leute wollen den Kassenzettel aber mitnehmen, da sie z.B. daheim ein Haushaltsbuch führen, in dem sie die Einkäufe verzeichnen. In nur sehr wenigen Fällen wird der Kassenzettel von dem Kassierer oder Kassiererin wortlos in den Wagen geworfen und dann vom Käufer nicht mitgenommen.

 

  • Die Zahlungsart
    In der kleinen Bäckerei und Metzgerei ist es üblich, bar zu zahlen. In großen Lebensmittel-Discountern zahlen die Kunden aber oftmals mit Karte, insbesondere, wenn es sich um Wocheneinkäufe für eine ganze Familie handelt, da man zum Einkauf nicht unbedingt so viel Bargeld dabeihaben möchte. Auf dem Kassenzettel ist die Zahlungsart natürlich auch vermerkt, was es einfach macht, den wahren Eigentümer eines Kassenzettels auszumachen.

 

  • Die Überwachungskamera
    In den meisten Arbeitsverträgen für Angestellte in Lebensmittelmärkten wird vermerkt, dass ihr Arbeitsplatz mit Kameras überwacht wird. Jene sind auch oftmals deutlich auch für Kunden sichtbar. Erlaubt ist dies auch, da sich der Laden dadurch nicht nur gegen Diebstahl absichert, sondern auch dagegen, dass z.B. Geld aus der Registrierkasse gestohlen wird oder ein Kunde Kleinwaren wie Zigaretten sich dort unbezahlt einsteckt. Hersteller von Sicherheitssystemen haben sich teilweise auf genau solche Kameras spezialisiert und bieten komplette Systeme für die Überwachung der Kassengebiete an. Somit kann im Zweifel die Überwachungskamera einen eindeutigen Beweis liefern, wer die Waren wirklich gekauft hat.

 

  • Die Plausibilität
    Lt. der Beschreibung werden also Einkaufszettel genommen, die ein Käufer im Einkaufswagen liegengelassen hat. Demnach geht also ein Käufer mit dem Einkaufswagen zum Auto, räumt alles ein, schiebt den Wagen dann zurück, und dann erst taucht angeblich der Flüchtling auf und behauptet, dies seien seine Einkäufe.
    Man spiele sich das mal im Gedanken durch:
    Jener Flüchtling müsse also für mehrere Minten seinen Einkaufswagen unbeobachtet vor dem Laden stehengelassen haben, nahm aber den Bon mit. In jener Zeit schnappte sich also jemand den Wagen und lud den Inhalt in das Auto. Woher weiß dann der Flüchtling genau, in welches Auto der Inhalt geladen wurde? Wir reden hier von Lebensmittelmärkten, da sehen die Kundeneinkäufe alle relativ gleich aus. Den Bon kann man sich ja erst schnappen, wenn die Einkäufe im Auto verstaut und der Einkaufswagen wieder zurückgebracht wurde. Gegenüber der Polizei dürfte es für einen Flüchtling sehr schwierig sein, zu erklären, wie denn der vermeintliche Dieb so einfach an die Waren kam und sie seelenruhig im Auto verstauen konnte.

Fazit

So einfach jener Trick auch scheint, so unwahrscheinlich ist seine Durchführung. Im Internet kursieren solche Geschichten seit Jahren, auch sehr viel früher, in den 80ern, tauchte diese Erzählung auf. Damals waren die Täterbeschreibung „Frauen mit Kopftücher“ oder „Türkinnen“, heute sind es die pöhsen Flüchtlinge, denen jener Trickdiebstahl untergeschoben wird. Durchaus denkbar, dass in den 80ern und 90ern jener Trick sogar durchgeführt wurde, da z.B. damals es weniger Überwachungskameras gab und auch die meisten Leute bar bezahlten. Heutzutage jedoch ist es extrem unwahrscheinlich, dies mit Erfolg durchzuführen.

Man kann davon ausgehen, dass es sich dabei um eine „Urban Legend“ handelt, die dazu genutzt wird, um mal wieder gegen Flüchtlinge zu hetzen. Nichts weiter.

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